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Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung e.V.

Unglaublich, was an Kulturveranstaltungen in den Jugendzentren lief. Im Saarland war wirklich einiges geboten, sieht man auch nur beispielhaft die Programmangebote aus sechs verschiedenen Jugendzentren durch. Zu finden sind die Programme in den Nachrichten Nummer vier. Und sie zeigen auf, wie sehr die Jugendzentren untereinander kooperiert haben, aber auch mit anderen Vereinen, mit dem Schützenverein, mit der VHS, und wie sie auch Leben in die Bude brachten, indem sie Konzerte in Dorfkneipen auslagerten. Man sieht auch gut, wie wichtig diese Initiativen für die kreativen MusikerInnen, KünstlerInnen und überhaupt Freaks, die was auf die Beine stellten, waren. Sie brauchten ja auch alle einen Ort zum Auftreten, zum Spielen.  Eigentlich hatten da doch alle was davon? Eine frühe Win-Win Situation?

Ganz schön was los da

 Von St. Wendel über St.Ingbert und weiteren Juzen war ein buntes Potpourri an interessanten Filmen, Workshops, Konzerten aller Couleur und mehr noch,  geboten. 

In St.Wendel konnte man sich an gemeinsamen Renovierungsarbeiten beteiligen und bei der neuen Juz-Zeitung „Heiter bis wolkig“ mitmachen. Klingt erstmal  eher nach Arbeit, konnte ja aber auch inspirierend sein. Im Juz Försterstraße stand im Herbst ´77 gerade der Umzug in das neue Haus an, somit wurde das größte Juz im Saarland bezugsfertig.  Und darauf waren die Saarbrücker auch stolz, wie den Nachrichten zu entnehmen ist. Auch hier wurde viel, viel renoviert. Und eine große Veranstaltung wurde annonciert: ein Dia-Vortrag über die Korsika-Reise wurde im SOG-Theater gezeigt. Was genau „die Korsika-Reise“ war, blieb unerwähnt. Es könnte um  nationale Befreiungsbewegungen gegangen sein?

Im Juz Bexbach gaben sich das Komikkabarettduo Gerd Dudenhöfer und Oliver Mark mit dem Programm „Gedanken in Noten und Reimen“ die Ehre. Ein paar Tage später folgte Zupfgeigenhansel mit deutscher Folklore. Auch Jacoby und Schorsch waren in diesem Herbst in Bexbach zu Gast und präsentierten „Dreiste Gedichte und feiste Gesänge“. Auch Helmut Ruge, ein damals ausgezeichneter Kabarettist, der u.a. für Hildebrandts „Notizen aus der Provinz“ schrieb, hatte einen Auftritt in Bexbach. Schließlich schlossen „Jehli und Jahr mit elsässischer Folklore ab. Ganz schön bunt, das Programm in Bexbach.

Das Juz Neunkirchen bot im Rahmen einer Aktionswoche im  September ein Konzert der „Scrap Manu Factory“. Um von der Schrottmanufaktur eins auf die Ohren zu kriegen, musste man eine Mark  latzen. Zivile Preise für frühen Punk . Auch das Kinderfest mit den Filmen „Tim und Struppi im Sonnentempel“ sowie „Sindbad der Seefahrer“ (heute wahrscheinlich auf der Abschussliste), kostete eine DM Eintritt. Weiter ging es mit Konzerten und Filmen im Wechsel, bis die Abschlussfete mit Disco und freiem Eintritt gebührend gefeiert wurde. Jugendcafé und Teestube waren auch an allen Tagen geöffnet. 

Im Juz St.Ingbert startete im September die Reise „Politische Diskussionen“ gemeinsam mit der VHS. Leider wurde das Thema der ersten Diskussion in den Nachrichten nicht genannt. Aber es folgte ein Termin mit Amensty International. Im Oktober wurde ein Konzert mit der Klezmer – und Folkgruppe „Espe“ in der Ingobertushalle organisiert. Zwischendurch im November startete ein Batikkurs – auch gemeinsam mit der VHS. Und Sammy Vomacka sowie Norbert Althofen -extra annonciert als „bekannt vom Folkething“ spielten an zwei Abenden dem geneigten Publikum auf. Beide damals wohl Folkmusiker, heute ist zumindest Sammy Vomacka ein gar nicht unbekannter Jazzmusiker.

