Punk, Politik und Jugendarbeit
Gespräch mit Michael „Gurke“ Kammer, Sänger von Crowd of Isolated, seit 2019 bei Trust Issues, viele Jahre in unterschiedlichen Jugendzentren im Regionalverband als Sozialarbeiter tätig und aktuell in der Jugendhilfeplanung beschäftigt.
Geplant war ein Interview. Doch wer Michael Kammer kennt weiß, dass es nur so heraussprudelt aus ihm, wenn man ihn nach seiner Geschichte im damals noch selbstverwalteten Juz Heusweiler befragt. Es ist vielleicht auch eine typische Geschichte, die für viele Leute in der damaligen Zeit Anfang/Mitte der 80er Jahre steht. Die Punk/Harcoreszene bot damals vielen einen einzigartigen subkulturellen Aktionsraum. Und die Wege kreuzten sich, z.B. zu den Sozialarbeitern im Juz Sigi Becker und Hartmut Franz und Netzwerke verknüpften sich, z.B. zum AJZ Homburg.
Im Juz
Das Stadtkind zieht auf’s Land, die Eltern hatten gebaut, es blieb mir mit 12 nichts anderes übrig, als mit nach Heusweiler zu ziehen, Kulturschock erst mal. Hey, es ging um sowas wie Orientierung, um Positionierung, um Abgrenzung und das Beantworten der Frage, where is my place…im Universum.
Ich denke, ich war 14, als das Wort JUZ das erste Mal den Weg zu meinem Ohr fand. Ein Freund schwärmte mir vor und war sich sicher, „ey, das ist dein Ding, ich weiß das“. Zu der Zeit haben wir uns ständig draußen rumgetrieben, ich lernte Leute kennen, die alle auch etwas anders auftraten, crazy und bewundernswert zugleich, irgendwie.
Ich kann mich noch erinnern, dass meine Mutter mir ständig in den Ohren lag, ich soll doch mal was tun und unternehmen, den Spaß an Schule, Sport und diesen Dingen hab ich zu diesem Zeitpunkt längst verloren oder bewusst bei Seite gelegt. „Geh doch mal ins Jugendzentrum nach Heusweiler“, ich habe vehement abgelehnt, „ da sind doch nur Drogenleute und Alkoholiker“, stets meine Antwort, „och nö“. Na ja diese Mähr, meine dieser Spontispruch der 70er und 80er: „…die Leute, vor denen uns unsere Eltern eigentlich immer gewarnt haben“. Und dann …bin ich halt zum ersten mal hin.
Rein in die Bude und Abfackeln einer Initialzündung, sowas wie -step into another world- mit anschließender Sprachlosigkeit, angekommen. Und da war es, mein neu erschlossenes Universum, Touchdown! Angekommen in abgestecktem Terrain, „Du kannst hier machen, was Du willst, Anarchist, na ja, mehr oder weniger, halt“. Das kannte ich ja aus Zusammenhängen wie Schule, Verein, Erwachsenenwelt und dergleichen nicht.
Ich hab dann schnell erkannt, das ist mein Ding! (Danke unbekannter Freund), das muss ich/wir nutzen, den Raum, diesen freien Raum.
Wir waren ja durchaus anders, gemessen am Zeitgeist und Mainstream dieser Tage, also so Anfang der 1980er Jahre. Wir waren die Underdogs, wir hatten immer Stress mit anderen Leuten, vor allem und mitunter mit jenen, etwas konservativerer Gesinnung, der Freiheit in einem Juz per se nicht zugetan.
