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Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung e.V.

Alles hat seine Zeit...

Es war kalt, nass und hier und da lagen einige Schneereste: Winter ´90 / ´91 in der Barockstadt Blieskastel. Dennoch waren wir hier und haben die Augenblicke genossen. Von einem Jugendzentrum mit Offenem Treff, Konzerten, Kicker, Indoor Skatepark, Getränken und Snacks zu fairen Preisen keine Spur. Der ganz normale Wahnsinn in einer ganz normalen Kleinstadt Anfang der 90er. Warme und trockene Plätze gab es auch. Privat bei dem ein oder anderen zu Hause. Aber öffentlich? No Way! Dafür hatten wir den Platz vor dem Rathaus. Seit einigen Jahren Treffpunkt für eine mehr oder weniger feste Gruppe von Skatern aus Blieskastel und benachbarten Ortsgemeinden. Jeden Tag nach der Schule war das unser Ort. Mitten drin statt nur dabei. Nicht immer zum Verständnis der Mitarbeitenden im Rathaus, aber grundsätzlich geduldet und immer im Fokus und wahrnehmbar. Direkt gegenüber: der Bahnhof. Nicht weit entfernt ein Imbiss und ein Supermarkt. Ansonsten eine Bank und Mauern. Sonst nix. Reichte … erstmal!

Unser Problem: Der saarländische Winter. Aber auch der ging vorbei. Der Wunsch nach einem neuen (trockenen) Spot jedoch nicht. Ich glaube es war Frühling 1991. Wir entdeckten das stillgelegte Betriebsgelände der Post. Abgesperrt, aber nicht unüberwindbar. Leerstehende Gebäude, großer Innenhof, viele (Bau-) Materialien und vor allem niemand der uns ständig im Blick hatte. Uns zog es recht schnell in die Innenräume oder besser gesagt die Kantine, welche Jahre später zu einem nicht ganz unbekannten Veranstaltungsraum werden sollte. Nett war´s. Trocken war´s. Klar gab es hier und da Stress, aber im Großen und Ganzen ließ man uns gewähren. Vor allem die Wochenenden bleiben in guter Erinnerung. Erste Rampen wurden gebaut. Der Spielplatz meiner Jugend entstand. Ende offen.

Zeitgleich wurde Musik immer größerer Bestandteil unserer Szene: Hardcore, Punk Hauptsache schnell und laut. Wer konnte und durfte ging zu Live Konzerten ins AJZ Homburg. Damals der Platz für Bands aus der ganzen Welt: SFA, Gorilla Biscuits, Miozän, SNFU, Up-Front, Sheer Terror, Cro-Mags… Glücklich jene, welche auch damals schon dorthin durften oder konnten. Doof für die, die zuschauen mussten und den Erzählungen lauschen „durften“. Was wir aber hatten und zwar alle: Live Tapes und Fotos aus dem ZAP. Live Konzerte vereinte anscheinend alles was wichtig war: Pure Energie und der Wunsch nach „Unity“ mit gleichen Haltungen, Werten und Normen. Was wir nicht wussten: Viele unserer „Helden“ würden einige Jahre später genau an diesem staubigen Ort auf dem ehemaligen Postgelände auftreten und bei unzähligen Shows dafür zu sorgen, dass der Schweiß von der Decke tropft… Dazu später mehr!

Einige Monate später: Der nächste Winter stand vor der Tür. Aber wir waren einen Schritt weiter. Ich glaube es war Winter ´92: Dank persönlicher Kontakte ins Rathaus, etwas Hartnäckigkeit und der Unterstützung des VSJS sollten wir den Zirkuswagen wiederbekommen, der schon einige Zeit zuvor in Blieskastel war. Das Teil bekamen die Gemeinden, die keine Räume zur Verfügung hatten, dafür aber eine Gruppe junger Menschen, die eben genau das wollten. Standort Bahnhof Blieskastel. Wie es genau dazu kam? Daran kann ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Ist aber auch egal. Er war da und ich erinnere mich dunkel an einige Momente. Kein WLAN, keine Heizung. Dafür Volxküche, Musik und Spuckies gegen Nazis! Was nicht fehlen durfte war der obligatorische Baseballschläger, der die von uns gehassten Glatzen fernhalten sollte. Nicht, dass wir das Teil jemals einsetzen mussten. Aber wir waren vorbereitet – immer in Alarmbereitschaft. Warum? Ganz klar: Zirkuswagen, Skater, Hardcore, Punk und Sharp kurz wir waren (theoretisch) für einige eben Feindbilder und wurden (angeblich) genau beobachtet. Ich erinnere mich gut an hektische Situationen, ohne jemals eine Glatze selbst gesehen zu haben. Aber vielleicht trügt mich meine Erinnerung. Auf jeden Fall hatten wir einen „Gegner“ und das einte uns. Haltungen entwickelten sich. Verfestigten sich. Heute würde man sagen: politische Bildung…

