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Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung e.V.

Wie Utopia Wirklichkeit wurde

Sarah Tonnellier ist Gründungsmitglied des selbstverwalteten Jugendzentrums Saarlouis und arbeitet heute als Leiterin des Projektes „Jugend und Kultur“ beim Landesjugendring Saar. Sie berichtet im Gespräch von den Anfängen des Jugendzentrums, ihren Erfahrungen im Juz und in der professionellen Jugendarbeit.

Am Kleinen Markt in Saarlouis

Angefangen hat es an irgendeinem x-beliebigen Freitagabend am Kleinen Markt in Saarlouis. Das war quasi unser Ort, wo wir uns jedes Wochenende freitags und samstags getroffen haben, wenn wir nicht auf irgendwelchen Konzerten waren. Der Platz liegt in Saarlouis so ein bisschen neben der Altstadt. Die war und ist heute noch ein beliebter Treffpunkt von jungen Menschen, aber zu denen haben wir uns nicht zugehörig gefühlt. Wir waren meist so zehn bis 30 Leute, die da am Wochenende zusammenkamen. Alle so zwischen 16 und 24 Jahre alt. Die größte Verbindung untereinander war, dass wir alle sehr musikinteressiert waren. Richtung Punkrock, links denkend, kapitalismuskritisch. Es gab auch noch eine Gruppe von Skatern, die sich dort trafen. Für uns war klar, dass wir nicht in die Altstadt wollten, keine kommerziellen Angebote wahrnehmen wollten.

Bei den Treffen gab es häufig Probleme mit der Polizei und Platzverweise, da sich die Anwohner ständig wegen Lärm und Müll beschwert haben. Die Stimmung war nicht sehr positiv uns gegenüber. Gleichzeitig gab es aber zu dieser Zeit keine Möglichkeit, sich als junger Mensch fernab von dieser Altstadt zu treffen. Auf jeden Fall nichts, was wir wahrgenommen hätten.

Und mit den Nazis hatten wir auch öfter Probleme. Deren Treffpunkt war eigentlich der Löwenpark. Aber die kamen dann auch manchmal zu uns zum kleinen Markt, wir sind dann immer gegangen. Weil wir überhaupt keinen Bock auf Konfrontation mit denen hatten. Da hatten wir auch später Respekt davor, dass, wenn wir einen Raum haben, dass die da irgendwann auflaufen und Stress machen.

Wir haben uns dann an einem Freitag – irgendwann im Frühjahr 2002 müsste das gewesen sein – mal wieder darüber unterhalten, dass es eben keinen Ort für junge Menschen gibt. Und wir kamen dann zu dem Ergebnis, okay, da müssen wir jetzt irgendetwas machen und wenigstens mal ausprobieren, ob wir etwas erreichen können.

Initialzündung Spontandemo auf der Emmes

Und das war kurz vor der Emmes, dem „Highlight“ des Saarlouiser Kulturangebots. Da gibt es dann von Donnerstag bis Sonntag auf ganz vielen Bühnen in der Innenstadt irgendwelche Pop- und Schlager-Acts. Und da haben wir uns damals an dem Sonntagnachmittag der Emmes zu einer spontanen Demo getroffen und hatten kurz vorher ein paar Plakate gemacht. Und dann haben wir die Bühne gestürmt, haben uns die Mikrofone geschnappt, ein Banner aufgespannt und haben dann den Leuten erzählt, wie wichtig es ist, dass es eben einen Ort für junge Menschen gibt. Das hat dann dazu geführt, dass wir innerhalb kürzester Zeit von sehr vielen Polizisten umringt wurden. Gleichzeitig saßen die ganzen Rentner und älteren Leute gerade bei Kaffee und Kuchen. Und was mir noch so in Erinnerung geblieben ist, dass die Rentner dann irgendwann auch gerufen haben, „die Jungen haben doch recht“. Und dann kam auch der damalige Oberbürgermeister Fontaine zu der Szenerie dazu und hat dann auch die Polizei versucht so ein bisschen zu besänftigen. Er hat auch gemerkt, dass eigentlich alle anwesenden Leute unsere Forderungen sehr gut nachvollziehen konnten, und hat uns dann zu einem Gespräch ins Rathaus eingeladen. Von dem Zeitpunkt an war klar, okay, wir sind jetzt eine Initiative, wir probieren jetzt einfach, ob wir ein selbstverwaltetes Jugendzentrum für Saarlouis auf die Beine stellen können. Und irgendwie war auch klar, dass die Stadt nicht mehr an uns vorbeikam.