Natürlich gab es damals auch hier unterschiedliche Gruppierungen mit ganz unterschiedlichen Ansprüchen und Vorstellungen und Interessenlagen, z.B. die „Alten“, die immer von „früher“ erzählt haben. ’waren wahrscheinlich damals 18, es wurde von längst vergangenen wilden Parties geschwärmt und von irgendwelchen Juz-Kämpfen, Jugendzentrumsbewegung, wo es ums Haus und Existenz ging. Na klar, waren die, hier
Selbstverwaltung
Beschreiben würd’ ich die Grundstimmung und -Athmo als durchaus etwas rough, ein rauer Ton sicherlich, aber auch stets wild und Anarcho. Ich war total überrascht, dass es so etwas existiert, für die Youngsters, für uns eben. „Du kannst selbst mitentscheiden, das Juz ist deine Welt und Du bist der Chef, der Tag liegt in Deiner Hand“, hä was?
Zu der Zeit muss ich auch das erste Mal über das Wort „Vollversammlung“ gestolpert sein. Ein schlichter Zettel am schwarzen Brett sprang mich in schlechter Rechtschreibung mit nem Hinweis auf eine wohl geplante Vollversammlung in den nächsten Tagen,….? Schnell klärt mich einer der anwesenden Besserwisser auf: „…ei, da hockt man sich zusammen und es wird geklärt, was so im Juz passiert und wann wir – nächstes neues Wort – aufs „Seminar“ fahren“. „Seminar, oh leck, krass, wie seid ihr denn druff?“ Es gab dann auch den „Vorstand“, alles Wörter, die ich dort kennen gelernt hab. Das Wort Selbstverwaltung und die Bedeutung dahinter war mir bis zu diesem Zeitpunkt natürlich auch nicht gekannt.
Will sagen: wenn de’ ein Ziel hast, musst’e den Weg dorthin, eben auch selbst organisieren. Es gab also die Vollversammlungen und wir (die Kids, die Lust auf Engagement hatten) haben uns um Alles gekümmert, also auch um Dinge wie Thekendienst, Finanzen und so. Und klar, hat bei Weitem nicht alles funktioniert, musste ja auch nicht, aber wir hatten diese Macht den Betrieb zu organisieren, Fehler waren ja auch die Base zum Lernen. Und wir hatten einfach Bock darauf, das selbst zu machen. Da ist natürlich ganz viel schief gegangen, aber wir hatten unseren Spaß.
Das Modell in Heusweiler, ich denke mal zu der Zeit, analog an vielen anderen Orten genau so, war derart, dass zwei Jugendpfleger für das Haus zuständig waren, Sigi Becker und Hartmut Franz. Die Sozialarbeiter im Haus hatte da aber damals sicherlich eine ganz andere Arbeit – und Herangehensweise, die kamen ja selbst aus der Selbstverwaltung und zwei, dreimal die Woche vorbei. Ansonsten hatten wir aber die Macht, sprich den Schlüssel, und öffneten den Laden an den restlichen Tagen.
Politisierung
Rückblickend war das Juz sicherlich ein ganz existenzieller Ort für meine eigene Politisierung. Ein vorherrschendes Thema, das ich dort mitgekriegt hab’, war politisches Engagement, oder einfach politisches Interesse. Die Themen waren damals Anti-AKW, Wettrüsten, atomare Bedrohung halt, aber auch schon relativ schnell das Thema Antifaschismus. Sigi Becker war sicherlich jemand, der für diesen politischen Zeitgeist gestanden hat. Man hat die Themen aufgesogen und konnte sich auch engagieren. Wir waren schon früh mit zu Anti-Cattenom-Demos, die Grenzbesetzung damals und bei auch bei weiteren politische Aktionen dabei.
Es war für uns eine sehr wegweisende und prägende Zeit, die damals vom Juz ausging. Dieses solidarische oder vielleicht auch teilweise mit sozialistischen Ansätzen. Irgendwann organisierte das Juz in den Sommerferien eine Radtour durch die Ardèche. Sigi Becker war damals schon ein beherzter Radfahrer und hat uns das so ein bisschen nahegebracht (Folgen bis heute, bei mir).