Auch im Zirkuswagen zentraler Bestandteil: Musik! Skaten war immer noch unser Leben. Aber anderes kam dazu. Einige Jahre gingen ins Land. Wir wurden mobiler. Erste Autos waren am Start. Blieskastel rückte etwas in den Hintergrund. Ich erweiterte wie viele von uns meinen räumlichen Horizont…. Homburg, Saarbrücken, Zweibrücken. Fester Bestandteil: Das selbstverwaltete AJZ Homburg! Und genau so was sollte in Blieskastel auch entstehen….

1996/97 führte mich wieder zurück nach Blieskastel. Das P-Werk öffnete seine Türen. Unser Skatepark wurde das, was er immer werden sollte: Ein offizieller Ort von und für junge Menschen. Nur leider ohne Skatepark… . Dafür ausgestattet mit Kaffee, Toiletten, Backstage Bereich und eben dem Konzertsaal mit genialer, leicht überdimensionierter PA, selbst geschweißter Theke und allem was dazugehört, um ordentlich Gas zu geben. Danke an der Stelle an Günther (RIP) unserem genialen Toningenieur der ersten Stunde, der uns mit Prototypen aller Art versorgte und natürlich Daniel „Kosta“ Kostyra, der besonders in den Anfangsjahren ständig den Ton machte. Es war einiges passiert, viele Stunden wurden Hand angelegt. Besonders durch die Initiative des ersten Vorstandes des P-Werk e.V. und unserem damaligen Jugendpfleger Jörg Baar (RIP), der auch die Jahre danach immer am Start war. 100% Einsatz für… uns und das weil er Bock drauf hatte!

Vollgas voraus! Zurück in Blieskastel bot sich die Möglichkeit der Musikszene im  Südwesten in 100%er DIY Tradition Konzerte selbst zu veranstalten und das auch noch zu fairen Preisen. Für Andreas und mich die Chance selbst aktiv zu werden. Wir waren seit langem von hohen Eintrittspreisen genervt und wollten es besser machen. Keine Show über 12 DM Eintritt. Zunächst auf eigene Rechnung und dann recht schnell im Namen des Vereins und weiteren Unterstützer:innen wie Michael, Maike, Patrick und vielen anderen. Ausgestattet mit ein paar Telefonnummern und Kontakten zu kleineren Bands und einer Agentur in Berlin ging es los mit einem kleinen Knaller: Pole* einer der immer noch geilsten Straight Edge Bands aus Stuttgart und kurz danach der Burner: Earth Crisis. Volles Haus – guter Start mit eben diesen genialen Rahmenbedingungen und viel Vertrauen vom damaligen Vorstand. Unvergesslich die Shows mit Up-Front „We love this fucking Place“ aus New Jersey und The Toasters mit TShirt Barney aus New York. Immer begleit von lokalen Bands aus unserer Region. Und meist auch tatsächlich für max. 12 DM. Ein besonderes Highlight sicherlich die erste Show auf europäischem Boden einer nicht ganz unbekannten Band, die bis heute ziemlich aktiv ist: Jimmy Eat World, inkl. einem Jim im Backstage Raum, der vollkommen “geflashed“ auf seinem Bett saß: „200 people at a show….“ Heute sind es eher 2000…. . Auch anwesend waren andere nicht ganz unbekannt wie Battery – Better than a thausend – Ten Yard Fight – Cro-Mags . Hot Water Music – Muff Potter, immer mit regionalen Bands eine Chance hatten vor zum Teil mehr als 400 Menschen zu spielen. Fast vergessen: die europäische Abschiedsshow von Refused. Der schwedischen Hardcore Legende, welche mit „The shape of punk to come“ einen Klassiker der 90´er hinlegte und einem Dennis der den Raum zum Beben brachte. By the way: Von dieser Show gibt es die einzige (offizielle) Live Cd aus dem P-Werk. 100% DIY und 100% nicht mit Refused abgesprochen aber auch auf 100 Stück streng limitiert und besser als jedes Live Tape aus den frühen 90´ern. Wobei auch alle anderen Shows schön sauber aufgezeichnet wurden und im Laufe der Jahre immer mal wieder auf YouTube…. ihren  Weg an die Öffentlichkeit fanden und immer noch finden.

