Die Zeit war reif
Marianne Granz, Sozialministerin im Saarland von 1994 bis 1996, war 1971 eine der Initiatorinnen des selbstverwalteten Jugendzentrums auf dem Eschberg in Saarbrücken. Im Interview erzählt sie von ihren Beweggründen zur Juz-Gründung und den Erfahrungen im Juz, das 1977 in kommunale Trägerschaft überführt wurde.
Marianne Granz, kreativ im Juz Eschberg
Ihr habt bereits 1971 eine Initiative für ein Jugendzentrum auf dem Eschberg gegründet. Wir kam es denn dazu?
Wir sind 1969 als junge Familie auf den Eschberg gezogen. Und der Eschberg wuchs und
wuchs. Er hatte mal über 12.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Aber es gab kaum
Infrastruktur, es war diese berüchtigte Schlafstadt entstanden. Ich war damals 29 und
Referendarin am Gymnasium am Rotenbühl. Meine Tochter kam in den Kindergarten, und da waren andere politisch aufgeschlossene Eltern. So haben wir gesagt, wir müssen etwas tun, damit aus dieser Schlafstadt ein lebendiger Stadtteil wird. Wir gingen zu den Jusos. Es gab diese Aufbruchstimmung, die uns 1972 zu Willy Brand und mehr Demokratie wagen führte.
Ein Konzept wurde für einen lebendigen, vielfältigen Stadtteil geschrieben. Als Erstes sollte etwas für die Jugend getan werden. Die wurden überall argwöhnisch beäugt und überall weggeschickt. Also haben sie im Park gesessen und abgehangen. Wir haben in der Folgezeit viele Gespräche mit ihnen geführt. Da hörten wir immer wieder folgende Klage: „Die wollen uns alle sagen, wo es lang geht, wir wollen aber mal sagen, was wir gerne möchten, wo es langgehen soll.“ Das war ihre Idee, weg von der Bevormundung der Eltern, von der Bevormundung der Lehrherren, von der Bevormundung der Lehrer. Sie wollten sich ausprobieren, sie wollten einen freien Raum für ihre Interessen. Wir konnten auf Konzepte zurückgreifen, die damals aus Berlin kamen. Die Idee stieß bei allen Beteiligten auf ein positives Echo, einen selbstverwalteten Freiraum für die Eschberger Jugend zu fordern. Und es war wichtig, dass dieser selbstverwaltet werden sollte.
Die jungen Erwachsenen gründeten einen Trägerverein, schrieben eine Konzeption, diskutierten sie mit den Jugendlichen und haben sie dem Stadtrat eingereicht. Tatsächlich wurde eine Vorlage an das Jugendamt gefertigt für die Einrichtung eines selbstverwalteten Jugendzentrums. Und letztendlich hat sie dann auch politisch eine Mehrheit gefunden, obwohl da die CDU im Rat noch die Mehrheit hatte und diese Partei keine Befürworterin war. Aber irgendwie war die Zeit reif dafür.
Und dann wurde ein Neubau von der Stadt erstellt und im Juni 1974 offiziell eingeweiht, mit allem Zipp und Zapp. Die Stadt hat uns nach den Vorstellungen der Jugendlichen einen großen Versammlungsraum, eine Küche und kleine Hobbyräume gebaut. Typischer Betonbau allerdings, alles schön quadratig-eckig, aber sonst war nix drin, auch keine Möbel, und leider mitten im Wohngebiet, wenn auch als Eckhaus. Man ahnt Konflikte.
Die Jugendlichen standen vor der Aufgabe, das so zu gestalten, wie sie das wollten, hatten aber null Erfahrung. Also doch gemeinsam mit uns Erwachsenen streichen, gestalten, hämmern, nageln und putzen. Mit jedem Raum, den sie mit uns gestaltet haben, übernahmen sie mehr Verantwortung. Und das war unheimlich gut und fruchtbar. Das war ein Lernprozess für uns alle mit sehr viel Spaß, Chaos und großer Freundschaft.