Aber – wir haben auch diese Aktion selbst organisiert, das Geld zusammengeschmissen in einen Topf, 100 Mark jeder und es wurde stets Alles zusammen entschieden, z.B. : heut’ Nacht machen wir Wildcamp, dann gehen wir auf den Campingplatz, dann kochen wir zusammen. Das war uns alles vorher nicht bekannt, dass man das auch so gerecht und in der Gruppe organisieren kann. Und die Erwachsenen, also die Sozis, sind auch nur ein Teil der Community, die uns das aber auch vorgelebt und nicht auf „Auge gedrückt“ haben.
Die Erfahrung, dass das so funktionieren kann, hat mich bis heute geprägt. Alles war anders, aber gerecht. Irgendwann kam dann die Schließung des Juz Heusweiler, was tun?-die Gang und ich haben dann im folgenden Sommer, die gleiche Geschichte nochmal organisiert, so eine Freizeit, selbstredend zu den gleichen Orten. Ohne Erwachsene diesmal, ich war gerade 17. Wir waren ja Teil der Gruppe und hatten daraus was an Erfahrung mitgenommen. Ich glaube dieser Grundgedanke von Solidarität und „wir machen das gemeinschaftlich und jeder hat das Gleiche vom Großen“, den hätten wir vorher sicherlich nicht gehabt.
Punkrock
Für uns war das Juz zu Beginn ein Treffpunkt für die Underdogs, Subkultur kannte ich als Begriff noch lange nicht. Komischerweise, wie vorprogrammiert haben sich all diese Leute dort eingefunden, und das waren nicht wenige. Kurze Zeit später bin ich dann mit älteren Besuchern das allererste mal auf einem Punkkonzert gelandet, das war 1982, ich war damals gerade 14. Im Juz ging es wie ein Lauffeuer rum, „ey, im Förster Juz in SB spielt am Samstag die bekannteste deutsche Punkband, SLIME, mein Cousin hat noch Plätze im Auto“.
Das Szenario während des Gigs und drum herum wirkte auf mich als Neuling völlig surreal, „beim ersten Mal tut’s immer weh“, heißt das in einem Song der Band Abwärts bezeichnend. Baby, 2. Initialzündung. Helge und mein Bruder, die zuhause sehnsüchtig auf die Schilderung der abendlichen Erlebnisse und auf mich warteten, fragten dann noch:“ Gurke, bleibst jetzt Punk? – …mal sehen, keine Ahnung.“
Wir interessierten uns alle für ähnlich gelagerte Sachen und das war im Grunde alles der Mikrokosmos Punkrock für uns zu bieten hatte. Ganz plötzlich stießen immer mehr Subkulturelle dazu, u.a. Helge Jungfleisch, heute bekannt von Steakknife und dem Karate Klub Meier. Die Freunde meines Bruders, all knapp 2 Jahre jünger, sozusagen dann schon – the next generation. Wir waren da schon die großen Checker, dachten wir zumindest selbstbewusst. Irgendwann hatten sich die Leute mit subkulturellem Anspruch alle im Juz verortet. Und siehe da, plötzlich war dieses Punk-Ding mehr als No Future, Destruktion und Provokation. Natürlich gab die Philosophie auch genau das her, sicherlich mit nachtragender Existenzberechtigung, aber urplötzlich auch die Erkenntnis, dass Punkrock ganz viel mit Aktivismus und DIY zu tun hat.
Diesem nihilistischem Punk- no Future – Ding, was anfangs den Fokus gab, zeigten wir relativ schnell den Blanken…Es gab so verdammt viel zu entdecken, klar in dieser Szene,
sicherlich recht bald auch Netzwerk, wir wollten Teil des Ganzen sein, unser Part dazu beitragen, in dem wir selbst aktiv werden mussten, zwangsläufig, so war das Gesindel damals aufgestellt, kidding. Dann erst wurde uns, durch das Mitmischen, bewusst, dass da Draußen ein großes Netzwerk existiert. Denn bislang stellte sich für uns Punk sein und in Punk sein, bloß als lapidares, kollektives und provozierendes Abhängen am örtlichen Marktplatz-Brunnen und Blöd-Aussehen, dar. Die Vorzeichen wurden geändert, wir nannten das Kind nun Hardcore und ab dann standen Aktivismus, Fanzines machen, Konzerte veranstalten und Bands gründen auf dem Stundenplan..
