Alles muss man selber machen
Für die bundesweit erscheinende Fachzeitschrift „Offene Jugendarbeit“ wurde 2016 das Juz Illingen porträtiert. Hier ein Auszug aus dem Artikel von Theo Koch.
Vom Horrorpunk zum Kulturdienstleister
Eine typische Szene im JUZ Illingen: Das Sound-Equipment ist noch im Flur des JUZ gestapelt. Gleich zwei Veranstaltungen wurden an diesem Wochenende vom JUZ-Team
gestemmt, darunter ein Konzert mit einer kanadischen und zwei lokalen Bands. Rund
sechzig Jugendliche hatten ihren Spaß und die Leute vom JUZ sind zufrieden. „Wir versuchen, den Bands immer ein guter Gastgeber zu sein. Deshalb sind wir auch als Konzertlocation sehr beliebt. Es gibt bei uns immer ein ausgezeichnetes Catering, professionellen Sound und wir kümmern uns um die Leute“, beschreibt Ruben Becker, ehemaliger Vorsitzender und bei der Organisation von Konzerten immer noch aktiv, das Erfolgsrezept.
Schon seit der Gründungsphase vor zwanzig Jahren ist die Organisation von Konzerten
ein Schwerpunkt in der Ausrichtung des JUZ. „Aus der Anfangsgeneration haben schon
viele in eigenen Bands gespielt und die Konzerte waren die logische Folge“. Mittlerweile
weist die Konzerthistorie 182 Konzerte mit 390 Bands aus. Und als in Illingen, einem Gemeindezentrum mit 5.500 Einwohnern, ein neues Kulturzentrum gebaut wurde, engagierte man sich auch dort. „In der neuen schönen Kulturhalle war zunächst nur Klassik
vorgesehen. Wir wollten darin auch was für Jugendliche machen und veranstalteten Konzerte und Diskoveranstaltungen,“ erklärt Ruben die Ausweitung der Kulturaktivitäten.
Heute finden regelmäßig große Disko- und Partyveranstaltungen mit 1.500 Leuten
durch die MacherInnen des JUZ statt, und bei diversen Gemeindeveranstaltungen werden sie für die „musikalische Untermalung“ eingekauft. Die Gemeinde verbucht das
JUZ mittlerweile als wichtigen Bestandteil ihrer ohnehin ambitionierten Kulturpolitik. Und auf Seiten des Jugendzentums hat sich nicht nur eine Menge professionelles Sound-
Equipment angesammelt, sondern auch jede Menge professionelles Know How bei den
MacherInnen.
Das merkt man dem 2008 neu gestalteten Jugendzentrum auch an. Das Gebäude bietet auf etwa dreihundert Quadratmetern Platz für „Konzerte, Musik, Party und Kultur“, wie das Logo des JUZ ausweist. Neben einem großen Multifunktionsraum mit Bühne und professioneller Lichtanlage befinden sich im Hauptgeschoss eine Küche mit Getränkelager, ein Büro und die Sanitärräume. Die beiden mit großen Fenstern versehenen Aufenthaltsräume sind gemütlich mit Sofas ausgestattet und laden zum Rumfläzen ein. Im Untergeschoss gibt es Räume zum gemeinsamen Fernsehen, Spielen und für den JUZ- und Kulturförderverein „Ill-Rock-City“. Ein Proberaum bietet Bands
aus dem Umkreis kostenlose Übungsmöglichkeiten.
Hinter allen Aktivitäten steht der Verein Jugendzentrum Illingen e. V. Die Jugendlichen
des aktuellen Vorstandes sind im Alter von 16 bis 19 Jahren. Seit Beginn hat sich eine Kultur der Selbstorganisation tradiert, die auf einer wöchentlich stattindenden offenen Vorstandssitzung basiert. Waren in den Anfangsjahren noch regelmäßig dreißig Leute auf den Sitzungen, sind es aktuell zehn, wenn nicht gerade ein zentrales Thema auf der Tagesordnung steht. Diese Organisationssitzungen spiegeln die typischen Verlaufszyklen
in den selbstverwalteten Treffs, in denen sich Phasen hoher und niedriger Beteiligungsintensität abwechseln.
Ausgebaute Unterstützungsnetzwerke
Begleitet werden die jeweils aktiven Jugendlichen durch Unterstützungsstrukturen auf
unterschiedlichen Ebenen. Eine wesentliche Stütze stellen die ehemals aktiven Jugendlichen dar, die mit dem Förderverein „Ill-Rock-City e. V.“ ihre Erfahrungen weiterhin
zur Verfügung stellen. Sie helfen bei größeren Jugendkulturveranstaltungen mit ihrem
professionellen Know How und fungieren als Mentoren für die jüngere Generation. Durch
dieses Mentoring wird das Erfahrungswissen an die jeweils nächste Generation weitergegeben und die Vorstände werden in ihrer Arbeit bekräftigt. So konnten in der Vergangenheit die für selbstverwaltete Jugendzentren typischen, existenzgefährdenden Generationenlücken verhindert werden.