Sarah bei der Agitation

Musik und Politik DIY

Man muss wirklich sehen, unsere Clique war damals schon sehr durch die Musik geprägt. Es gab einige Leute von uns, die in Bands gespielt haben, es gab Leute, die Konzerte organisiert haben. Die sind dann meist ausgelagert worden irgendwo im Saarland, weil es eben diesen Ort in Saarlouis nicht gab. Im Juz Wallerfangen hatten einige von uns vorher auch schon Konzerte gemacht. Da waren viele Events von den Leuten, die auch in der Initiative dabei waren, die auch mit ihren Bands dort aufgetreten sind. Aber das wurde Ende der 90er zugemacht.

Also, wir haben da ein hohes Potenzial an Jugendkultur gesehen, was wir eben mitgebracht haben und haben uns aber nicht wiedergefunden in dem, was die Stadt an Angeboten und Möglichkeiten hatte. 

Was da noch ein bisschen mitschwang, war unsere politische Orientierung. Wir haben auf jeden Fall mit der Antifa sympathisiert. Wir waren auch manchmal bei Veranstaltungen in der Alten Feuerwache in Saarbrücken. Wir sind bei den Demonstrationen mitgegangen. Wobei, bei mir war es am Anfang so, dass ich teilweise gar nicht wusste, um was es da geht. Ich war auch ein paar Jahre jünger, es gab aber ältere, die waren schon sehr politisch und belesen. Die haben früh Camus, Sartre und Chomsky gelesen. Ich habe dann vieles so mitläufermäßig aufgeschnappt. Dann auch mal was gelesen. Stellenweise aber auch noch nicht richtig einordnen können. Wir haben uns sehr, sehr viel über politische Inhalte ausgetauscht. Ich glaube, ohne diese Gang an Menschen hätte ich mich auch nicht so politisch bilden können. Also ich habe da schon auch viel profitiert. Aber eigentlich haben wir alle viel voneinander profitiert. Es wurde damals auch ein rebellischer Anteil in mir erweckt. Also, ich meine, es hat sich halt dadurch alles anders kanalisiert.

Zu der Zeit gab es auch diesen DIY-Gedanken in der Musik. Also, es war schon eine starke Subkultur, die uns da auch verbunden hat. Und daraus kam auch die Idee oder dieser gemeinsame Wunsch nach einem Raum, wo wir uns entwickeln können, entfalten können. Es war schon ein bisschen so, dass man dachte, wow, wir sind eigentlich Teil von so einer größeren Kulturszene. Und wir sind viele. Nur bei uns in Saarlouis gibt es eben nichts. Hier gibt es total viel Potenzial in dieser Stadt, aber es liegt brach. Das war so ein bisschen die Message, die wir dann auch in diesen Flyern vermittelt haben.

Durchsetzung und Eröffnung

Nach der Aktion auf der Emmes wurde es dann immer konkreter. Wir haben dann auch tatsächlich viele Situationen genutzt, um auf uns aufmerksam zu machen. Zum Beispiel haben wir eine Demonstration organisiert am letzten Schultag, was in Saarlouis immer ein totales Event ist, da strömt die ganze Jugend in die Altstadt. Und wir haben dieses Event genutzt, um eben auf unsere Situation aufmerksam zu machen und haben ein Konzert am kleinen Markt auf einer Bühne organisiert.