Schnell erreichte das P-Werk weit über die Grenzen des Saarlandes einen Namen als extrem authentischer Veranstaltungsort, der im Laufe der Jahre auch von unseren  Nachbarn vom AJZ Homburg akzeptiert wurde. All das nicht ganz unanstrengend, denn vom Booking, übers Plakatieren, Flyer gestalten, Kochen, Putzen… durften wir alles selbst machen. Was für ein Ritt. Machbar nur mit vielen helfenden Händen.

Nur Konzerte? Natürlich gab´s im P-Werk zwischen 1997 und 2000 noch viel mehr. Neuer Vorstand – Kinoabende – Theater und Kabarett – Volxküche und Plattenbörse – Vorstandklausuren und Renovierungsaktionen -Beteiligung bei Stadtfesten -politischen Gesprächen und jede Woche die obligatorische Vorstandversammlung. Montag 19:00 Uhr im Plenum ohne Einladung, aber meist gut besucht und mit hoher Verbindlichkeit. Hier wurden Veranstaltungen geplant, das P-Werk organisiert und manchmal auch mit der Stadt diskutiert, um diesen Ort zu einer dauerhaften Institution werden zu lassen.

In diesen Jahren wurde das P-Werk zu unserem Wohnzimmer mit viel Raum für neue außeralltägliche Erfahrungen. Von Eventmanagement bis Eskalationscoach, von 0-Sterne Koch bis Barista, von Reinigungsfachkraft bis Buchhalter:in. Jede:r von uns konnte sich einbringen und manche sogar überall. Frei nach dem Motto: Einfach mal machen, könnte ja gut werden.

Heile Welt? Natürlich lief nicht immer alles ganz reibungslos. Es gab Schließungsideen der
Stadt und Unterschriftenkampagnen von uns. Es gab Kassendiebstähle und Vorstandsveränderungen – Stress mit Anwohnern – Schlägereien und auch den Konsum der ein oder anderen (illegalen) Substanz blieben nicht aus. Gefolgt von Polizeieinsätzen und beschwichtigenden Gesprächen. Aber alles im Rahmen und (auf jeden Fall für uns) ohne bleibende Schäden.

Alles hat seine Zeit… Ich musste mich Ende 2000 leider aus der Vorstandsarbeit zurückziehen und auch das Veranstalten von Konzerten war bald nicht mehr möglich. Damit war ich damals nicht alleine. Der nächste Generationenwechsel stand an. Aber die nächsten standen mehr oder weniger bereit. Sicherlich mit anderen Interessen, anderen Ideen und anderen Geschichten aber mit ähnlichen Bedürfnissen und mit einem halbwegs gesicherten Ort für eigene Erfahrungen.

Das P-Werk startete für mich als Veranstaltungsort, wurde im Laufe der Zeit jedoch zu viel mehr. Es wurde zu einer Heimat, die auch nach fast 30 Jahren ein gutes Gefühl in der Bauchgegend aufkommen lässt. Danke für „dich“ und an dieser Stelle auch ganz besonderen Dank an Jörg Baar. Ohne ihn wäre meine/ unsere Jugend anders verlaufen. Ich wäre froh, du könntest diese Zeilen noch lesen. Das P-Werk ist dein Denkmal!

#truetilldeath und darüber hinaus!