Für Kontinuität vor allem beim täglichen offenen Angebot sorgt die Unterstützung
durch MitarbeiterInnen im Bundesfreiwilligendienst, die durch den Dachverband juz-united ermöglicht wird. Ihnen kommt im JUZ-Alltag die Aufgabe zu, den offenen Betrieb
über die Woche abzusichern und Öfnungszeiten am Nachmittag, insbesondere
für jüngere Nutzergruppen zu gewährleisten. So wird ein generationenübergreifendes
Zielgruppenangebot ermöglicht.
Wesentliche Stütze ist zudem die Gemeindejugendplege. Die Fachkraft begleitet die
Initiative von Anfang an, gibt wertvolle Anregungen, organisiert eine Jugendleiterausbildung und ermöglichte den Umzug in ein neues Gebäude durch eine geschickte Strategie im Hintergrund. Dass die Gemeinde, nachdem das Jugendzentrum zwölf Jahre in einem „Provisorium“ untergebracht war, im Jahr 2008 ein neues Jugendzentrum einweihen konnte, war wesentlich dem Verhandlungsgeschick des Jugendplegers zu verdanken. Ihm kam auch entgegen, dass der Bürgermeister und die Ratsmehrheit bereits das Potential der Jugendlichen um das Jugendzentrum erkannten und sich die Stimmung in der Gemeinde pro JUZ gewandelt hatte.
Das Juz in der Gemeinde: vom Schmuddelkind zum Sozialkapital
Auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung des Bürgermeisters mit Fragen des
demographischen Wandels führte zu einer eindeutigen Positionierung zu Gunsten des
Jugendzentrums. In einem Fachaufsatz formulierte er 2009: „Ungeachtet des demographischen Trends haben Kommunen die Chance, durch jugendfreundliche Gemeindeentwicklung auch für junge Menschen attraktive Lebensbedingungen zu schaffen und damit die gemeindlichen Zukunftsperspektiven zu optimieren.“ Er beschreibt den Weg, den die Gemeinde zusammen mit den Jugendlichen des Jugendzentrums
beim Standortwechsel ging und weist das Engagement der Jugendlichen explizit als Sozialkapital für die Kommune aus. Den Prozess beschreibt er als Lernfeld für
demokratische Kompetenzen: „Die lernten ihrerseits Politik auf der Handlungsebene, nicht aus dem Lehrbuch kennen. Sie wurden mit allem konfrontiert, was Lokalpolitik zu bieten
hat und kamen mit Ebenen in Berührung, die sie sonst kaum kennengelernt hätten – bis hin
zu Landesministerien und Brüsseler Generaldirektionen. Damit vermittelte das Projekt ganz nebenbei politische Handlungskompetenz.“
Auch auf der Ebene der Kommunalpolitik stellt er Lernleistungen fest: „Die Erwachsenen
in Politik, Verwaltung und Öfentlichkeit erfuhren ihrerseits, dass viele öffentlich vermittelte
Jugend‐Stereotype falsch oder zumindest tendenziös sind“, und mündet in der Feststellung: „Letztlich war das JUZ-Projekt eines der erfolgreichsten und ungewöhnlichsten Partizipationsprojekte der Gemeinde Illingen“.
Ermöglicht wurden diese Erfolge aber erst dank einer unglaublich aktiven Jugendgeneration, die mit dem Jugendzentrum einen Katalysator für ihre Bereitschaft zum Engagement gefunden hatte. Und diese startete bereits 1995.
Bewegte und bewegende Geschichte
Aus einer Initiative, angestoßen von jugendbewegten Erwachsenen, entwickelte sich
schnell eine Dynamik, die viele Jugendliche mitzog. Unterschriften wurden gesammelt,
Öfentlichkeitsarbeit organisiert und auf Gemeinderatssitzungen wurden die Forderungen
nach einem eigenen, selbst verwalteten Jugendzentrum lautstark eingebracht. Die
Gemeinde gab dem Druck nach und stellte die ehemalige Polizeiwache neben dem Rathaus als Provisorium zur Verfügung.