Wir sind in die Stadtratssitzungen gegangen und haben dort unsere Anliegen in die Runde geworfen. Es gab Diskussionsveranstaltungen, Aktionen, einen Offenen Brief und Gespräche mit der Politik. Und wir haben uns mit anderen Gruppierungen vernetzt. Also da gab es zum Beispiel auch noch eine weitere Jugendgruppierung am „Bullenspielplatz“. Das war damals ein Spielplatz auf einem Parkdeck neben der Altstadt, direkt beim Durchgang bei der Polizei- mittlerweile ein zugewachsener Lost Place. Und die waren eben auch sehr von der Idee angetan, dass man gemeinsam ein selbstverwaltetes Jugendzentrum aufbauen könnte. Und die haben sich dann recht schnell unserer Initiative angeschlossen und mitgemacht. Und auch dieser Zusammenschluss von verschiedenen Jugendgruppierungen in der Stadt, die vorher eigentlich nichts miteinander zu tun hatten, dass man sagt, okay, wir machen jetzt irgendwie so ein gemeinsames Ding draus, das war eigentlich schon cool.

Demo 2002

Und dann sind da irgendwie alle Parteien draufgesprungen und wollten mitreden, wie es umgesetzt wird, es war glaub ich auch Wahlkampf. Wie es ja oft so ist. Die CDU wollte das zuerst nicht in Selbstverwaltung. Irgendwann hat der Oberbürgermeister, der selbst CDUler war, dann aber doch eingelenkt, das ging eine Zeitlang hin und her, auch zwischen den Parteien und Jugendorganisationen.

Dann ging es natürlich irgendwann darum, wo kann das ganze stattfinden? Und da war schnell der ehemalige Markantmarkt im Gespräch. Der wurde dann umgebaut- halb Vereinshaus, halb Jugendzentrum.

Parallel haben wir dann noch Unterstützung von professioneller Seite bekommen von juz-united. Es war irgendwann klar, dass wir einen Verein gründen müssen, das haben wir dann auch durchgezogen. Das war 2003, damit wurden wir quasi zum offiziellen Ansprechpartner für die Stadt. Und dann haben wir zusammen ein Konzept geschrieben, das haben wir dann auch der Stadtverwaltung vorgestellt. Danach ging es auch um diese Raumplanung im ehemaligen Markantmarkt. Da war die Sache schon klar.

Also, für uns wäre damals kein Neubau nötig gewesen. In unserer Vorstellung hätten wir tatsächlich gerne eher ein Lost Place für uns ummodelliert. Aber so war das auch okay, wir hatten dann ja eine tolle Infrastruktur, wir hatten einen großen Konzertsaal, wir hatten eine Küche, wo man kochen konnte, einen Backstage-Raum, den Café-Raum, wir hatten irgendwann ein Internetcafé, was zu der Zeit ja auch noch nicht üblich war, dass man Internet hatte. Ja, es war eigentlich von den Räumlichkeiten her sehr großzügig.

Der ganze Umbau zog sich dann letztendlich bis Anfang 2004, da gab es eine offizielle Begehung des zukünftigen Jugendkulturzentrums mit Oberbürgermeister Fontaine, im Mai haben wir dann den Schlüssel bekommen und angefangen zu streichen und einzurichten. Am 05.08.2004 gab es dann die offizielle Eröffnung des selbstverwalteten Jugendkulturzentrums Saarlouis. Und dann ging es los, wir nannten unser Juz dann
„Utopia“.