Um die Inhalte in diesem „Haus“ zu organisieren, gab es den freien Rat, den sogenannten Selbstverwaltungsrat mit den Jugendlichen und dem Trägerverein. Wir gehörten dem Trägerverein an, Thomas Böhme war der erste Vorsitzende. Das war die Auflage der Stadt bei der Gründung. Der Trägerverein musste gegenüber der Stadt gerade stehen. Die Jugendlichen wollte man davon freisprechen, weil sie ja auch noch nicht volljährig waren. Erika Trenz wurde als hauptamtliche Betreuerin eingestellt und zur Freude aller noch eine weitere Sozialarbeiterin.
Das lief am Anfang alles richtig gut mit großartigen Diskussionen mit den Jugendlichen. Z.B. da die Zeit der Pille gerade begann, war das für die Mädchen ein Riesenthema. Wir haben unzählige Male darüber diskutiert, weil die ungewollten Schwangerschaften, die gab es viel zu oft. Abtreibung war ein Angstthema, sie wurde rechtlich noch viel strenger gehandhabt als heute. Die Liberalisierung von §218 war in weiter Ferne. Doch diese neue Welle der Befreiung von Zwängen bestimmte das tägliche Leben der Jungen, dazu gehörten auch sexuelle Freiheit und Sexualunterricht in der Schule, nichts Selbstverständliches, sondern das Aufbrechen von Tabus. Hier im Saarland noch viel mehr als in anderen Bundesländern, ob man das nun dürfe, dass man den Kindern beibringt, wie Sex gehen könnte und wie man Schwangerschaft verhindert, obwohl man Sex möchte. Das alles ließ die Jugendlichen wach werden. Lasst uns mal darüber diskutieren! Das war das Motto! Die erste Liebe war im Jugendzentrum ein durchgehendes Thema und da war das ganz wichtig, dass sie sich an uns wenden konnten, völlig frei und ohne jede Bevormundung. Denn eigentlich wollte kein Mädchen in diesem Alter schwanger werden, aber die ersten Erfahrungen machen und sich verlieben.
Konfliktgespräch im Betreuerteam?
Das zweite war, dass wir zur Konsumkritik beigetragen haben. Also es gab Diskotheken, es gab die Möglichkeit auszugehen, dafür brauchte es aber ganz schön viel Geld. Und im Jugendzentrum, da brauchten sie zunächst mal überhaupt kein Geld, und das haben wir eigentlich Woche für Woche thematisiert, wir machen eben keinen Konsumansatz, sondern wir machen das alles aus uns heraus. Und wenn wir eine Band engagieren, dann machen wir eine Hut-Sammlung. Und wir selbst bringen uns zusammen mit den Jugendlichen ein, wir kaufen gemeinsam ein, kochen und putzen, machen die Abrechnung. Das sind Kleinigkeiten, aber all das ist natürlich weg von Konsum. Du musst alles selbst lernen und verantworten. Wenn du heute mit den damals Jugendlichen als Schüler, Auszubildende und Studenten sprichst, die ja nun alle um die 60 und älter sind, dann hörst du diesen Satz: das waren für uns die lehrreichsten Jahre. Und sie wollen kein Jahr davon missen.
Das Jugendzentrum entwickelte sich wunderbar in den ersten Jahren. Es gab jeden Samstag eine Party, bald kamen mehr als 200 Personen und die haben uns dann leider auch ‚Huddel‘ gemacht. Denn es kamen, weil wir das erste Jugendzentrum waren, aus den anderen Stadtteilen Rocker, Krawallmacher, Störer. Punktum, es war zu viel und es war nicht mehr zu durchschauen oder zu deseskalieren und die beiden Betreuerinnen konnten das nicht beruhigen, und wir wollten ja nicht wieder verbieten. Und die ständigen Diskussionen waren, wie weit geht Freiheit? Und wo fängt Selbstverantwortung an. Wie wird sie genutzt? Es gab dazwischen gut funktionierende Initiativen, wir hatten eine wunderbare Foto-AG, eine Kunst-AG. Wir hatten ständig Diskussionen um die Platten, die angeschafft werden sollten. Ton Steine Scherben, Floh de Cologne oder Pop? Eben Protestsongs! Doch wer gab darauf acht?
