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Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung e.V.

„Es lebe der Homburger Mob!“

Das AJZ Homburg Mitte der achtziger bis Anfang der neunziger Jahre

Anfang der achtziger Jahre beherrschte eine politische Eiszeit das Weltklima: Nato- Doppelbeschluss, Pershing 2, SS20 – ein „Gleichgewicht des Schreckens“ sollte für Frieden sorgen. In Washington wurde ein mittelmäßiger Schauspieler zum mächtigsten Mann der westlichen Hemisphäre, in Westdeutschland ein gewichtiger Pfälzer zum Bundeskanzler gewählt, die sowjetischen Truppen hatten Afghanistan besetzt und die Angst vor einem alles vernichtenden Atomkrieg lähmte die Welt.

Prisunic-Platz mit Mob

Diese historischen Fakten sollen keine Einführung in die Geschichte des 21. Jahrhunderts sein, sondern nur diesen Satz erklären: SCHWEIGEN FÜR DEN FRIEDEN. Jeden Donnerstag, 17:00 Uhr, in Homburg auf dem Christian-Weber-Platz (im Volksmund „Prisunic-Platz“, nach der französischen Warenhauskette, die früher dort eine Filiale unterhielt). Irgendwann 1983 schleppte mich mein bester Kumpel Jochen K. mit zu dieser Veranstaltung. 20 Menschen im Kreis. Hand in Hand. Schweigen. Oh Mann, ist das peinlich. Aber irgendwie auch wieder wichtig. Ist ja für den Frieden. Einen Monat später sollte ich mit zur Sitzung der Friedensgruppe Homburg Aktionen besprechen – geschwiegen wurde die restliche Zeit ja genug. Treffpunkt war das „Open House“ in der Homburger Birkensiedlung.

Das Open House war eine ehemalige Kapelle, eine Hinterlassenschaft der US Army oder irgendeiner Sekte, keiner wusste das so genau. In den frühen siebziger Jahren wurde dieses Gebäude Jugendlichen und freien Gruppen als Treffpunkt zur Verfügung gestellt. Sehr zum Unwillen der Bewohner der Birkensiedlung, denn seit kurzem hatten sich so genannte „Punker“ eingenistet. Die „Punker“ bezeichneten sich selbst als „Punks“ beziehungsweise als „Homburger Mob“ und mein erstes Zusammentreffen mit ihnen sollte meinen Kampf für den Weltfrieden abrupt beenden. Eigentlich wollte ich mir nur kurz was zu trinken holen – die Theke befand sich im ersten Geschoss des Open House. „Sind so kleine Biere“ von Daily Terror schepperte aus einem Kassettenrekorder in der Ecke und die Tüpen, die auf den Sofas und Barhockern herumlungerten, sahen echt verboten aus. Geil. Punks. Hab’ ich schon mal im Fernsehen gesehen.

Open House mit Mob

Kurzer Einwurf: Meine musikalische Sozialisation begann Weihnachten 1979 mit einem Poppy-Rekorder. Mono, selbstverständlich. ABBA, The Beatles, Suzi Quattro und Smokie waren damals meine Favoriten. Mein älterer Bruder, der eine echte Stereo-Anlage (tabu für mich) inklusive Lichtorgel besaß, stand auf Supertramp, Emerson Lake & Palmer, Alan Parsons Project und Pink Floyd. 1983 kratzte ich mein Taschengeld zusammen und kaufte mir meine erste Akustik-Gitarre. Mit meinen Cousins Jürgen und Ralf, die gleich um die Ecke wohnten, gründete ich Kasperle Eingeweckt. Ihr Vater, der früher sein Gehalt als Tanzmusiker aufgebessert hatte, besaß einiges an Equipment: eine Echolette Gesangsanlage, eine Farfisa-Orgel und eine „echte“ Elektro-Gitarre stand auch noch irgendwo in der Ecke. Kasperle Eingeweckt war unsere Antwort auf die Neue Deutsche Welle, die wir hassten wie die Pest. Boston, Barclay James Harvest, Yes und Genesis – das war echte Musik. NDW so ein Quatsch – das können wir auch. Also legten wir los und machten Krach. Und wir zeichneten das Ganze mit dem Kassettenrekorder auf. Einwurf Ende.

