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Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung e.V.

Vom Selbermachen

Ich will mich erinnern:
Meine eigene, selbstverwaltete (Frei-) Zeit begann 1968. Ich war damals 16 und gerade dem moralisierenden Regime der Katholischen Kirche entronnen.
In Berlin, Frankfurt, Paris, Prag und Chicago blühte die Revolte und auch Saarbrücken hatte Teil an diesem kulturellen und politischen Infragestellen des Tradierten.
Mein erstes „JUZ“ war also eine Nische im Republikanischen Club in der Karcherstraße, einem Treffpunkt und Bildungsort der außerparlamentarischen Opposition. Dort trafen wir uns, einen sozialistischen Schülerbund zu gründen, die Frühschriften von Marx zu kapieren, Aktionen zu planen und nicht zuletzt unsere knospende Sexualität zu erproben.

Kulturelle Inspiration atmeten wir unmittelbar: Franz Josef Degenhardt lebte in Saarbrücken und konzertierte hautnah in Kneipenhinterzimmern. Als die Schulabschlussfahrt nach Berlin anstand, fragte ich ihn nach Wolf Biermanns Adresse. Er schaute in sein Adressbüchlein und nannte mir die Chausseestraße 131. Vierzehn Tage später klingelten ein Freund und ich an Biermanns Tür und wurden eingelassen. Es war prägend, dass wir als 17-jährige ernst genommen wurden. Biermann präsentierte uns live seine später bei Wagenbach veröffentlichte LP . Wir sprachen über die Schulsysteme hüben und drüben und über Gefahren und Nebenwirkungen des Rauchens; er paffte Lord Extra aus dem Intershop, ich Schwarzer Krauser … „und Che Guevara habe, ob ich das wüsste, an Asthma gelitten“. Mein Freund Michael war Nichtraucher.

Das war wohl meine Initiation in die Liedermacherei … und damit ein Schritt weg von der Kommerzkultur. Der „Bitterfelder-Weg“ , der frühen DDR, war mir damals noch nicht im Blick, aber schon antizipiert: Kultur nicht exklusiv, sondern vermittelnd und offen für alle.

In den folgenden Jahren versuchte ich immer wieder, kulturelles und politisches Engagement miteinander zu verbinden. In der Anti-AKW-Bewegung, der Friedensbewegung, in Unterstützung von basisdemokratischen Projekten und Initiativen. Darüber entstand Anfang der 80er Jahre im Kontakt zur Jugendzentrumsbewegung, zu saarländischen und luxemburgischen Bürgerinitiativen und zum Bund deutscher Pfadfinder, Rheinland-Pfalz der konzertierte Widerstand gegen den im Bau befindlichen Atommeiler in Cattenom. Wir trafen uns kontinuierlich an Pfingsten in Remerschen, dem Platz des verhinderten luxemburger AKWs, auf der Schengerwiss. (siehe Ballade von der Schengerwiss in der Sidebar)

Biotope der Autonomie

Selbstverwaltete Jugendzentren, Bürgerinitiativen, Genossenschaften, diese Biotope der Autonomie, waren Modelle einer weiter gefassten Demokratie und Teilhabe, als dies der Parlamentarismus anbot. Auch die ökonomische Krise dieser Jahre führte zu neuen Antworten seitens der Arbeiterinnen und Arbeiter. Die akzeptierten mancherorts nicht mehr den Rausschmiss durch die Eigner, sondern besetzten die Betriebe und produzierten selbstverwaltet weiter. Nicht nur in der Uhrenfabrik LIP im französischen Jura. Die Besetzung des Drahtwerks Heckel in Burbach war eine wichtige Erfahrung. Trotz großer Sympathie in der Burbacher Bevölkerung für die Heckel – Leute scheiterte dieser Versuch auch an der mangelnden Unterstützung durch die IG Metall. Die wollte keine selbstbestimmten, „wilden“ Aktionen, die sich der Kontrolle der Gewerkschaft entzogen. Die Weihnachtfeier im besetzten Betrieb (1982) war eine eindrückliche Demonstration des Selbstbestimmungswillens und der Solidarität. (siehe Heckel-Lied in der Sidebar)