Eingang zu Utopia

Anfänge und Verantwortung

Das Juz wurde gerade in den Anfängen oft besiedelt von 13, 14-Jährigen, die da so ein bisschen Freiheit gerochen hatten und die uns auch alle zunächst als Sozialarbeiter wahrgenommen haben. Also ich weiß noch, da war mal eine 13-Jährige, die hat mit einer Flasche Schnaps vor dem Juz gesessen und ich hab ihr dann erklärt, warum das halt nicht geht. Dann haben wir denen erst mal erklärt, wie das ist mit der Selbstverwaltung und dann haben die sich aber auch relativ schnell dort integriert und fanden das auch super. Wir haben da so eine gewisse Wertevermittlung betrieben und auch eine Übertragung der Historie an die nächste Generation. Also, damit die wussten, okay, das hier ist ein freier Raum, aber halt kein rechtsfreier Raum. Wir müssen hier auch Regeln einhalten. Das war natürlich auch absurd, weil man jetzt in eine Situation gedrängt war, bestimmte Regeln durchzusetzen, wo man kurz vorher noch eher auf der anderen Seite gestanden hat und „Regeln“ eher umgangen hat.

Auf der anderen Seite muss man auch sagen, das war ja auch schon viel Verantwortung. Also ich war damals Kassenwärterin und ich kann mich erinnern, da hatten wir irgendein Festival, da hatte ich beide Taschen voll mit Geld, wo ich dann zum Automaten ging und hab da ein paar Tausend Euro in Zehnern und Fünfern hingetragen. Also man hatte schon das Gefühl, das ist kein Selbstläufer. Man muss schon ein bisschen gucken, dass da vertrauenswürdige Menschen sind.

Vollversammlung 2004

Konzerte und Endgegner

Unser Schwerpunkt war aber von Anfang an die Konzerte. Wir haben für Saarlouis ein ziemlich gutes Konzertprogramm auf die Beine gestellt. Zum Teil auch mehrtägige Festivals. Aus der ganzen Welt kamen irgendwelche Bands. Teilweise war es auch so, dass die Bands dort auch übernachtet haben. Und ich glaube schon, dass das auch die kulturelle Vielfalt extrem nach vorne gebracht hat innerhalb der Jugendkulturszene in Saarlouis.

Unser Hauptproblem bei den Konzerten war eindeutig der Feueralarm. Das Haus wurde mit modernster Brandtechnik ausgestattet und das führte dazu, dass fast jedes Wochenende der Feueralarm losging. Und Feueralarm bedeutete, es gab ohrenbetäubenden Lärm, alle Türen, also auch zu dem Vereinszentrum, wurden automatisch geöffnet. Und es kam jedes Mal ein Riesenzug an Feuerwehrfahrzeugen an, die automatisch informiert wurden. Und das gab natürlich immer Stress, aber wir hatten das auch nicht in der Hand, wenn da jemand den Feueralarm ausgelöst hat. Dieser Brandschutz war auf jeden Fall unser Endgegner.

Übergänge und Rückblicke

Also die ersten Jahre haben wir das schon auch mitgestaltet und geleitet, aber dann wurde es auch irgendwann zu viel, wo man gemerkt hat, okay, wir nutzen es nicht mehr, es ist mehr Arbeit und Verantwortung, als dass wir den Nutzen haben. Es war für einige so, dass sie nach der Eröffnung schon zum Studieren weggingen und nach und nach war dann fast unsere ganze Generation weg bis auf einige wenige.

Wir sind dann auch mit vier Leuten aus dem Juz nach Saarbrücken gezogen in eine WG. Ich hab dann angefangen, in einer Kneipe zu arbeiten und bin ab und zu nachts, wenn um 3, 4 Uhr die Kneipe zugemacht hat, nochmal nach Saarlouis gefahren und hab dann nach Konzerten den Außenbereich gekehrt. Das ist krass, wenn man sich heute mal so überlegt, wir hatten wir oft freitags und samstags Konzerte, da hab ich das manchmal gemacht. Und bin dann um 5, 6 Uhr morgens heimgekommen. Wir haben zu der Zeit noch die Konzert-Orga gemacht und da war man halt in der Verantwortung.

