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Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung e.V.

Eine kurze Geschichte der Anfänge des Jugendzentrums Merzig

von Karl-Heinz Schreiner

Das Jugendzentrum im ehemaligen Mädchen-Lyzeum in der Brauerstraße in Merzig

1. Gründungsgeschichte

Das Jugendzentrum Merzig ist eigentlich eine Gründung der 68er Jugend in Merzig. Es war das erste von Jugendlichen selbstverwaltete Jugendzentrum im Saarland und eines der ersten in Deutschland.
Ziel war es, ein von Jugendlichen selbst bestimmtes und verwaltetes Kommunikationszentrum ohne hierarchische Einmischung der Jugend- und Verwaltungsbürokratie. Einer der geistigen Väter der deutschen Jugendzentrumsbewegung war der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter, dessen
Ideen über den Kreis des in Merzig lebenden Philosophen und Pentalogen Hans Müller Merzig erreichten. In dessen Haus in der Wilhelmstraße trafen sich monatelang jeden Samstag eine Hand voll junger Leute mit dem Ziel in gruppendynamischen Sitzungen die Ziele und die beste Strategie für ein Jugendzentrum zu entwickeln.
Am Anfang stand die Gründung eines Trägervereins, der die Interessen der Jugendlichen als eingetragener Verein viel besser gegenüber der Stadtbürokratie vertreten konnte.
Gegründet wurde der Verein „Selbstverwaltetes Jugendzentrum Merzig e.V.“ etwa 1967.
Gründungsmitglieder waren: Rudolf Steinmetz und sein Bruder Klaus, Michael Wendling, Ulrich Jung und meine Wenigkeit, mit dabei waren auch Erhard Weber, Maria Leistenschneider und vermutlich noch andere, an die ich mich nicht mehr erinnern kann.
Ziel war es, von der Stadt ein Gebäude zu erhalten, indem die Ziele des Vereins verwirklicht werden konnten.
Nach langem hin und her – u.a. mit Demonstrationen auf der Straße – und mit Unterstützung v.a. der SPD-Stadtratsfraktion (wir waren damals fast alle in der Willy Brandt SPD), erhielten wir dann endlich von der Stadt zunächst einen Klassenraum des früheren Mädchen-Lyzeums in der Brauerstraße 5.

Der Eingang zum Jugendzentrum

2. Die ersten Jahre: Aufbau, Ausbau, Leben und Personen

Nachdem die Stadtverwaltung dem Trägerverein des Jugendzentrums zunächst einen Klassenraum und eine Abstellkammer im Hochparterre rechts (Fenster zur Straße) des damaligen VHS-Gebäudes (ursprüngliches Mädchenlyzeum) zur Verfügung stellte, wurde umgehend mit den Umbau- und Renovierungsarbeiten begonnen. Um dem Clubraum sofort seinen Klassenraumcharakter zu nehmen wurde der komplette Raum mit ungeschälten Holzpanelen verkleidet und alte Sofas, Sessel und Tische von Omas, Opas und Eltern angekarrt um dem Raum einen „individuellen“ und „geselligen“ Charakter zu verleihen. Von der Abstellkammer wurde ein großes Loch als Durchreiche in den Clubraum geschlagen, damit Essen und Getränke von der „Küche“ über den Tresen gereicht werden konnten.
„Pädagogisches“ Ziel war es ja, die Jugendlichen von der Straße und aus den Kneipen zu holen. Die „Typen“ vom sog. „Jokaeck“ (Treffpunkt der Jugendlichen vor dem damaligen Kaufhaus „Joka“ gegenüber dem Rathaus) siedelten als erste ins JuZ, da es hier wärmer und gemütlicher war und man die neuen Mopeds (z.B. Kreidler K 50) und Autos (z.B. Opel GT) der „Angeber“ bereits kannte oder dessen Überdrüssig war. Viele von ihnen halfen beim Ausbau und wurden ständige Besucher und Teil des JuZ wie: Jacksen, Wiff, Tun, Micka, Lothar, Pinky, Senny, Evi, Ellen u.v.m aus Merzig; Baal, Candy und Lothar aus Schwemlingen, Friedo und Wusche aus Brotdorf, Hepp und Magret aus Mettlach, Nobsy, Pitt und Gerdi aus Helwern, Jürgen aus Merchingen, Lauer aus Britten und viele mehr, an die ich mich ad hoc gerade nicht erinnere; sorry, wenn ich jemanden nicht aufgezählt habe ( welche Personen sich wohl hinter diesen Spitznamen verbergen?!).
Es waren also v.a. die Jahrgänge 1950 – 57, die den Aufbau und das Leben im JUZ der Anfangsjahre prägten und die dort ihr „Wohnzimmer“ fernab der z.T. spießbürgerlichen Fernsehcouch der Eltern fanden.
Natürlich gehörten zu den ersten Anschaffungen: Ein Kühlschrank für Bier (1/2 l.-Flasche für ne Mark), Wein (volles Wasserglas auch für ne Mark), Cola und Limo. Wer gerade nicht flüssig war, dem wurde der Betrag problemlos angeschrieben, wurde aber meist abgeschrieben.
Natürlich ganz wichtig war eine Stereoanlage, die auch in der Lage war den kompletten Clubraum mit Stones, Jethro Tull, Hendrix, Cream, Who, Steppenwolf, Pink Floyd u.v.m. zu beschallen (1968!, also Avantgarde – besser als im Edenhof).
Wenn jemand Lust hatte, konnte auch auf einem alten Küchenherd gekocht werden: Chilli con und ohne carne, Zwiebelsuppe, Gulasch, Knoblauchbrot, Gemüsesuppe waren damals die angesagten Gerichte zum Selbstkostenpreis, wenn es für die Brat- oder Currywurst beim Hoffmann oder bei Matta nicht mehr reichte.
Höhepunkte des Jahres waren die Fassnachtstage mit großer Party und Livemusik (später sogar in der Turnhalle); die Weihnachtstage oder die Karwoche, wenn sehr viele es zuhause nicht mehr aushielten; u.v.a. die große Silvesterparty mit Live-Musik der verschiedensten Gruppen um die Musiker: Wusche Krämer (Git.), Friedo Keiling (Git.), Candy Laux (Bass), Oppelt (Drums) etc.; am Anfang hießen die „Creyed Creed“ oder so ähnlich.
Tja und manchmal kreisten auch die Joints (schließlich sollte die Jugend ja aus den Kneipen ferngehalten werden), anfangs heimlich in den leeren Gängen des hinteren Gebäudeteils, später – als die Macker vom Trägerverein sich immer rarer machten und nur noch gegen 1 Uhr zum Absperren kamen – auch im Clubraum, was niemanden störte.
Es war die Zeit des Aufbruchs einer neuen Generation mit Beat und Rock, antiautoritär und libertär. Jugendliche, die ihr Freizeitvergnügen gerne selbst bestimmten, so wie es eigentlich von Anfang an geplant war.