Kulturarbeit beim VSJS

So lag es nahe, nicht mehr Germanistik und Philosophie, Stichwort Kultur, sondern Sozialarbeit zu studieren. Das schien mir politisch richtiger und konsequenter. Horst Eberhard Richters Buch: Flüchten oder standhalten, tat das seine. Neue Ansätze wie Stadtteilarbeit und Gemeinwesenprojekte überwanden die individualisierte Hilfe und setzten Armut, mit all ihren individuellen Folgen, in einen gesellschaftlichen Zusammenhang, den es zu analysieren galt, um die Ursachen des Elends zu erkennen und zu verändern. Das war der Fokus, den mir die 68er nahe gelegt hatten.

Nach einem motivierenden Vorpraktikum im Stadtteilbüro des Diakonischen Werks, sechs Semestern Sozialpädagogik in Ludwigshafen, wobei ich, gefühlt, die Hälfte der Zeit für selbstbestimmte Projekte nutzte, Straßenmusik und Konzerte allein und mit Freunden, Reisen in die Gebiete des regionalistischen, ökologischen Widerstands (Okzitanien, Euskadi, Oberrhein und anderswo).

Die Diplomarbeit schrieb ich über Kulturarbeit und Sozialarbeit und machte dann mein Anerkennungsjahr beim Jugendamt des Stadtverbands Saarbrücken, schwerpunktmäßig im Selbstverwalteten Jugendzentrum Heusweiler. Ein schwieriges Unterfangen, da sich im JUZ gerade ein Generationenwechsel vollzog und wir Hauptamtlichen, die die Kontinuität der Selbstverwaltung unterstützen wollten, von der Kreisverwaltung eingesetzt und bezahlt wurden, die, ihrer Struktur gemäß, auf Hierarchie und Kontrolle setzte. Die Konflikte waren also absehbar.

Nach Ende des Jahrespraktikums und damit der staatlichen Anerkennung war ich erst mal arbeitslos. Es war eine Zeit der Sparpolitik, insbesondere im sozialen Bereich. Auch hier organisierten wir autonom einen „Aufschrei“, der, obwohl lautstark, wenig Gehör fand.
Die Rettung nahte in Form der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen des Arbeitsamts (damals noch keine Agentur für Alibi-Angebote und Leistungsabbau). Der Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung bekam vom Arbeitsamt die Zusage der Finanzierung der Stelle eines Kulturreferenten, für zwei Jahre. So konnte ich Januar 1983 meine Zelte in der Feldmannstraße 92 aufschlagen (Nachrichten,Nr. 47). Es folgte ein spannendes Arbeitsjahr, die Vernetzung mit anderen Kulturmenschen, die Initiative Kultur in die Provinz ( was im Saarland in Ermangelung veritabler Metropolen, schwer einzugrenzen war), das Provinz-Ballawer auf der Siersburg (Nachrichten Nr.50, S.28/29), das Konzept für ein Kultur- und Adressbuch für das Saarland, die Koordination des Anti-Cattenom-Treffens in Remerschen, die Mitarbeit an den Nachrichten und viele gute und anregende Gespräche mit den Leuten aus der JUZ-Bewegung.

 

So hätte es weiter gehen können, aber …

Zum Jahresbeginn ‘84 schrieb der Stadtverband Saarbrücken eine unbefristete Sozialarbeiterstelle für’s JUZ in Heusweiler aus. Ich bewarb mich und wurde genommen. Letztendlich war die vermeintliche Sicherheit einer unbefristeten Stelle (für den expandierenden Familienvater) ausschlaggebend; in den Konsequenzen ein Riesenfehler.

