„Mein“ AJZ
Anfang der 1990er – im letzten Jahrtausend – spülte es mich ins mir bis dahin unbekannte Saarland, kompletter Neustart.
1994 betrat ich das AJZ zum ersten Mal: ein Hardcore Kumpel nahm mich mit zum Yuppicide Konzert. Zuerst war ich verschüchtert: der Laden rammelvoll mit hochenergetischen Hardcore Fans. Für mich ein bisschen beängstigend und faszinierend zugleich. Sehr beeindruckend jedenfalls!
Ein Jahr später war das AJZ nicht mehr aus meinem Leben wegzudenken als superwichtiger Ort (spät)adoleszenter Sozialisation inmitten von DIY, Anarchie, Hardcore, Punk, schwarz-bunten Tanzvergnügungen, Konzerten, politischer Diskussion und Antifa (Wobei sich Anarchie & Antifa leider allzuoft als Antipoden gegenüberstanden, statt an einem Strang zu ziehen – aber das ist eine andere Geschichte). Der leicht marode Charme des Hauses am Rande des Güterbahnhofs, dessen Mikrobiom sich nicht nur in meinem Leben nachhaltig häuslich niedergelassen hat. … Die beim Gedanken an die gute alte Zeit im AJZ leuchtenden Augen der mittlerweile faltig und silbrig gewordenen Hood sprechen Bände.
Sehr coole Bands haben wir dort erlebt: EA 80, Fliehende Stürme, Meister Rachut in verschiedenen Formationen, die Rasenden Leichenbeschauer, die sich nach Bad Homburg verfahren hatten & deren Vorband Aurora gefühlt 10 Mal ihr komplettes Set zum Besten gaben, bis die Leichenbeschauer dann gegen 2h nachts endlich auftauchten & aufspielten. Eine sehr lange Konzertnacht war das! Und x 100 Konzerte mehr.
Und natürlich die ganzen VVs & VoKüs mit immer wieder – liebevoll zubereitetem – Reis mit Scheiß. Angst vor Nazi Attacken. Durchzechte Nächte. Die unvergesslichen Übernachtungsräume hinter der Stahltür. Verschwitzt vom Tanzen. Verliebt. Verheult. Verkatert. Immer ein bisschen verrückt. Abseits vom Mainstream in einem coolen Freiraum, eine Art Paralleluniversum.
Und nach den Partys & Konzerten im Sommer nächsten Tags an den Jägersburger Weiher. Seltsamerweise nie nach den Partys aufgeräumt, sondern vor der nächsten. Was den Ekelfaktor deutlich potenzierte. Komisch, da waren wir echt unpragmatisch & haben gekonnt den zu antizipierenden Ekel auf das Zukunfts-Wir prokrastiniert. Prädikat „nicht empfehlenswert“.
Ende der 1990er hatten wir dann die Alte Feuerwache in Saarbrücken ergattert, das AJZ der nächsten Generation überlassen. Die weiterhin den Laden mit Leben erfüllte. Wir als dankbare Gäste.
Mein letztes AJZ Highlight, von der nächsten Generation organisiert: die Chaostage Filmarbeiten mit Konzi, supervielen Leuten, mein erstes Kind im Bauch, deshalb blieb ich lieber draußen am Feuer statt wild drinnen abzufeiern. Auch sehr schön.
Fast 30 Jahre später leuchten meine Augen, hüpft mein Herz immer noch, wenn ich an diese wunderbare wilde & freie Zeit denke mit ihren vielen kleinen & großen Geschichten.
Die Hood von damals zersprengt, weggezogen, dageblieben, in andere Leben gespült, das Leben verlassen, mit einigen noch in gutem Kontakt. Konzerte & Discos immer wieder wie kleine und große „Klassentreffen“. Das AJZ stirbt erst, wenn es keine Erinnerung mehr daran gibt: Les fauves s´enfirent, des mémoires restent.
Dieses – völlig subjektive – Hohelied aufs AJZ darf natürlich nicht die Wichtigkeit des Juz St. Ingbert außer Acht lassen. Tatsächlich ist das Juz IGB das erste selbstverwaltete saarländische Juz, in das ich je meinen Fuß setzte. Das mit seiner heiligen Plakatwand bis heute als letzte Bastion dieser großen Zeit erfreulicherweise immer noch steht & in seinen Mauern ein ähnliches Mikrobiom beherbergt. Und immer wieder junge Menschen in seinen Bann zieht, die etwas verändern wollen an der durchgetakteten funktional-kommerziellen Konsumgesellschaft, die ihre neoliberale Fratze immer deutlicher zeigt… Also: bleibt realistisch & tut das Unmögliche!
Nits Rek