Irgendwann war es dann so, dass einfach zu viele kamen. Und dass die Betreuer keinen Überblick mehr hatten, wer zu welcher Veranstaltung kam. Sollte ja selbstverwaltet sein. Und damit ging natürlich auch ein gewisser Vandalismus einher. Das war für uns alle eine schwierige Zeit. Das Zweite war, wenn die dann rauchen wollten, sind sie rausgegangen. Rundherum war alles bebaut und dann hatten wir die Nachbarn auf dem Hals. Krach, da kam zigmal die Polizei und es gab Anzeigen. Aber das kannst du nicht verhindern, wenn du einen Jugendtreff hast. Wir haben immer wieder versucht, pädagogisch mit Diskussionen und Klärungen aufzufangen. Da kommt Thomas Böhme eine große positive Rolle zu. Und auch Erika. Beide reagierten nie mit Strafen, sondern immer wurde gesagt, lasst es uns diskutieren und eine Lösung finden. Gebt allen Besuchern eine Chance. Und tatsächlich wurde die Situation vorübergehend erst mal besser, bevor es dann doch eskalierte. Das hat leider auch damit zusammengehangen, dass wir zeitweise zu viele Gymnasiasten im Juz hatten, die die Selbstverantwortung wahrgenommen haben, die aber wenig vom Alltag der damaligen Lehrlinge (Azubis kam später) wussten, von ihren Aggressionen, Geldsorgen usw. Sie wollten wieder verbieten, konfrontierten diese Gäste mit ihren Vorstellungen und prallten aufeinander. Das war ein negatives Ergebnis unseres gemeinsamen Wollens, dass sie selbst lernen sollten, Verantwortung zu übernehmen in der ganzen Breite. Die Lebenswelten überschnitten sich nicht. Da konnten auch wir nicht vermitteln.
Und ja, die waren nicht mehr solidarisch untereinander. Da bin ich eigentlich bei dem Hauptbegriff. Die Jugendlichen, die sollten lernen miteinander solidarisch umzugehen. Das war die Hauptmotivation für die Selbstverwaltung. Aber dieser solidarische Gedanke, der ging zu schnell verloren, weil zu viele von außerhalb zum Abfeiern kamen. Man verstand sich nicht, man war selbst noch nicht genug für diese anderen Empfindungen gerüstet. Wenn 200 am Wochenende da sind, und davon sind 100 aus allen möglichen Stadtteilen, die du überhaupt nicht kennst, und die nur auf Feiern aus sind, dann ist das schwierig, solidarisch zu sein. Dann macht nämlich der eine Teil der Selbstverwalteten auch wieder nur die Arbeit und der andere bedient sich.
Die Frage war ständig da, wie weit kann man Regeln zurücknehmen und wo sind sie unablässlich. Und in jedem administrativen Ablauf muss es Regeln geben, auch im Jugendzentrum. Man kann es überregeln und dann hat man keine Freiheit mehr. Und man kann es so regeln, dass ganz viele Freiräume entstehen. Die Grundidee war ja, dass wir mit Freiheit anders umgehen wollten. Also, Freiheit kannst du verstehen, als Laissez-faire. Alles ist erlaubt. Keine Regeln sind mehr einzuhalten. Und Freiheit kannst du aber auch so verstehen, dass der freie Mensch sich auch an selbst gegebene Regeln hält. Man muss dann für diese Regeln einstehen, damit das Leben untereinander funktionieren kann. Diese Fragen haben wir bis tief in die Nacht hinein diskutiert. Und am nächsten Morgen um halb sieben musste man raus, um wieder zu unterrichten oder seinem sonstigen Beruf nachgehen. Das war uns das immer wert, aber total anstrengend.
1977 war die Phase des höchsten Konflikts, wo Wochenende für Wochenende eigentlich jede Party eskalierte, die Musik zu laut war, weil Haschisch geraucht wurde und weil diese ‚Gäste‘ sich nicht einfangen ließen und alle selbst aufgestellten Regeln brachen.
Und da gab es dann sehr, sehr viele politische Diskussionen im Stadtrat. Was sollte man machen? Wir haben dafür gekämpft, dass das Jugendzentrums nicht einfach zugemacht wird. Das stand auf der Kippe. Plötzlich sagte die Stadt, dann übernehmen wir es in kommunaler Trägerschaft. Das hat uns damals absolut bedrückt. Und ich bin froh, dass es heute mit dem Label M ja doch wieder eine Form von Selbstverwaltung gibt.
Das Juz Eschberg heute
Ihr wart das erste Jugendzentrum in der Stadt Saarbrücken. Wie hat sich das denn weiterentwickelt?