3. LIKE A ROLLING STONE

Nach ca. einem Jahr „guter Führung“ und ausreichender Akzeptanz, war die Stadtverwaltung bereit, dem Trägerverein weitere Räume zur Realisierung von zwei Lieblingsprojekten zur Verfügung zu stellen.
Der dem Clubraum gegenüberliegende Klassenraum wurde zum Kommunalen Kino umgebaut, wo wöchentlich ein bis zwei Filme auf dem neu erstandenen 16mm Projektor liefen. In der Regel waren dies Filme, die uns Jugendliche interessierten und die nicht im Fernsehen oder dem örtlichen Kino (Odeon) zu sehen waren. Mit dem Eintrittspreis von 2 DM wurde die Ausleihe der Filme zum Teil finanziert.
Der daneben liegende kleinere Raum wurde als Projektionsraum, als Büro und als Abstellraum für die Getränke genutzt.
Das andere Projekt war die Installation einer Siebdruckanlage, die im hinteren Trakt des
Erdgeschosses unter der Regie von Michael Wendling aufgebaut wurde. Mit ihr sollten v.a. die Veranstaltungsplakate des JuZ und weitere Kunstdrucke erstellt werden. Sicher kann Dieter K. mehr hierüber berichten, denn er hat sich – soweit ich weiß – später der Siebdruckanlage angenommen.
Damit standen dem JuZ bereits nach einem oder zwei Jahren das komplette Erdgeschoss dieses einst so wunderbaren Gebäudes zur Verfügung. Für größere Veranstaltungen stand dann – etwas später – auch die große Turnhalle zur Verfügung. Nach wie vor blieb aber der Clubraum das Kommunikationszentrum der engagierten Merziger Jugend. Hier traf man sich locker und ungestört, auch ohne Verabredung (kein Handy!), diskutierte bis in die Nacht, hörte Musik und startete von hier aus weitere Aktivitäten. Es war ein Kommen und Gehen und man traf hier – auch ohne Verabredung – immer Leute, mit denen man gemeinsame Ideen und Interessen teilte, kurz, mit denen man gerne zusammen war.
Wie es dann weiterging entzieht sich meiner Kenntnis. Sicher können „Jüngere“ hierüber berichten.

4. Unvollständige Discografie der im Juz Anfang der 70er Jahre gespielten LP`s.

Da die Musik eine zentrale Rolle in der Jugendbewegung der 60/70er Jahre (Rock-Generation) spielte, hier die „Scheiben“, die meines Wissens nach, am häufigsten in den Anfangsjahren des JuZ abgespielt wurden. Dies ist natürlich nur ein subjektiver Auswahl (!)
Hier die LP-Hitliste mit den – wie ich mich zu erinnern glaube – 20–meistgespielten Gruppen u. Interpreten:
Bob Dylan: The Freewheelin (1963), Highway 61 Revisited (1965);
Jimi Hendrix: Electric Ladyland (1968), Band of Gypsys (1970);
Iron Butterfly: In A Gadda Da Vida (1968);
Cream: Wheels of Fire (1968), Goodbye (1969);
Blind Faith: Blind Faith (1969);
Led Zeppelin: Led Zeppelin (1969), Led Zeppelin II (1969), Led Zeppelin IV (1971);
Jethro Tull: Living in the Past (1969), Benefit (1970), Aqualung (1971);
The Doors: The Doors (1967, Morrison Hotel (1970);
Santana: Abraxas (1970)
Janis Joplin: Pearl (1971);
Pink Floyd: Ummagumma (1969), Atom Heart Mother (1970);
Deep Purple: Deep Purple in Rock (1970);
King Crimson: In the Court of the Crimson King (1969);
The Who: My Generation (1965), Tommy (1969);
The Rolling Stones: Let it Bleed (1969), Sticky Fingers (1971);
The Birds: Turn! Turn! Turn! (1965), Mr. Tambourine Man (1965);
Crosby, Stills, Nash & Joung: Déjà Vu (1970);
Rory Gallagher: Live in Europe (1972), Irish Tour (1974);
Frank Zappa: Lumpy Gravy (1967), Hot Rats (1969);
Cat Stevens: Tea for the Tillerman (1970);
Leonard Cohen: Songs of Leonard Cohen (1967), Songs of Love (1971).
Sicher können sich noch einige an den ein oder anderen Titel erinnern.