Fanzines
Über die Fanzines entstand dann langsam die Vernetzung in D , aber auch nach F, NL, Österreich, Schweiz und Belgien. Mein Freund Thomas und ich gaben dann vom Juz ausgehend auch ein kleines Heft namens „Pläbeu“ raus. Natürlich illegal erstellt auf dem Kopierer des Jugendamtes. Wir haben dann immer die Zeiten gesagt bekommen, wann niemand mehr da war, sind dann flott rein und haben gesagt: „…äh, fürs Juz Heusweiler!“ Das Mini-Mag wurde dann in Windeseile stapelweise kopiert. Klar haben wir das ausgenutzt, das war ja auch irgendwie Selbstverwaltung, mit nem kleinen Anarcho-Anteil, OK.
Und das ging dann wie ein Lauffeuer. Aus unserer kleinen Heusweiler Szene gibt es jede Menge Leute, die auch heute zum Teil noch in bekannten Bands spielen. Jeder hatte den Drang, einfach was zu machen. Der eine hat Kassettensampler herausgegeben, die Anderen haben Fanzines released. Fanzines gab es mehrere aus unserem Dunstkreis, die im Laufe der Zeit rauskamen.
Aber die Zentrale war immer das Jugendzentrum. Und das Juz war der Raum, für den schier nicht zu stoppenden Aktivismus, den wir dort auch ausleben konnten.
Irgendwann waren wir natürlich diesem Bereich Musik zugetan und in dem Zuge auch reichlich Kontakt zu Bands aufgenommen. Unsere Location, Venus sagt man heute, war dann unser Juz, das Heusweiler Juz, mit der genialen Möglichkeit, bei uns Gigs zu organisieren. Das war phänomenal. Feuer frei, los ging’s, wir waren gerade so 16 oder 17, und wir starteten mit den ersten Gigs. Zuerst Konzerte mit regionalen Bands, Sinalco Fluor S, Copies, Gin Tonic, was es damals so gab bei uns im Punk und New Wave Bereich. Aber dann auch schon gleich an überregionale Bands ran gewagt. Wie nochmals betont, Alles selbstorganisiert.
Sicherlich vieles ganz unbedarft improvisiert, aber die ganze Szene war ja improvisiert, und das war der Flair. Es gab einen kleinen Kellerraum, in dem wir auch später probten, aber völlig cool halt, schnell ne schlechte Bühne zusammen gezimmert und losgelegt. Gerade auch über diese Konzertaktivitäten sind Kontakte zu anderen Juzen und Akteuren im Saarland entstanden, insbesondere zum AJZ Homburg, weil es dort bekanntlich noch eine größere und aktivere Szene gab. Man machte dann Sachen zusammen, hat sich gegenseitig supported und auf Konzerten besucht.
Für mich stand schon immer diese wahnsinnig geniale Verbindung von DIY oder dem Aktivismusgedanke der Szene mit dem Bereich selbstverwalteter Jugendzentren, und die Möglichkeiten, die daraus erwachsen sind. Später dann, als wir mit der Band unterwegs waren, kamen auch autonome Jugendzentren oder besetzte Häuser dazu.