Als wir anfingen mit der Forderung nach einem Jugendzentrum auf dem Eschberg, gab es auch eine heftige politische Diskussion über die Neueinteilung der Stadt in Oberzentren und Nebenzentren. Der Eschberg war eigentlich ein Nebenzentrum. Und das Oberzentrum war Sankt Johann. Aber es war ja klar, dass die Nebenzentren, wie zum Beispiel Güdingen, Brebach, Burbach, Malstatt, dass die aufgewertet werden mussten, damit da eben auch eine gute Infrastruktur entstand. Deshalb gab es fast parallel zu unserer Initiative die Initiative für das Jugendzentrum Försterstraße. Aber auch in anderen Stadtteilen kamen die Diskussionen um Jugendtreffs auf. Im Stadtrat wurde langsam begriffen, dass man unbedingt für die Jugend etwas anbieten musste, um Krawalle zu vermeiden. Es kamen auch die Initiativen von den Jugendlichen selbst in den Stadtteilen und so hat die Stadt nach und nach die Jugendzentren auch in anderen Stadtteilen eingerichtet.
Unser Jugendzentrum ist früh in die Verantwortung des damaligen Stadtverbandes überführt worden. Später ist die gesamte Jugendhilfe in den Regionalverband integriert worden. Heute werden die Jugendzentren mit einem festen Budget gefördert, während wir um unsere jährlichen Fördermittel noch kämpfen mussten. Das ist ein großer Fortschritt. Da haben viele, auch die freien Träger, dazu beigetragen, dass die Jugendzentren fest institutionalisiert wurden. Und wir heute diese Einrichtungen für Jugendliche überall haben und dass sie fest etabliert sind.
Wir waren 1972 sozusagen der Zündfunke, der Zünder für die Stadt Saarbrücken, für das Saarland. Denn nach und nach entstanden rundum in den 52 Gemeinden des Saarlandes Jugendzentren und Jugendtreffs. Und Thomas Böhme hat die Vernetzung und Verbandsgründung mit anderen zusammen positiv moderiert.
Wie wurde denn das Thema Selbstverwaltung kontra Kommunalisierung bei euch diskutiert?
Sehr intensiv. 1975 bin ich Landtagsabgeordnete geworden. Es gab damals viele junge Leute aus den Jusos, die Verantwortung übernommen haben, als Stadträte, als Bezirksräte, als Landtagsabgeordnete. Und es wurde heftig über alles und jede Veränderung und Demokratisierung diskutiert: Wie halten wir es mit der Jugendzentrumsbewegung? Wie geht es weiter? Die einen sagten, wir lassen uns das nicht kaputt machen mit der Selbstverwaltung und die anderen sagten, das haben die Jugendlichen selbst kaputtgemacht. Die mussten lernen, Grenzen zu setzen gegenüber fremden Gruppen, wie viel kann ich zulassen, ohne dass es eskaliert? Das alles mussten sie aus sich selbst heraus lernen und das hat halt nicht immer funktioniert. Und da sind wir manchmal, aus der Rückschau betrachtet, zu ideologisch gewesen. Weil wir in bestimmten Phasen gesagt haben, das ist eure Selbstverwaltung, aber die Jungen haben gesagt, wir sind völlig überfordert, wir brauchen eine lenkende Hand. Die wollten wir genau nicht sein. Aus diesen Konflikten entstand der Wunsch nach kommunaler Verwaltung und mehr Betreuung, aber unter Beibehaltung der Selbstverwaltungsidee.
Wichtig war in dieser Phase, dass die Betreuer sich ausgetauscht haben und man gegenseitig an den Erfahrungen lernen konnte. Also wie eine Supervision. Das hat Hans-Joachim Trapp mit dem Paritätischen Bildungswerk organisiert, das war ein notwendiger Schritt.
Mit Hans-Joachim Trapp war ich später ganz eng verbandelt, weil er im Ministerium Abteilungsleiter war, als ich Sozialministerin wurde. Wir haben eng und solidarisch zusammengearbeitet. Ich war von 95 bis Herbst 96 Sozialministerin, knapp 3 Jahre. In dieser Zeit war das Thema Jugendzentrums-Szene nicht vorrangig, Wir hatten den Eindruck im Ministerium, dass ein gutes Fundament aufgebaut war. Und das Land hat ja sowieso nur sehr begrenzte Möglichkeiten. Ansonsten waren Juze kommunale Angelegenheit bzw. Angelegenheit der Landkreise.