Aber parallel kamen auch schon immer mehr Junge nach, so dass das auch funktioniert hat mit der Übergabe irgendwann. Einer aus unserer Gruppe hat dann auch seinen Zivildienst im Juz gemacht und das Tagesgeschäft übernommen, was sehr entlastend war.

Aber im Nachhinein war schon auch ein bisschen das Gefühl, wir haben uns dafür eingesetzt und als das Juz kam, kam es für viele auch schon zu spät, weil einige dann relativ schnell weggezogen sind wegen Studium oder Ausbildung. Aber auch wenn wir als Initiative das nicht mehr viele Jahre nutzen konnten, war doch der vorherrschende Gedanke, dass es sich gelohnt hat, für diese Sache einzustehen und es hat ja auch in unserem Fall echt gut geklappt. Also im Nachhinein finde ich es tatsächlich schon erstaunlich, dass wir das in so einem doch recht kurzen Zeitraum durchgesetzt haben. Ich weiß noch von dieser bedrohlichen Stimmung, von der Polizei am Kleinen Markt umringt zu sein bis zu dem Moment, wo wir als vollwertige Vertreter in irgendwelchen offiziellen, tollen Räumen im Rathaus sitzen, da war jetzt nicht so viel Zeit dazwischen.

Thekenkunst im Juz Saarlouis

Ich meine, dass dieses Jugendzentrum wirklich entstanden ist, ist schon ein großer Erfolg gewesen. Wenn wir damals nicht angefangen hätten zu sagen, komm, lass es uns mal ausprobieren, wenn wir nicht angefangen hätten, irgendwelche offenen Briefe zu schreiben, irgendwelche spontanen Demos zu organisieren, dann wäre das halt alles nicht entstanden. Und wir haben dann auch recht schnell gemerkt, dass es irgendwie kein utopischer Gedanke bleiben muss, sondern tatsächlich realisierbar ist. Und Ideen wirklich werden zu lassen, also Gedanken in Taten umzusetzen, das hat schon so eine eigene Magic. 

Vor allen Dingen als junger Mensch, wo du ja schon als Kind unter Adultismus leidest und dich eigentlich immer anpassen musst in irgendwelche gesellschaftlichen Strukturen. Du hast ja nicht so wahnsinnig viel Mitspracherecht und Machtposition als junger Mensch. Aber wenn du dann merkst, dass du selbst Dinge bewegen kannst, ist das natürlich ein tolles Gefühl von Selbstwirksamkeit. Und das ist natürlich etwas, was sehr prägend ist, was auch definitiv jeder von uns mitgenommen hat.

Im Nachgang kann ich für mich sagen, da bin ich sozialisiert worden. Das würden die anderen aber auch so sagen, denke ich. Das war ja eine gemeinsame Gruppendynamik. Das ist ja auch etwas sehr Lebendiges gewesen, was wir da gemacht haben. Und nichts Theoretisches. Und es hat Spaß gemacht. Wir haben uns da ja auch sehr ausgelebt und ausprobiert.

Und man hat auch Einflüsse auf nachkommende, jüngere Leute, die die Möglichkeit hatten, dort hinzugehen, sich da einzubringen und diesen Ort zu bespielen. Und das ist ja ein schöner Gedanke und da kann man natürlich stolz drauf sein.

Zur professionellen Kulturreferentin

Tatsächlich gibt es viele Bezüge aus der damaligen Zeit zu meinem jetzigen Job. Seit drei Jahren leite ich das Projekt „Jugend und Kultur“ beim Landesjugendring Saar und unterstütze jugendkulturelle Projekte. Da habe ich mit ganz unterschiedlichen Problematiken zu tun, das ist ganz vielfältig.

Gerade letzte Woche kam eine junge Frau auf mich zu, wo es darum ging, dass sie für die Jugendarbeit in ihrem Verein nochmal Gelder gestrichen bekommen haben vom Erwachsenenverband. Wo man gesehen hat, wie die weißen alten Männer das Geld zurückhalten, wo man die Machtstrukturen gesehen hat, die nicht geteilt werden. Und es fällt mir natürlich leicht, mich in die Situation da reinzuversetzen. Weil es halt leider immer noch so ist, dass nach wie vor junge Menschen um ihren Raum kämpfen müssen. Auch in den Vereinen.