Das AJZ Hom war unbestritten zentral für die Szene, aber auch im Juz St.Ingbert fand damals einiges statt genau wie einigen umliegenden Juzen. Die Homburger haben wir früher schon über Meetings wie den Punktreff in SB kennengelernt. Den gab es jeden ersten Samstag im Monat auf dem dem St.Johanner Markt. Die Tote Hose in Rohrbach sollte als Schmelztiegel in diesen Tagen auch noch genannt werden. Die AJZler haben wahrhaftig eine phänomenale Arbeit gemacht. Die waren die Keimzelle für Hardcore in Europa, würde ich fast sagen. Dort waren die ersten Konzerte von später riesen Bands wie FUGAZI. Die hatten tatsächlich wahnsinnig viele Kontakte, und wir waren weitaus begeistert und haben dann versucht, das bei uns im Juz so im Kleinen zu kopieren mit unseren Konzerten.
Die ersten Bands
Von Anfang stand für uns fest, also sprechen wir mal von nem Grundgedanken oder Antrieb o.ä: Wir wollen da mitmachen in der Szene, wir wollen auch in einer Band spielen, auch ohne musikalische Vorbildung, don’t care, niemand war so richtig talentiert, wir kennen alle dieses Motto der drei Akkorde und „gründe ’ne Band“.
Sigi Becker war durchaus wichtig, der war musikalisch, der konnte Gitarre spielen. Ich hab dann den Sigi immer genervt, komm zeig doch mal. Irgendwann nahmen wir uns Zeit, sind in seinem Auto rumgefahren im Saarland und haben dann in Schmelz meine erste Gitarre gekauft, die hab ich heut noch, mein Opa zahlte, dem war Musik wichtig. Sigi hatte dann die Idee eines Gitarren – Workshops im Juz. Ausgepackt gleich: E, A, C und D und dann war natürlich „House of de rising sun“ -angesagt, als erstes Stück. „Jo, is klar!“ Leinen oder besser Saiten los, ich hab mich dann so reingebissen. In irgendwelchen ganz zwielichtigen und dubiosen Geschäften haben wir uns dann die ersten banddienlichen Instrumente in ganz schlecht besorgt. Es ging dann recht flott, wir haben uns einen kleinen Proberaum im Juz eingerichtet und in allmöglichen Konstellationen in Bands zusammen gespielt, immer wieder „durchgemischt“.
Sigi hat uns dann immer gepusht. Hartmut, der andere Jugendarbeiter, der selber in der Indie- und Undergroundszene verwurzelt war, hat uns stets mit Tonträgern versorgt, eine super wichtige Person für unsere musikalische Irgendwas – Sozialisation. Die Bands hießen dann „Rumfliegende Einwegflaschen“, „Saarkotzer“ und dann kam „Das Syndikat“. Anarchosyndikalisten halt, gaben uns den selbstauferlegten Anspruch von Politpunk, ich spielte erst Gitarre in den Bands. Mit der Band haben wir schon im Umfeld von Heusweiler gespielt, auch in Hom und mit Erfolgslose Attentatsversuche auch im Juz Neunkirchen. Erinnere mich noch, dass nach dem Gig alles im Arsch war, herrlich. Da wurde in der Nacht auch noch ein Haus besetzt. Das waren so die Anfänge.
Crowd of Isolated
1985 hatte diese beflügelnde Zeit dann ein jähes Ende, es kam zur Schließung des Juz und wir mussten uns anders organisieren. (siehe Artikel Nachrichten) Dieser Sudden Death war für uns ein vehementer Einschnitt. Tod für unseren Wirkungsraum. Und nicht nur weil wir da unseren Ü-Raum hatten, Fanzines zusammengeschustert haben, wo wir Konzerte organisiert haben, und ganz ganz vor allem weil wir uns da connected haben, zusammen nach vorne geschaut haben….viel mehr.
An besagtem Abend waren wir zum Proben verabredet, die verschlossene Tür ließ vermuten, dass der Abend anders verlaufen wird, als wir den Sticker „aus polizeilichen und hygienischen Gründen geschlossen. Der Bürgermeister“ vernahmen. Aber ich wollte in den Proberaum. Dann haben wir einfach richtig Radau gemacht, bis der Bürgermeister tatsächlich gekommen ist und wieder aufgesperrt hat, für …kurz.
