Silvia Bolley
Diese beiden hatten zu Beginn der Entwicklung der Frauenbewegung aus meiner Erfahrung wenig miteinander zu tun. Aber Überschneidungen gab es schon und auch Impulse in die eine oder andere Richtung. In Saarbrücken wuchs und gedieh die Frauenbewegung quasi zeitgleich mit Jugendzentren und VSJS. Feministinnen fanden bei Demonstrationen der Neuen Linken zueinander. Die erste Frauengruppe in Saarbrücken gründete sich im Jahr 1973 per Aufruf in einer Zeitungsanzeige.
Aber immerhin kam es zu einigen Kooperationen – wie zum Beispiel folgenden:
Die Land-WG, in der wir JuzlerInnen lebten und eine Frauengruppe aus unserer Gegend, wurden 1980 vom ZDF – Direkt – Team (spezielle Jugendsendung sellemols) angesprochen wegen eines Aufklärungsfilms zum Thema Verhütung und Abtreibung. Ob wir Lust hätten, so ne Aktion zu starten, einen Film zu diesem Thema zu kreieren. Krasse Frage. Unsere Köpfe qualmten.
Wir – allesamt sehr jung und beseelt, wollten natürlich die Gunst der Stunde nutzen und unserer Meinung Gewicht verleihen. Wir entschieden uns, diesen Film zu drehen mit dem ZDF – Direkt Team. Feuer und Flamme waren wir erstmal nicht – eher im Grübelmodus und dann im Lampenfieber ob dieser Herausforderung. Klar war für uns, dass es wichtig war, sich zu diesem Thema eindeutig zu positionieren. Was uns erwartete, waren spannende Drehtage mit zickigen Hauptdarstellern, romantischem Liebesgeflüster im Heu und sonstwo, und viele Diskussionen. Schwangerschaftsberatung bei der Profa, ein Besuch beim Frauenarzt des Vertrauens und des Weiteren mehr. Superspannend war das schon.
Trotzdem wir starverdächtig waren: okay, keine Anfragen hinterher.
Aber: wir erlebten, wie ein echter Film entsteht und waren die Hauptdarstellerinnen darin. Drehbuch, Kameraführung, Szenenschnitte, das volle Programm. Plus Sonderbehandlung für die Filmsissis. Das war toll – trotz allem Zittern und aller Aufregung. Dieser Film war natürlich dann einerseits ein totales Highlight. Er spielte unter anderem auch im Juz St.Wendel und JuzlerInnen waren auch dabei. Da überschnitt sich alles – : WG-BewohnerInnen, Frauengruppe und Juz – Aktive sowie Juz – BesucherInnen waren eigentlich fast identisch – alle waren dabei.
Andererseits wurde dieser Film teilweise zum Albtraum. Die katholische Kirche zeigte uns an. Wir waren Dorfgespräch – nicht nur in einem Dorf, wir wurden als Luder und mehr noch betitelt. Einige Menschen aus der Gegend diffamierten uns sehr – ich entschuldige mich noch heute für diese Zumutungen bei meinen Eltern – und wir – wir wussten eigentlich nicht recht, wie uns geschah, wir waren wohl doch etwas naiv ans Thema rangegangen. Es war das Jahr 1981.
Zehn Jahre zuvor initiierten 374 prominente Frauen im Stern die Anzeige „Wir haben abgetrieben“. Und zumal Käthe Kollwitz schon 1923 im Auftrag der KPD ein Plakat zeichnete, das forderte: „Nieder mit dem Abteibungsparagraphen“ , hätte man ja meinen können, dieses Thema sei schon etwas tiefer in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Aber nada.
Was wir mit diesem Film auch erreichen wollten, war, dass Frauen ihr Schweigen verlassen können, dass sie über ihre Erlebnisse reden können, wenn sie im Zweifel waren, über die Schuldgefühle, die es mit sich bringen kann, wenn diese Entscheidung getroffen wurde oder auch im Raum stand, und auch darüber, wie sich das später anfühlt. Wenn man ein Kind erwartete und es nicht bekommen wollte aus ganz unterschiedlichen Gründen oder sich auch nicht imstande dazu fühlte, sich dieser Aufgabe einfach nicht gewachsen fühlte. Wenn Wünsche und Ängste sich vielleicht verändert hatten. Aber das war und ist immer noch sehr schwer aufzulösen. Für jede Einzelne ist es eine große Mammutaufgabe geblieben.
Jedenfalls brach echt die geballte Ladung Schmäh – um nicht zu sagen gemeiner Hass über uns herein. Der Film war ein Meilenstein in der öffentlichen Diskussion des Themas im Saarland. Aber er war auch ein Meilenstein für uns selbst. Er zeigte ganz klar auch schon in der Konfliktdynamik des Entstehungsprozesses die damaligen Geschlechterverhältnisse auf. Und da waren die Jungs einfach im Vorteil. Meistens. Und das ist sehr positiv formuliert.
Das Schweigen war aber zumindest ein Stück mehr gebrochen. Das ist Fakt. Und bis heute muss es anscheinend immer wieder wiederholt werden. 2024 gibt es zu diesem Thema noch immer Rückwärtsbewegungen.