Auf der anderen Seite gibt es so viele Schulungen, diese ganzen Vereinsseminare, wo es darum geht, wie kriegen wir junge Menschen irgendwie an Bord. Die sind immer am stärksten besucht. Also alle, auch die großen kulturellen Institutionen, versuchen irgendwie diesen Anschluss an junge Menschen zu kriegen, machen sich wahnsinnig viel Gedanken, wie sie das Engagement abgreifen können. Aber unterm Strich, wenn man genau hinguckt, hören die wenigsten den jungen Menschen wirklich zu oder beteiligen sie oder sind irgendwie bereit, deren Perspektive einzunehmen.

Jetzt ist ja auch das Jugendbeteiligungsgesetz im Landtag durch. Es ist ja schon so, dass in der Politik gesehen wird: Wir wollen junge Menschen mitnehmen, wir wollen junge Perspektiven mitnehmen. Ich kämpfe in meinem Alltag ja oft schon darum, dass die Jugendlichen nur gehört werden, dass man ihnen mal zuhört. Und das ist natürlich ein krasser Gegensatz zu meinen Erfahrungen im Jugendzentrum. Natürlich gibt es unterschiedliche Beteiligungsformen, aber natürlich ist Selbstverwaltung das höchste Maß und das Tollste, was jungen Menschen widerfahren kann. Wenn sie die Chance bekommen, sich selbst zu verwalten, das ist natürlich die Königsdisziplin und sollte auch nach wie vor angestrebt werden. Es gibt aber natürlich auch Gruppierungen, die das vielleicht nicht leisten können, die das überfordert. Das sollte man auch mitdenken. Für
alle ist Selbstverwaltung nicht immer das richtige Maß. Das zu beurteilen und auch für andere zu beurteilen, steht mir nicht zu, aber für uns war es auf jeden Fall das, was richtig war. Etwas anderes hätten wir gar nicht angenommen, damit hätten wir uns gar nicht identifizieren können. Wir hätten niemals für irgendwas gebrannt, wo vielleicht mal unsere Meinung erfragt wurde und ansonsten hätten wir irgendwie mitmachen dürfen. Nein, wir wollten unsere eigene Herrin sein und das ging gar nicht anders.

Umbruch in den Lebensweisen und Herausforderungen für die Jugendarbeit

Was noch ein Riesenthema in meiner Arbeit ist, ist die Digitalisierung. Ich glaube generell, dass wir aktuell in der Phase sind, wo wir den größten Umbruch in den Lebensweisen junger Menschen haben und dass wir tatsächlich so einen Generationsbruch haben durch die Digitalisierung: Dass diese angestammten Orte des Zusammentreffens, der Kommunikationswege, aber auch des kollektiven Empfindens von Jugendkultur, dass sich das so dermaßen radikal gebrochen hat durch die Digitalisierung, dass man junge Menschen einfach auch nicht mehr so greifen kann, weil soziale Interaktionen sich komplett verändert haben.

Und man kann das auch nicht mehr aufhalten, dass junge Menschen heute in einer komplett anderen Lebens- und Kommunikationswelt leben als wir und ich sage einfach wir, weil wir diese andere analoge Welt noch kennen, diese Phase wo es noch kein Handy gab. Wir können uns das nicht vorstellen, diese Befriedigung, die du in digitalen Welten erlebst. Und du hast die überall und immer dabei. Es ist glaube ich heutzutage für viele einfacher und befriedigender sich bestimmte soziale Aktionen digital zu nehmen als rauszugehen und echte Freundschaften im realen Raum zu erfahren.