Wir dann mit dem “Ziehwähnsche“ durchs Dorf, gefüllt mit der Backline der Bands dann schnurstracks ins Heusweiler Vereinshaus, die Eltern unseres Drummers Jürgen schmissen den Laden, und wir gleich mal unseren neuen Proberaum eingerichtet.
Die Tage des Juz Heusweiler waren definitiv vorüber – ab sofort gab es für uns eigentlich nur noch die Band. Kurz danach fiel der Startschuss von den Lauf von „Crowd of Isolated“, die wohl bislang bekannteste Band, in der ich gespielt hab. Meine schwarze Gitarre gab ich an meinen Freund Guschtel weiter, ab dann habe ich nur noch gesungen. Anfangs waren wir zu fünft, der zweite Gitarrist war aber definitiv zu musikalisch für uns, das bremst uns aus. Der konnte Noten lesen und wir dachten: das geht net, Jungs. Der Sound muss so schnell wie möglich und so laut wie möglich sein und bitte nicht mit Spaßbremsen wie Stimmen aufhalten.
Zu dem Zeitpunkt, so 86, waren wir schon sehr verwurzelt in der Szene, ständig auf Konzerten. Alle Akteure waren sehr gut vernetzt miteinander. Im Winter gab es dann z.B. in Ludwigshafen eine Art Punk-Festival über zwei Tage, wir kannten da einige der Organisatoren, unser Drummer meldete sich bei mir telefonisch, „Hey, kommt schnell vorbei, wir können morgen hier spielen“.
Sofort Papas Auto gekapert und los. Dort angekommen, dann direkt in einer riesigen Halle gespielt. Zu unserer völligen Überraschung meinten die Leute „ och sind die ja wohl krass“. Wir haben unser ganzes Set zweimal gespielt, wir hatten nur 8 Lieder.
Zufälligerweise war dann jemand aus Hanau anwesend, der uns ansprach, er mache auch Konzerte, es gäbe da ein besetztes Haus, das „Moulin Rouge“, das gibt es heute noch, ist heute ein autonomes Zentrum. „Bitte spielt doch da…äh, nächsten Samstag.“ In Hanau wiederrum haben wir erneut jemanden kennen gelernt und spielten dann in der darauf folgenden Woche in Offenbach. So ist das dann tatsächlich losgegangen und wir waren ab sofort ständig auf der Autobahn.
In schon öfter genanntem Netzwerk hatten die meisten Leute ihre Wurzeln in selbstverwalteten Jugendzentren oder auch autonomen Zentren. Und der Kern war damals das AJZ Homburg, wo wir dann auch ständig aufliefen. Unzählige Konzerte mit Bands aus ganz Europa und den USA, beinahe jedes Wochenende Leute aus München, Frankfurt, Stuttgart usw. vor Ort. Alles superaktive Szeneleute, die dann später auch das Fanzine Trust herausgegeben haben.
Einer der Gründer, Armin (RIP), betrieb ein kleines Plattenlabel, er fand uns gut und fragte irgendwann, ob wir Interesse an der Veröffentlichung einer LP hätten. Klar! Vorher hatten wir schon eine Kassette herausgebracht, im Tonstudio des alten Juz Homburg aufgenommen.
Ich kann mich noch dran erinnern, als wir die erste Platte in der Hand hatten, krass wir haben eine LP, wir haben doch grad erst angefangen. Waren natürlich irgendwie stolz, und ich weiß noch, dann sind wir zu Sigi Becker gefahren. Der schmiss gerade eine Party, wir liefen da auf und haben ihm die Schallplatte überreicht, so mit dem Spruch: Sigi, mit dir hat alles angefangen.