Mitte – Ende der Achtziger: Einige von uns Frauen, die sich in einer der im Ostertal damals ersten Wohngemeinschaften zusammenfanden, im Juz St.Wendel und im Juz Neunkirchen engagiert waren, später dann Sozialarbeit/Sozialpädagogik in Siegen und Frankfurt studierten und teilweise auch schon beim VSJS aktiv waren, gründeten eine Frauen – WG in der Nähe von Saarbrücken. Die Frauen aus dem Juz NK waren deutlich näher an der Frauenbewegung dran und radikaler in ihren Haltungen als wir aus St.Wendel. In Neunkirchen gab es auch eine Gruppe von Frauen, die sich in der Demokratischen Fraueninitiative (sozialistisch orientiert) engagierten und für ein Frauenhaus kämpften. Sie trafen sich auch immer im Juz Neunkirchen. Aber das Juz war nicht der Hauptaustragungsort dieses Themas. Das lief dort dort eher nebenbei. Die Frauenbewegung brauchte und schuf sich eigene Orte.
Unsere doch unterschiedliche politische Sozialisation mündete in einen gemeinsamen Entschluss und warf derweil folgende Früchte ab: Wir hatten uns auf die Fahnen geschrieben, zusammen zu leben und zu arbeiten und alles Geld in einen Topf zu werfen. Und das taten wir dann auch zunächst frohen Mutes. Unsere Geldquellen waren gemischt und wir mussten im Alltag irgendwie regeln, wessen Wünsche vom gemeinsamen Geld umgesetzt werden könnten, sei es das neue Fahrrad oder der ersehnte Theaterworkshop, Herzenswünsche, die erfüllt werden wollten. Schnell wurde klar, dass es nicht so einfach ist und sein wird mit dem Geld teilen und „jedem nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“. Einige von uns waren sehr aktiv in der Frauenbewegung. Jede Hexendemo wurde mitorganisiert und darüberhinaus hatte die Zeit in Siegen und Frankfurt einige radikale Ansichten hervorgebracht. Die Diskussionen waren manches Mal hart aber herzlich. Ich erinnere mich auch an den Titel der Diplomarbeit von zweien aus unserem Kreis: „Über die Hausfrauisierung der Arbeitswelt“. Oder? Ach Nee, das war Maria Mies, meine langjährige Heldin. Der Arbeitstitel meiner Freundinnen dann auf Nachfrage: „Hausarbeit: Notwendiger Bestandteil kapitalistischer Kapitalakkumulation?“. Uiuiui. Eine notwendige Frage, die immer noch nicht so ganz geklärt ist. Aber: Hausarbeit ist mittlerweile fast vollständig aufgesogen vom Akkumulationsprozess. Sie ist jetzt fast ganz eingepreist. Von daher: Gut gebrüllt, Löwinnen – aber zu leise. Oder?
Auch an den zwei einzigen Hausbesetzungen in Saarbrücken beteiligten wir uns in verschiedenster Weise, sei es aktiv als Besetzerin oder eher passiv als Unterstützerin. Dabei ging es bei allem politischen Engagement immer auch darum, die jeweiligen Frauensichtweisen einzubringen.
Unsere Nähe zum VSJS entwickelte sich weiter, so dass wir gemeinsam die Konzeptentwicklung für das Zirkuswagenprojekt voranbrachten. Wir waren ja zuvor alle in verschiedenen Jugendzentren aktiv und wussten, was Sache ist. Manni Weiss, der weiterhin sehr kontinuierlich im VSJS aktiv war, bildete sozusagen die Klammer zu dem angedachten Projekt. Er brachte die Idee mit ein und warb für ihre Umsetzung.
Der Zirkuswagen sollte Kultur in die Provinz bringen und die gerade am Boden liegende Juz-Bewegung wieder reanimieren. Die Durststrecke konnte überwunden werden. Der Zirkuswagen war unterwegs und mit ihm wir und unsere Entourage. Das machte Spaß. Mit dem VSJS und den Jugendzentren ging es weiter. Mit der Frauen – WG ging es aber nach einigen bewegten Jahren nicht mehr weiter – aus diversen Gründen. Brüche waren damals an der Tagesordnung. Alle probierten sich aus. Wie M., die nach Portugal ging damals und sich von unserem gemeinsamen Projekt trennte. Es war eine Atmosphäre, in der alles möglich schien und vieles versucht wurde, getestet, angefacht, verlassen, übern Haufen geworfen und auch gewählt wurde. Frei zu sein, das wurde ausprobiert und war das eigentliche Ding. Wie kann das gehen und wie standhalten?
Und das ist bis heute schön. Zu was auch immer es geführt hat. Welche Wünsche und Grenzen auch erkannt wurden.
Eine Anekdote muss ich noch schildern: Wir Frauen waren ja wehrhaft und hatten uns daher eine Schreckschusspistole zugelegt. Diese musste natürlich ausprobiert werden. Leider war mir persönlich ja gar nicht klar, dass Schreckschuss nicht nur Schreck sondern auch Schuss bedeutet. Ich hantierte also mit der Waffe in unserer gemeinsamen Wohnung und sie ging los. Karin stand ziemlich ungünstig…Never ever Schreckschusspistole. Ich bin heute noch froh, dass niemand verletzt wurde und kein Trommelfell geplatzt ist. Wir sind dann umgestiegen auf Pfefferspray.
Von dort bis hier ist viel passiert. Die Frauenbewegung selbst entwickelte sich zu einem echten politischen Schwergewicht. Heute ist sie tatsächlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Diskussionen veränderten sich und vieles, was erkämpft werden musste, ist für Frauen heute selbstverständlich. Doch viele Themen sind noch ungelöst. Da ist Östro 430 immer wieder eine Quelle der Inspiration.