Es begann eine Phase unglaublich lebendiger Aktivitäten. Die Gestaltung der Räume, die Organisation des offenen Betriebs, erste Konzertaktivitäten, wöchentliche Vollversammlungen mit regelmäßig dreißig Jugendlichen, Konflikte mit der Nachbarschaft und den unterschiedlichen Nutzergruppen machten das JUZ zu einem Laboratorium sozialen Miteinanders. In der Phase des Umzugs in die neuen Räume und den vorausgehenden, jahrelangen politischen Auseinandersetzungen kamen intensive Erfahrungen mit der Kommunalpolitik hinzu. In Gesprächen mit den ehemals Aktiven merkt man auch heute noch, wie intensiv und prägend diese Anfangsjahre des Jugendzentrums waren. Die Identiikation mit dem JUZ führte auch dazu, dass die „Alten“ sich in einem Förderverein zusammenschlossen und das JUZ weiterhin unterstützen. Einmal iniziert mit dem JUZ-Virus, wurde der Spirit der Anfangsjahre so auch in spätere JUZ-Phasen hinübergerettet und ist auch heute noch spürbar.
Lernfeld ohne doppelten Boden
Die unzähligen Anekdoten in den Interviews mit ehemaligen und jetzigen Aktiven zeigen
nicht nur, wie bedeutend diese Phase für die Beteiligten ist, sondern auch, welche konkreten Erfahrungsinhalte mit dem Engagement verbunden sind.
So kommen die speziischen Qualitäten dieser Jugendarbeitsform zum Vorschein.
Dabei tauchen in mehreren Statements die Kernthemen offener Jugendarbeit immer
wieder auf: Das Erfahren von Gemeinschaft, verbunden mit den daraus entstehenden
Freundschaften und dem sozialen Rückhalt, den solche Gemeinschaften in der Jugendphase als wichtige Stütze des Erwachsenwerdens darstellen, wird immer wieder an zentraler Stelle genannt. Das Erleben von Gestaltungsmacht, also sich als jemand erleben zu können, der durch eigenes Tun (mit-) gestalten kann und Resonanz erfährt, wird
geschildert, insbesondere bei der Übernahme von Verantwortung in den Gremien, aber
auch bei der Alltagsorganisation oder bei Konzert- und Partyveranstaltungen. Diese
Selbstwirksamkeitserfahrungen werden als starke Ressourcen für die Persönlichkeitsentwicklung gedeutet. Und auch die Erfahrung von Anerkennung in einem Setting, in das man eigene Stärken einbringen kann und woraus in der Gemeinschaft ein größeres Erfolgserlebnis wird (wie bei der Konzert- und Partyorganisation), wird immer
wieder als positiver Verstärker beschrieben…
Vorstandsarbeit für Ofenheit
Einige Aussagen verweisen darauf, dass sich die Vorstandsmitglieder als Vertreter aller
Jugendlichen verstehen und darauf hinwirken, dass sich unterschiedliche Jugendszenen
und Jugendgenerationen im JUZ wohlfühlen. Diese Aussage widerspricht der These, dass
sich selbstverwaltete Einrichtungen strukturell in reine Cliquentrefs verwandeln müssen: „Ich hab mich, als ich Vorsitzender war, dafür verantwortlich gefühlt, dass sich alle wohlgefühlt haben. Ich hab versucht, alle zu integrieren, ob das immer gelungen ist, weiß ich nicht. Ich hab immer auch vermittelt zwischen den unterschiedlichen Besuchern. Und den eigenen Vorstandsleuten muss man auch immer wieder auf die Schulter klopfen und sie motivieren.“
Ein unterschätzter Aspekt selbstverwalteter Jugendzentren könnten die Integrationskräfte
starker sozialer Gemeinschaften sein, die sich auch für Jugendliche offen zeigen, die von Desintegrations- und Ausgrenzungserfahrungen betroffen sind. Insofern werden hier Kräfte einer Sozialintegration sichtbar, jenseits professioneller sozialpädagogischer
Interventionen: „Es gab viele Leute, die bei uns integriert wurden und durch unsere starke
Gemeinschaft aufgefangen wurden. Es gab viele Leute, die z. B. Außenseiter in der Schule
waren, die eigentlich bei uns durch ihr Engagement für den Laden auch Wertschätzung erfahren haben. Das konnte ich häufig sehen, dass die Leute, die zuhause Stress hatten und mit einer negativen Energie ins JUZ kamen, dass die hier an Aufgaben gewachsen sind und dadurch auch Anerkennung gekriegt haben“. Unklar bleibt allerdings, inwiefern das Jugendzentrum tatsächlich unterschiedliche Milieus und soziale Schichten integrieren kann und wie sich die Heterogenität des Sozialraumes im Jugendzentrum widerspiegelt.
Politisches Lernen
In einigen Aussagen wird insbesondere die Auseinandersetzung mit der Kommunalpolitik
als intensiv und bereichernd geschildert. Jugendliche machen hierbei Erfahrungen mit einem Feld, das bisher jenseits ihres Erfahrungshorizontes lag. Gleichzeitig erfahren
sie sich als gesellschaftliche Gestalter. Ein weiterer Aspekt ist, dass durch dieses Engagement Jugend in der Gemeinde(-politik) überhaupt erst kenntlich wird: „Das soziale
Verständnis und das politische Interesse hätte ich ohne das JUZ so nicht entwickelt, diese soziale Verantwortung. Und dass man in Gruppen was bewegen kann in der Gemeinde. Weil dieser Laden ist einfach so, weil sich sehr viele Leute aus eigenem Antrieb und mit sehr viel Enthusiasmus engagiert haben. Wir sind jetzt wer in der Gemeinde“.