Von Barclay James Harvest zu den Sex Pistols. Ein gewagter Schritt. Aber wenn die Pubertät einsetzt und die Drüsen Hormone galore produzieren, ist anscheinend alles möglich. Kurz nach meiner ersten Begegnung mit dem Homburger Mob lernte ich Rainer B. kennen. Er hatte auf meiner damaligen Schule sein Abitur gemacht und begann gerade sein Germanistik-Studium. Rainer war nicht unbedingt das, was man als „Winner-Typ“ bezeichnet, sein Kleidungsstil war äußerst fragwürdig und Akne seine ständige Begleiterin. Aber er war nett, er besaß eine riesige Plattensammlung und – was fast noch wichtiger war – ein eigenes Auto. Throbbing Gristle, TV Personalities, Pere Ubu, Die Tödliche Doris, DAF, Wirtschaftswunder, The Clash, Sex Pistols, P.I.L., Cockney Rejects, The Damned – für mich tat sich eine völlig neue, musikalische Welt auf. Er war begeistert von unseren Aufnahmen mit Kasperle Eingeweckt, wollte seine Connections spielen lassen und das ganze bei Wartungsfrei, dem vermutlich ersten saarländischen Underground-Label – betrieben von Walter Mitty und Gregor Braun, unterbringen. Nachdem meinen Cousins die Kasperle-Eingeweckt-Geschichte zu albern wurde stieg er in die Band ein und nahm mich mit auf Konzerte in die „Tote Hose“ in Rohrbach, ins Saarbrücker „Wellblech“, ins „JUZ Überherrn“ und andere Clubs.

Rainer Berni

Zurück zum Open House. Auch hier fanden einige Konzerte statt: Deutschpunk-Exoten wie
Biggy Fozz und Harnröhrer, aber auch bekanntere Namen wie Upright Citiziens und Neurotic Arseholes. Das Konzert mit Neurotic Arseholes war in zweifacher Hinsicht denkwürdig. Zum einen beendete ein Homburger Polizist, der wegen einer Lärmbeschwerde gleich mit einem ganzen Tross von Kollegen angerückt war, das Konzert mit den Worten „Wir wollen keine Berliner Verhältnisse“ – die Dienstwaffe im Anschlag. Zum anderen sprintete ein verwirrter Konzertbesucher (man sagt er hätte regelmäßig Drogen konsumiert) fünf Kilometer nach Hause und kam mit einer Axt zurück, um sie dem Sänger von Neurotic Arseholes überzuziehen. Ist nicht gelungen. Zum Glück. Die Konzerte und die anschließenden „Exzesse“ waren auch der Grund für die Schließung des Open House 1984.

Neurotic Arseholes mit Schutzmann

Der Hartnäckigkeit des Homburger Mobs, der seit der Schließung ständig vor dem Homburger Rathaus campierte und etlicher Initiativen, die ausdauernd Eingaben bei der Stadtversammlung einbrachten, war es zu verdanken, dass 1985 mit der ehemaligen Ballettschule Rozek am Homburger Hauptbahnhof ein neuer Treffpunkt geschaffen wurde: die Geburtsstunde des AJZ Homburgs.

Fast zeitgleich mit der Eröffnung des AJZ Homburg fand ein Wandel in der  internationalen Punkszene statt – „Hardcore“ hieß die neue Bewegung und hatte nichts mit den gleichnamigen Filmerzeugnissen zu tun. „Positive Thinking“ statt „No Future“, politische Aktionen statt Komasaufen, Skateboards statt Lederjacken. Ein wahrer Tsunami neuer Bands, insbesondere aus den USA, brach über uns herein: Minor Threat, 7 Seconds, MDC, Government Issue, Youth of Today, Circle Jerks, Jody Foster Army, Suicidal Tendencies, Agnostic Front, Youth Brigade, Gorilla Biscuits, neben schon etwas älteren Bands wie Black Flag, Dead Kennedys oder Bad Brains, die zu diesem Zeitpunkt einen riesigen Popularitätsschub erfuhren. Ganz Europa wurde von der Welle erfasst und insbesondere in Italien wurden viele neue Bands dieser Stilrichtung gegründet: Negazione, Cheetah Chrome Motherfuckers, Kina, Indigesti, Raw Power – um nur einige zu nennen. Aber auch in Deutschland entstanden viele neue Bands wie Jingo de Lunch, Spermbirds, Hostages of Ayatollah, Everything Falls Apart, Tudo Hospital. Viele der genannten Bands waren in den Jahren 1985 bis 1988 im AJZ Homburg live zu sehen und in dieser Zeit war das AJZ eines der bekanntesten Läden in Südwestdeutschland. Viele Hardcore-Fans aus Städten wie Frankfurt, Stuttgart oder München zog es damals nach Homburg.

Spermbirds im AJZ am Güterbahnhof

Das AJZ war meine zweite Heimat, hier verbrachte ich den Großteil meiner Freizeit, half mit, Konzerte zu organisieren, bediente das Mischpult der etwas unterdimensionierten Gesangsanlage, stand vor und hinter der Theke, probte mit meinen Bands – zuerst Challenger Crew danach 2BAD – und mit meinem Bandkollegen Thomas H. richtete ich unser erstes kleines Tonstudio im Keller des AJZ ein.