Die oben angesprochenen Konflikte zwischen JUZ-Verein und Verwaltung, dazwischen wir Hauptamtliche mit klarer Sympathie für die Selbstverwaltung, waren nicht lösbar. Darüber hinaus hatte die CDU-Administration ein Interesse, das Projekt selbstverwaltetes JUZ Heusweiler zu beenden. Im Oktober wurde das Jugendzentrum dicht gemacht. Ein bis dahin buntes Bildungs-, Kultur- und nichtkommerzielles Freizeitangebot für die Heusweiler Jugendlichen fand ein schnödes Ende. (Nachrichten, Nr. 59) Immerhin existieren die Punkrocker, denen ich die ersten drei Gitarren-Akkorde gezeigt habe und die im JUZ-Keller proben und sich entwickeln konnten, noch heute. (siehe Liedtext ´S gibt Träume in der Sidebar)

Selbermachen klingt vielleicht nach übertrieben individualistischer Anmaßung, was sich im Lauf der Zeit relativieren sollte. Selbermachen bedeutet ja immer auch Kooperation und Konsensfindung mit anderen, die am gleichen Thema arbeiten. Zusammenarbeit in Freiheit und gegenseitige Hilfe erscheinen mir, nach wie vor, als Möglichkeit, aus dieser neoliberalen Geisterbahn auszusteigen. 

Aber das sind die Entscheidungen und Kämpfe der kommenden Generationen. 

Sigi Becker

Ballade von der Schengerwiss

Wir sind hinausgefahren
Rauf ins Dreiländereck
Und haben auch erfahren
Wie gut die Freiheit schmeckt
Drei Tage und drei Nächte
Im Schnittpunkt der Region
Wir sagen JA zum Leben
Und NEIN zu Cattenom

Auf der SCHENGERWISS liegt der Reaktor auf Eis
Da blüht der Löwenzahn
Wir leben hier und schützen uns
Vor Gift und Größenwahn

In Cattenom stehn Kräne
Und LKWs rolln an
Der Stahlbeton wächst himmelwärts
Wer so hoch reichen kann?!
Da hab’n wir uns getroffen
Weil uns der Arsch abgeht
Wenn erst der Wind von Westen
Die Strahlen ‘rüberweht

Mit Liedern und Gelächter
Das war ein bunter Zug
Pfingstmontag an die Grenze
Und war doch nicht genug
Die machen ja die Grenzen
Uns vor der Nase dicht
Der Strahletod kann rüber
Die Menschen aber nicht

So bauen die Europa
(Banken und Industrie)
Die CRS hält uns in Schach
Wie blödes Wählervieh
Trotz Bullen und Schikanen
Wir werd’n für die zur Qual
Wir treffen für uns selber
Jetzt eine neue Wahl

Die Mosel schreibt den Bogen
Sacht durch das Rebental
Schlüpft dreimal durch die Grenzen
Die sind der scheißegal
Nach drei verfluchten Kriegen
Ist das unsre Lektion
Statt nationaler Lügen
Die Einheit der Region

Die neuen Herrn im Elysée-
Palast – ganz ungeniert
Die halten fest am alten Plan
Der uns den Tod serviert
Das werden wir nicht schlucken
Wenn wir uns einig sind
In Plogoff und auf dem Larzac
Weht heut ein andrer Wind

Wir sind hinausgefahren
Rauf ins Dreiländereck
Und haben auch erfahren,
Wie gut die Freiheit schmeckt
Und werden wiederkommen
Es ist noch nicht zu spät
Der Weg der Sonne zeigt uns
Wohin die Reise geht

Sommer 1981
Nachtrag im Mai ‘86

Wir sind hinausgefahren
Das ist ein altes Lied
Und haben jetzt erfahren
Was bei ’nem GAU geschieht
Aus einiger Entfernung
In Tschernobil im Mai
Wenn Cattenom zur Hölle fährt
Dann sind wir live dabei