Biografie-Relevanz
Von erstaunlicher Klarheit waren Aussagen in den Interviews, die aus dem frühen Engagement in den unterschiedlichen Arbeitsbereichen des Jugendzentrums die Motivation für eine beruliche Perspektiventwicklung sahen. Dies zeigt, dass, ausgehend von den unterschiedlichen Aufgabenbereichen und Tätigkeitsspektren, in den JUZen Erprobungsfelder zum Austesten unterschiedlicher Kompetenzen existieren. Daraus
können sich Interessen verdichten und es werden entsprechende Berufsbiograien angestoßen: „Von den Leuten, die an der Konzertorganisation Spaß hatten, haben einige Veranstaltungskaufmann gelernt oder einige wurden Techniker. Das kam, weil man ständig was reparieren musste … Und unser erster Kassierer ist jetzt in der Chefetage der Sparda Bank. Und von einigen Leuten weiß ich, dass die dann nach dem JUZ Sozialarbeit studiert haben. Da wurde schon einiges angebahnt im JUZ.“
Es wird auf diese Einzelaspekte verwiesen, weil dadurch kenntlich wird, welches sozialisatorische Potential in den Einrichtungen schlummert. Um diese Potentiale
überhaupt erst wahrzunehmen und dann fachpolitisch bewerten zu können, wäre
eine fundierte wissenschaftliche Forschung dringend geboten.
Aktueller Stand und Perspektiven
Beim letzten Besuch im Jugendzentrum stapeln sich die Farbeimer im Eingangsbereich. Das JUZ hat in den letzten Wochen, angeregt durch den „Ortskernsanierungsauschuss“,
einen Wettbewerb zur Gestaltung der Betonwand gegenüber dem JUZ eigenständig
organisiert. Von der Ausschreibung über die Öffentlichkeitsarbeit und der Auswahl bei
den Wettbewerbseingängen bis zur Organisation der Gelder für die Farbe lag alles in der Hand der JUZ-Verantwortlichen. Es wurde auch bei der Gemeinde als dicker Pluspunkt verbucht, dass durch das JUZ die vormals betongraue Gegend nun ein deutlich bunteres Aussehen erhielt.
Auch der neue Vorstand hat sich bewährt. Die Mitglieder schauen täglich mal ein, zwei
Stunden vorbei und organisieren nebenbei die Kleinigkeiten des JUZ-Alltags. Etliche
junge Menschen machen sich auf den Sofas breit und es herrscht das übliche Kommen
und Gehen. Über Nachwuchsmangel kann man sich nicht beklagen. Dafür sorgt eine
weitere Besonderheit des Jugendzentrums. Die kontinuierliche Einbindung der jüngeren
JUZ-BesucherInnen über die Mithilfe bei den großen Konzert- und Diskoveranstaltungen
im Kulturzentrum erweist sich für viele als Türöfner. Bis zu fünfzig HelferInnen werden bei den größeren Veranstaltungen gebraucht, und da müssen auch die frischen JUZ-BesucherInnen mit anpacken. Der erste Helfereinsatz wirkt dabei immer auch als Initiationsritus in die engere JUZGemeinschaft – ein Ritual, das für einen kontinuierlichen Zulauf sorgt.
Gedanken über die Zukunft muss man sich aber schon machen. Dazu ist vielleicht auch ein Blick in die Vergangenheit erhellend. Im Gespräch mit den JUZ-Aktiven der ersten Generation werden Veränderungen der Jugendphase beschrieben, die zu denken
geben. „Meine kleine Schwester ist elf Jahre jünger und hat gerade Abi gemacht. Die kommt manchmal um 16 Uhr aus der Schule und macht dann noch Hausaufgaben. Wir waren damals um 13 Uhr von der Schule zuhause und haben uns dann direkt im JUZ getroffen. Die haben doch heute überhaupt keine Zeit mehr für so was.“ Ruben überblickt die letzten fünfzehn Jahre Jugendzentrum und beschreibt exakt das eingeengte Zeitbudget der heutigen Jugendgeneration und den stärkeren Druck, dem diese ausgesetzt ist. Und eine weitere Veränderung hat er festgestellt. „Damals war das einfach ein freierer Raum, heute ist das schon spießiger. Früher wurde im JUZ geraucht und die Nachbarschaft schon nachmittags mit Heavy Metal beschallt. Heute kann man sich das gar nicht mehr vorstellen“..