Man sieht hier: die musikalische Hauptströmung ist insgesamt wohl noch der Folk. 

Ein Highlight fand im September im Juz Oberthal statt. Das Juz organisierte  organisierte eine Leverkusener Band  – Deja vu – und sie wussten bis spielten sowas wie Progressive Fusion – das ergab meine Internetrecherche. Irish Folk war einen Monat später im Lokal Steffen angesagt. So sorgten die Jugendzentren auf dem Land auch für volle Gasthäuser.

-Die Juzini Eppelborn gab alles. Sie veranstaltete einen Sommernachtsball Anfang September im Schützenhaus. Mannomann. Welche Kooperationen tun sich da auf. So war die Dauer angesagt: “ ab 20.00H bis keiner mehr will“. Für das Fest wurde die Gruppe Ar c` horriganed engagiert. Könnte irgendwas bretonisches sein, oder? Ja, ist bretonisch. Frau Google hat es soeben bestätigt. Außerdem kooperierten Juzini Eppelborn und Juz Dirmingen bei der Vorführung einer Filmreihe, wobei in Eppelborn auch in ein Gasthaus ausgewichen wurde. Was an Filmen angesagt war, war damals „Der Blaumilchkanal„. „Alices Restaurant“, oder „Es herrscht Ruhe im Land„. Allesamt Filme, die man damals wohl nicht im Union Theater Illingen (Kino) oder seinesgleichen in St.Wendel sehen konnte. 

Im Juz Losheim wurde im Sommer ein Konzert mit den Bands Franz K., damals bekannt durch ihre LP „Sensenmann“ und Farewell veranstaltet. Franz K. war wohl irgendwie eine männerbewegte Band. Jedenfalls singen sie ganz viele unglückliche Liebeslieder, in denen sie sich nicht länger verarschen lassen wollen. Meine Sympathie haben sie. Nur: ich hatte das immer andersrum in Erinnerung. Komisch! Im Oktober gab es dann noch ein Folkkonzert und es wurde eine Informationsfahrt in den Mergener Hof Trier, das dortige selbstverwaltete Kultur- und Jugendzentrum, gemacht. 

Jetzt sagt selbst: das waren die Programme von nur sechs Jugendzentren in nur einem einzigen Herbst, im Herbst 77, von September bis Dezember, innert knappen vier Monaten. Die vielen Kooperationen und ausgelagerten Konzerte legen Zeugnis ab davon, dass die Jugendzentren keine Berührungsängte hatten sondern im Gegenteil das konstruktive Miteinander suchten. Man kann da schon zum Ergebnis kommen, dass die Jugendzentren ganze Arbeit geleistet haben, wenn man sich das Saarland als Kulturstandort ansieht.  Heute können die Kulturbeauftragten das ganz alleine. Aber sellemols. Da waren keine Innovationen auf dem Dorf zu erwarten. Nun, da waren eben die Jugendzentren die Vorreiter.  Die VSJS – Nachrichten haben es dokumentiert. 

Der Herbst ´77 wird auch der „Deutsche Herbst“ genannt.

„Der Begriff „Deutscher Herbst“ leitet sich von dem Film Deutschland im Herbst von 1978 ab, einer Collage mehrerer Dokumentarfilme von elf Regisseuren des „Neuen Deutschen Films“, die sich mit der Reaktion des Staates auf den Terrorismus aus unterschiedlichen Blickwinkeln kritisch auseinandersetzen“ (geklaut aus  Wikipedia, glaube ich). 

Es war eine Zeit, in der sehr viele, nicht nur Jugendliche, unter diesem Eindruck der Gefahr, der Unsicherheit, der Bedrohung standen, auf die wir keinen Einfluss hatten. Der Staat kontrollierte wie wild, jeder war verdächtig. Auch in den Jugendzentren war diese Stimmung spürbar und nicht folgenlos .Definitiv. Ich bin Zeugin für die Jahre nach 1979. Da wurde mir diese Stimmung erst politisch und persönlich bewusst. . Die Schleierfahndung, was sie bedeutete und das Klima der Verdächtigung, des Misstrauens, waren mir zuvor nicht so deutlich bewusst.

Und in diesem Klima fanden die Jugendzentren trotzdem zu ihren beschriebenen Aktivitäten. Nicht schlecht – Hut ab. SB