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Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung e.V.

Klaus Farin ist Autor, Lektor und politischer Bildner. 1998 hat er das Berliner Archiv der Jugendkulturen gegründet und 13 Jahre lang ehrenamtlich geleitet. 2019 erhielt er für seine „Verdienste um die Kinder- und Jugendkultur“ das Bundesverdienstkreuz.

Klaus Farin war auf Einladung des Verbandes mehrfach in diversen Jugendzentren mit unterschiedlichen Themen unterwegs. Hier sein Statement zum 50-Jährigen der saarländischen Jugendzentrumsbewegung:

In meiner Jugendzeit gab es in jeder Stadt in Nordrhein-Westfalen selbstverwaltete Jugendzentren. Schon zwanzig Jahre später waren die meisten in kommunale Einrichtungen verwandelt und unter Aufsicht der Städte selbst oder Freier Träger gestellt worden. Seitdem ist die Misstrauenskultur gegenüber jungen Menschen weiter gewachsen. Man traut ihnen gerne alles Schlechte zu, aber selten, dass sie ihr Lebensumfeld auch ohne pädagogische oder andere Aufsicht und Kontrolle Erwachsener selbstständig organisieren können. In der Tat können das viele Jugendliche auch nicht. Denn so etwas muss man von früh auf lernen und einüben. Deshalb sind selbstverwaltete Jugendzentren und andere Freiräume so wichtig – nicht nur für die Jugendlichen selbst, sondern auch – wenn ich es etwas pathetisch formulieren darf – für unsere Demokratie. Demokratie lebt vom Mitmachen. Wenn Menschen keine Möglichkeit sehen, ihre Stimme einzubringen, sind Resignation und das Erstarken antidemokratischer Kräfte die Folge.

Verschiedene Studien belegen eine hohe Zustimmung zur Demokratie, andererseits viel Unbehagen an der Praxis. Die große Mehrheit der Bevölkerung bejaht die Demokratie grundsätzlich, viele haben aber das Gefühl, selbst nicht an ihrer Gestaltung beteiligt zu werden. Rassismus und andere Theorien der Ungleichwertigkeit von Menschen und allgemein die Anfälligkeit für Verschwörungstheorien jeglicher Art sind oft Folge von Ohnmachtsgefühlen. Glückliche Menschen mit einer Zukunftsperspektive und der Gewissheit, ihr Lebensumfeld mitgestalten zu können, sind weniger anfällig für Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, darauf haben die Mitte-Studien der Universität Leipzig, die seit 2002 durchgeführt werden, und diverse Studien des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld, basierend auf den Studien zur „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ von Wissenschaftlern wie Wilhelm Heitmeyer, Andreas Zick oder Klaus Hurrelmann immer wieder hingewiesen. Gruppenbezogene Vorurteile und die Ablehnung demokratischer Werte verstärken sich gegenseitig und können zu einem gefährlichen Kreislauf führen, der die gesellschaftliche Kohäsion und die Stabilität demokratischer Strukturen bedroht. Das effektivste Mittel dagegen ist es, den Menschen eine Perspektive in der Demokratie, in einer auf den Menschenrechten basierenden, engagierten Gesellschaft zu geben. Es gilt also, mehr Angebote aktiver Partizipation zu schaffen und Menschen zu motivieren, sich ehrenamtlich zu engagieren. Willy Brandts Forderung von 1969 – „Wir wollen mehr Demokratie wagen!“ – ist heute aktueller denn je.

Selbstverwaltete Jugendzentren sind Orte, in denen junge Menschen, die meist für Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, traditionelle Jugendverbände und andere hierarchisch organisierte Großorganisationen nicht erreichbar sind, Demokratie einüben können. Sie bieten niederschwellige Zugänge, um junge Menschen – unabhängig von Bildung oder Herkunft – einzubeziehen. Sie bringen verschiedene Menschen zusammen, fördern kritisches Denken und ermutigen Menschen, ihre Meinungen und Anliegen mit anderen zu teilen, auszudiskutieren und ihre Interesse umzusetzen. Es bedürfte mehr solcher Einrichtungen, mehr zuverlässige Finanzierungen, mehr Vertrauen in die Jugend.

Heute gibt es im kleinen Saarland mehr selbstverwaltete Jugendzentren als im bevölkerungsstärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Das ist auch ein Verdienst des beharrlichen Engagements von juz-united.

Respekt!

Klaus Farin im Interview bei einer Fachtagung zum Thema Rechtsextremismus in Homburg 2010