Und dass junge Menschen sich in kollektiven Gruppierungen finden, wird nochmal schwerer, weil das alles so heterogen geworden ist. Also stark an individuellen Interessen zerbröselt. Dass tatsächlich echte Erlebnisse in realen Gruppen fehlen und so auch die Wertschätzung von echten realen Erlebnissen verloren gegangen ist.

Auf der anderen Seite hatte ich gerade ein Projekt, wo 10 bis 18-Jährige teilgenommen haben. Und bei denen war es zum Teil so, dass sie erstmals irgendwo übernachtet haben, also so richtig klassische Jugendarbeit erlebt haben und das hat die so krass geflasht, das kannten die überhaupt nicht. Klar, das ist auch die Generation, die natürlich durch diese Pandemiejahre was weggenommen bekommen hat. Die wollten da irgendwie gar nicht mehr raus aus diesem Wochenende, weil das für sie so toll war. Die waren völlig begeistert von diesen Freiräumen, haben bis drei Uhr nachts rumgewerkelt, waren völlig übermüdet, und mit Glitzern in den Augen sind die sonntags von den Eltern abgeholt worden. Da hast du richtig gemerkt, die lieben das, solche Räume, wo sie sich selbst ausprobieren können, ausprobieren auch in dem Sinne, dass du auch mal Fehler machen kannst oder halt eben nicht nur produktiv sein musst oder am Ende irgendwie Gewinn erzielen oder sonst irgendwelche Dinge.

Also ich glaube schon, dass es diesen Bedarf nach realer, kollektiver Interaktion gibt und vielleicht so viel Bedarf wie noch nie, aber dass das ein Riesenschritt ist, nochmal zu sagen, wir treffen uns in der realen Welt und schließen uns irgendwie zusammen, weil das, was die digitale Welt anbietet, das kannst du in der realen Welt gar nicht abdecken. Zum Beispiel im Jugendzentrum, das ist ja eine Chance, reale Erlebnisse zu schaffen. Aber ich glaube es ist nicht mehr so selbstverständlich, dass junge Menschen einfach nachkommen und sagen, hey hier sind wir, wo dürfen wir anpacken. Das ist ja genau das Gleiche auch in den Vereinen.

Was da auch noch dazu kommt, was ich in meiner Arbeit oft mitkriege ist, die haben ja fast keine Freizeit mehr, das ist ja auch einfach so ein Punkt, der extrem mit reinschwingt. Also dieses Rumlungern, Langeweile haben, unser Slogan war ja „unsere Stadt ist langweilig“, das fehlt. Diese Stadt ist nicht langweilig, wenn ich bis fünf Uhr AG hab, Nachmittagsbetreuung, und wenn ich sowieso erst um 17.30 Uhr nach Hause komme, dann noch Abendessen und vielleicht noch eine Stunde geil Social Media, Medien zocken oder sonst irgendwas um runterzukommen, dann wäre mir auch nicht langweilig als junger Mensch. Also wenn alles verplant ist an Zeit, also das Leben so verdichtet ist, dann ist es ja nochmal viel schwieriger, da auszubrechen und sich mit anderen zusammen zu organisieren und kollektive Erfahrungen zu machen, wie wir das mit dem Jugendzentrum hatten.

Und man muss ja sehen: Gerade die Ehrenamtsstruktur in den ganzen Initiativen, Jugendzentren und insgesamt der Vereinslandschaft hat ja einen unheimlich großen demokratisierenden Impact auf die Bevölkerung, auf die Gesellschaft. Ich glaube, man muss heute sehr viel mehr kämpfen, junge Menschen dahin zu bringen, dass sie erkennen, welche Möglichkeiten man durch reale Begegnungen und kollektive Erfahrungen hat. Das ist eine sehr, sehr große Aufgabe.