In der Retro betrachtet, fügte sich glücklicherweise Einiges und Essentielles zusammen damals. Der Zeitgeist und dann die Möglichkeit, die Juzen zu nutzen. Es war ja nicht mehr die Hochzeit der Jugendzentrumsbewegung, aber die Strukturen waren gelegt, und da war eine unheimlich aktive Szene oder Subkultur, die dies zu nutzen wusste und schätzte. Ganz exzessiv war das bei mir nur ein kurzer Zeitraum, aber ein entscheidender Zeitraum. Dieser Grundgedanke, dass dieses Punkrock-Ding mit DIY und mit Subkultur zu tun hat und in Räumen stattfinden muss, die selbstverwaltet sind, der ist eigentlich immer noch da. Die DIY-Kultur wäre ohne die selbstverwalteten Räume nicht möglich gewesen und wurde auch dort ausgelebt. Es gibt viele Läden, die ich schon seit 30
Jahren kenne, irgendjemand scheint da nachzuwachsen. Es gibt immer nochmal junge Menschen, die sich da einbringen und diesen Gedanken weitertragen.
Vom Punk zur Jugendarbeit
Ja, wie kam ich eigentlich zur Jugendarbeit? Ich hab nach der Schule klassisch eine Ausbildung gemacht, Groß- und Außenhandelskaufmann. Das war vom ersten Tag an so widerlich, ich hab dann die Prüfung vorgezogen. Dann kam der Zivildienst, das war ja damals relativ lang. Bei der AWO hab ich verschiedene Jobs gemacht und dann auch im Kinder- und Jugendsanatorium.
Freizeitprogramm war da mein Job und Sportangebote…und das hat mir gelegen. Da gab dann Zusammenhänge. Natürlich hatte ich das Juz-Ding schon immer drin gehabt, hab gedacht, das ist eigentlich ein cooler Job der Sozialarbeitern im Juz. Irgendwann war dann diese logische Entscheidung: was muss für Juz-Job machen, ich studiere Sozialarbeit. Da war ich 24.
Ich bin dann für 4 Jahre nach NRW/ Siegen und hab Außerschulisches Erziehungs- und Sozialwesen studiert. Ziel war es allerdings nur in nem Juz zu arbeiten. Und ich hab es auch irgendwie geschafft, das gesamte Studium so zu belegen, dass alles darauf aus gerichtet war.
Ich war immer Jugendarbeiter und nie Sozialarbeiter. Sicherlich auf die eigene Bio im Dunstkreis Juz zurück zuführen. Das war diese unausgesprochene Erkenntnis, dass die Zeit im Juz mich so sehr geprägt hat, dass es eigentlich gar keine anderen Job für mich geben kann. Nach dem Studium bin ich dann hier in der Abteilung gelandet, seit 27 Jahren jetzt. Ich war dann als Anerkennungspraktikant im Juz Sulzbach, dann im Juz Folsterhöhe. Hatte plötzlich eine Festanstellung und zum ersten mal Geld. 2000 bin ich dann zum Juz Klarenthal gewechselt. Das war damals viel dörflicher. Dort in dem kleinen Laden ließen sich auch viele Konzerte organisieren.
Über die Gigs tauchten auch Leute dort dann Leute auf wie der Sebastian Haas (seit 2009 Mitarbeiter bei juz-united), der war bester Freund vom damaligen Zivi. Diese jüngeren Leute haben dann auch dort und an anderen Orten Konzerte organisiert. Andere Szeneaktive aus Saarbrücken gesellten sich und fragten ebenfalls, ob sie hier Konzerte organisieren könnten. Das Juz war dann wieder Szene-Konzertort, und es spielten mindestens auch fünf amerikanische Bands dort. Natürlich auch über meine eigenen noch vorhandenen Kontakte, …witzige und spannende Zeit.
Bekanntermaßen kam es dann in Klarenthal auch wieder zurück zur Selbstverwaltung, was ich gut fand. Mein Grundverständnis von Offener Kinder- und Jugendarbeit ist ja ein Verständnis von Partizipation und Beteiligung und nicht: komm mal ins Büro und ich berate dich.