Mensch in Cattenom geht der Reaktor ans Netz
Und unberechenbar
Gigantisch und zur Fürchten nah
Droht uns der Strahlentod

Heckel-Lied

In Burbach, da ist dicke Luft
Die kommt nicht aus den Schloten
Die kommt, weil manche spekuliern
Mit Arbeitslosenquoten
Die einen werden wegsaniert
Und Angst macht viele kälter
Die andern quasseln parfümiert
Und fressen Steuergelder
Und zwischendrin und schwer auf Draht
Die HECKEL-STAHLARBEITER
Die haben den Betrieb besetzt
Und produzieren weiter
Auf eigne Faust und ohne Chef
Die kämpfen für sich selber
Die brauchen keinen Vormund nicht
Zur Schlachtbank gehn bloß Kälber


Die wollen nicht
Daß aus dem Draht
Die Schlinge wird
Die Menschen fängt
Die klagen ein
Ihr gutes Recht
Das kriegst du nicht
Geschenkt


Das geht jetzt schon paar Wochen lang
Und zehrt an Kraft und Nerven
Das ist nicht einfach durchzustehn
Das Handtuch nicht zu werfen
Wenn rings der Himmel düster wird
Von täglichen Prognosen
Und immer mehr die Schlange stehn
Im Heer der Arbeitslosen


Doch blüht auch SOLIDARITÄT
Und schau, die HECKEL-FRAUEN
Die bleiben nicht daheim am Herd
In Glauben und Vertrauen
Daß es der Herr wohl richten wird
Die bringen’s auf den Nenner:
Daß wir die Krise überstehn
Braucht’s MENSCHEN, nicht bloß Männer…

Beim Hungerstreik im Sommer, da
Konnt’st du ein’n Windhauch spüren
Das sind die Herrn nicht mehr gewöhnt
Daß Arbeiter sich wehren
Und machten einen Schritt zurück
Und auch viel fromme Sprüche
Die Stahlarbeiter aber wollen Butter bei die Fische
Die Seifenblase platzt im Herbst
Versprechen werden Lügen
Das ist das Wolfsgesicht der Herrn
Die über uns verfügen
Die HECKEL-LEUTE aber geben
Nicht klein bei und bleiben
Die lassen sich nicht ohne Not
Vom Arbeitsplatz vertreiben

In Burbach, da ist dicke Luft
Und wird noch dicker werden
ACH, komm mir nicht mit Weihnachtsschmus
Und Frieden hier auf Erden
Verträum nicht unterm Tannenbaum
Beim Singen und beim Beten
Die Chance jetzt selber was zu tun
Soll Burbach weiterleben


WIR WOLLEN NICHT,
DAß AUS DEM DRAHT
DIE SCHLINGE WIRD
DIE MENSCHEN FANGT
WIR FORDERN UNSER
GUTES RECHT
DAS GIBTS JA NICHT
GESCHENKT

´S gibt Träume

’S gibt Träume, die vergehen
Noch eh du aufgewacht
Doch mancher Traum ist stärker
Als diese lange Nacht
Den Traum vom freien Menschen
Den träum’ ich auch am Tag
Solang mein Kopf noch grad’ sitzt
Und ich zu hoffen wag’

Ja Zeiten gibt’s des Zweifels
Und Fragen ohne Zahl
Ich fühl mich nicht zuhause
Im deutschen Wartesaal
Doch heißt ne schlichte Wahrheit
Wer sich nicht rührt bleibt stehn
Und wer dem Herrn den Arsch küßt
Wird mit ihm untergehn

Y a des rêves qui passent
Avant que tu t’éveilles
Mais y a des rêves plus fort
Que cette longue nuit
La liberté humaine
J’en rêv’ également le jour
Tant que je garde l’espoir
Tant que je suis debout

Den Traum vom freien Menschen
Den träum’ ich auch am Tag
Solang’ mein Kopf noch grad’ sitzt
Und ich zu hoffen wag’