Neben den üblichen Schwierigkeiten mit der Nachbarschaft waren in dieser Zeit die Angriffe von Fußball-Hools und Neonazis das größte Problem. Es gab kaum ein Wochenende, an dem es nicht zu Pöbeleien oder Schlägereien kam. In Erinnerung geblieben sind mir die Worte eines Punks aus Frankfurt, der bei einem Angriff dieser Hohlbirnen auf ein gerade stattfindendes Konzert, zunächst zu einer Eisenstange griff, diese aber mit dem Kommentar „Ich will ja niemanden umbringen, nur ernsthaft verletzen“ gegen einen Holzknüppel austauschte.

1988 musste das AJZ einer Umgehungsstraße weichen. Der Frust über die Kündigung eskalierte in einer legendären Abrissparty, von der ein Foto eine Single meiner Band 2BAD zierte. Nach einer Übergangslösung in der Gerber-/Ecke Richard-Wagnerstraße, fand das AJZ in einer ehemaligen Lagerhalle am Homburger Güterbahnhof eine neue Heimat.

Auch hier gab es bis 2009 unzählige Shows mit Bands wie Cro-Mags, HardOns, Cosmic Psychos, Nomensno, Verbal Assault, Yuppicide zu sehen. Nach einem Umzug in die Lappentascher Straße in Homburg-Erbach war dann 2013 endgültig Schluss mit dem AJZ.

Im restlichen Saarland gab es in den 80er und 90er Jahren natürlich auch viele andere selbstverwaltete Jugendzentren, in denen Punkrock, Hardcore, Indie und andere Musikstile jenseits des Mainstreams eine Nische fanden. Das JUZ Dillingen zum Beispiel oder das JUZ St. Ingbert, das schon seit den frühen siebziger Jahren Konzerte veranstaltete und zu den ältesten selbstverwalteten Jugendzentren Deutschlands gehört. Im P-Werk in Blieskastel konnte man in den Neunzigern ebenfalls einige Punk- und Harcore-Shows erleben. Genau wie im JUZ in Merzig und in vielen weiteren Jugendzentren im Saarland.

Meine aktive Zeit als „JUZler“ endete Anfang der 90er – Umzug nach Saarbrücken, Versuche, als Musiker, Tontechniker, Stagehand oder Barkeeper meine Brötchen zu verdienen, später ein Studium an der FH, … ich hatte aber noch viele Kontakte mit der JUZ-Szene bei Konzertbesuchen und Auftritten mit meinen Bands.

In der Szene der selbstverwalteten Jugendzentren stand und steht der Do-It-Yourself Gedanke im Mittelpunkt: Bands engagieren, Flyer und Plakate entwerfen, kopieren und verteilen, Sound-und Lichtanlage besorgen, Schlafplätze für Musiker und Freunde aus anderen Städten organisieren, Einkäufe besorgen, Essen kochen, nach Shows und Feten aufräumen, reparieren und renovieren, mit wenigen Mitteln das Beste herausholen, im Team arbeiten, Kontakte zu Menschen aus anderen Ländern knüpfen, kreative Lösungen für auftretende Probleme finden. Das liest sich wie ein Anforderungsprofil der modernen Arbeitswelt, es sind aber Fähigkeiten, die wir in Eigenverantwortung außerhalb der Bildungseinrichtungen erlernen konnten. Nötig dazu sind Freiräume für Musik und Kultur, die nicht nur kommerziellen Aspekten Rechnung tragen, sondern auch Platz für Experimente bieten. Um solche Freiräume zu schaffen sind keine riesigen Geldbeträge nötig, sondern Mut und Ideen. Bei vielen Verantwortlichen auf politischer Ebene ist die leider allzu oft Mangelware.

Anmerkung:
Der Titel „Ein Hoch auf den Homburger Mob“ war ein Songtitel der Local Heroes DNA (später Jolly Roger) aus Homburg-Bexbach.

Dieser Text wurde ursprünglich in anderer Form in der 2011 erschienenen, zweiten Auflage von „Saar Rock History“ unter dem Titel „Saarlandrundfahrt“ veröffentlicht. Für das Projekt „50 Jahre VSJS“ wurde der Artikel überarbeitet und aktualisiert.
Stephan Junkes, Oktober 2024.

AJZ Konzertphotos von Anne Ulrich

Nomeansno

Crowd Of Isolated

Negazione April 1986

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AJZ Hom Flieger

AJZ Hom Flieger 2

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