Sarah Tonnellier ist 1983 in Saarlouis geboren. Sie war eine der Gründungsmitglieder der Initiative „Unsere Stadt ist langweilig“, aus der das JUZ Saarlouis hervorging.  Sie studierte in Saarbrücken historisch orientierte Kulturwissenschaften. Danach machte sie ein Volontariat beim SWR in Baden-Baden als Requisiteurin und arbeite als freie Mitarbeiterin bei Film- und Fernsehproduktionen. Seit drei Jahren leitet sie als Kulturreferentin das Projekt „Jugend & Kultur“ beim Landesjugendring Saar und lebt in Saarbrücken.

Das Parkhaus bringt das JUZ Utopia ins Wanken – und eine lange Suche beginnt

Die Schlagzeile „Statik passt nicht mehr – Ersatz für altes Parkhaus muss her“ in der Saarbrücker Zeitung vom 4. November 2019 brachte nicht nur das Schicksal des Parkhauses, sondern auch die Zukunft des JUZ Utopia und des städtischen Kinder-, Jugend- und Familienhaus in der Lisdorferstraße 16a ins Wanken. Für den Verein und die Öffentlichkeit war diese Meldung die erste Nachricht darüber, dass die Tage am bisherigen Standort gezählt waren.

In einem Gespräch am 9. März 2020 wurde den Jugendlichen des Vereins erklärt, warum der bisherige Standort nicht mehr nutzbar sein würde. Der Vorstand erhielt den Auftrag, sich nach möglichen Alternativen in Saarlouis umzusehen und Vorschläge für einen geeigneten Standort zu machen. Doch bevor dieser Prozess richtig starten konnte, kam die Corona-Pandemie und legte das Utopia – wie so vieles andere – lahm. Statt Konzerten, Workshops und Brunchs wurde der Betrieb in ein „künstliches Koma“ versetzt.

Zwischen 2015 und 2019 hatte das JUZ Utopia ein beeindruckendes Programm auf die Beine gestellt: 114 Konzerte und über 50 weitere Veranstaltungen, die größtenteils ehrenamtlich organisiert wurden. Neben bekannten überregionalen Bands wie Terror, Madball und Fjort bot die Bühne vor allem jungen lokalen Künstler*innen und Bands eine Plattform. Aber nicht nur Musik stand im Mittelpunkt: Vegane Brunches, Flohmärkte, Filmvorführungen, Siebdruck- und Rap-Workshops sowie politische Bildungsangebote machten das Juz zu einem unverzichtbaren Ort für Kultur und Gemeinschaft.

Aus dem künstlichen Koma wurde das Juz dann Mitte Dezember 2020 geweckt: der baustatische Zustand des Gebäudes lässt eine dauerhafte Nutzung nicht zu. Bis dahin war man davon ausgegangen, die Räume über das Jahresende hinaus nutzen zu können. Doch nach einem Anruf von Bürgermeisterin Jost hieß es, dass das gesamte Inventar bis zum 31. Dezember geräumt sein musste. Zwischen Weihnachten und Silvester wurde unter Einhaltung der damals geltenden Corona-Kontaktbeschränkungen alles – von selbstgebauten Bühnen über die Theke bis hin zu Kühlschränken und PA-Anlagen – in ein Lager gebracht. Für ein wenig Humor sorgte immerhin die Möglichkeit, sich bei der Gelegenheit auch von ausgedienten Sofas zu trennen.

Seitdem bemühen sich der Verein und die Stadtjugendpflege gemeinsam, einen neuen Standort für das Juz Utopia zu finden. Zahlreiche Begehungen und Gespräche ließen immer wieder Hoffnung aufkommen, doch bisher scheiterten alle Optionen aus verschiedenen Gründen.

Nach mittlerweile vier Jahren ohne ein selbstverwaltetes Jugend- und Kulturzentrum in Saarlouis bleibt zu hoffen, dass 2025 endlich ein neuer Freiraum für junge Menschen und subkulturelle Angebote entstehen kann. Saarlouis braucht das Utopia – für die Jugend, für die Kultur, für die Stadt.

André Piro