Wie siehst du denn die Zukunft der Jugendzentrumsbewegung
Meiner Meinung nach hat die Jugendzentrumsbewegung nach wie vor große Aufgaben. Die Reflexion der Pandemie zeigt das eindrücklich. Mehr Jugendliche denn je fühlen sich vereinsamt, haben sogar schon Depressionen. Können sich nicht austauschen, können nicht miteinander kommunizieren. Das heißt, die Jugendzentrumsbewegung hat als erstes die Aufgabe, junge Menschen nochmal in größeren Gruppen zusammenzubringen. Dafür sind sie unerlässlich.
Das zweite ist, dass man in den Jugendzentren noch mal eine offene Streitkultur initiiert, damit die Jugendlichen lernen, dass diskutieren nicht was Schlechtes ist, sondern es wird erst was Schlechtes, wenn man dem anderen hämisch begegnet, den anderen verachtet, den anderen nicht mehr akzeptiert. Die neuen Medien, die es in den 70gern noch nicht gab, spielen dabei heute eine große Rolle. Das muss thematisiert werden. Wir sind wieder da, wo wir schon waren, nochmal mehr Demokratie wagen in den Jugendzentren. Unabdingbar ist mit den jungen Menschen eine demokratische Kultur aufzubauen. Und das auch mit sehr unterschiedlichen Gruppen, die man zusammenbringen muss. Das ist eine große Aufgabe. Die Jugendzentren haben sich auch in ihren Ansprüchen verändert. Sie haben heute einen stärkeren Integrationscharakter gerade auch für Jugendliche mit Migrationshintergrund.
Und die Jugendzentren sollten auch die Themen aufgreifen, die die Jugendlichen bewegen. Zum Beispiel, was können wir gegen den Klimawandel tun? Was können wir für die Aufmerksamkeit der Menschen tun, dass wir nicht sehenden Auges in eine Klimakatastrophe stürzen? Solche Geschichten müssen wir heute aufgreifen. Und Zirkel dazu schaffen, Netzwerke organisieren.
Das ist aktuell schwierig. Die gesellschaftliche Aufbruchstimmung, die wir hatten, die fehlt. Die Gesellschaft war damals verkrustet, das Saarland war besonders konservativ, da war es leicht eine Gegenbewegung zu schaffen, die aus anderen Regionen der BRD stark befeuert wurde. Und wir waren in unserer Haltung unangepasst, wir waren protestierend. Als ich nach Saarbrücken kam zum Studieren gab es die „Rote Punkt Aktion“. Das war an Aufstand schon fast alles. Es gab einen großen Nachholdrang. Die Generationen, die nach uns kamen, haben enorm von unserer 68er Generation profitiert, von diesem Aufbruch. Wir haben die Türen geöffnet für Erneuerungen. Wir haben mit dem Jugendzentrum Eschberg etwas aufgegriffen, das innerhalb der Gesellschaft in der Luft lag. Die Zeit war reif für die Jugend, etwas Neues zu wagen, und zwar nicht in der alten Form der Bevormundung, sondern unter dem Motto: Trefft Euch, kommt zusammen, Ihr seid selbst verantwortlich für eure Zukunft! Und dafür sollten wir weiterhin als politisch Verantwortliche Räume schaffen, freie Räume, die den Jugendlichen gehören, die von ihnen gestaltet werden. Das ist mein Appell.
Marianne Granz
Nach ihrem Abitur 1961 studierte sie für das Lehramt an Gymnasien und erwarb 1969 ihr zweites Staatsexamen. Danach war sie als Lehrerin am Rotenbühl tätig, zuletzt als Oberstudienrätin. Ihr Engagement in der Politik begann Ende der 60er auf dem Eschberg. Granz gehörte von der siebten bis zum Beginn der elften Legislaturperiode (1975–1994) dem Landtag des Saarlandes an. Im Jahr 1990 berief sie Oskar Lafontaine als Ministerin für Bildung und Sport in sein zweites Kabinett. Im Kabinett Lafontaine III war sie von 1994 bis 1996 für die Ressorts Frauen, Arbeit, Gesundheit und Soziales zuständig. Noch immer engagiert sie sich ehrenamtlich in verschiedenen Organisationen.