VSJS Logo

Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung e.V.

Vom anarchistischen Juz-Aktivisten zum Sozial- und Kulturdezernenten

Thommy Brück verbindet eine vielfältige Geschichte mit der saarländischen Jugendzentrumsbewegung. Als Mitgründer des Juz Illingen, als zweiter Zivildienstleistender des Verbandes und als Vorsitzender des VSJS 1978 war er mehrere Jahre in der Szene aktiv und blieb den Ideen der Juz-Bewegung auch später verbunden. 

Wir haben ihn zu einem Gespräch getroffen.

Wie es losging

Die Juz-Initiative in Illingen ging um das Jahr 1973 los, da war ich gerade mal 17Jahre jung. Die jusos hatten damlas in Illingen die Initiative dazu übernommen. Ist dann später in die Jugendzentrumsinitiative übergegangen, weil klar war, es muss für alle offen sein. Ein breites Spektrum von Jusos bis katholischer Jugendbewegung war präsent.
Natürlich auch Unorgansisierte.
Der eigentliche Mobilisierungspunkt für uns Jugendliche in der Provinz war, dass wir keine
adäquaten Freizeitmöglichkeiten hatten. Außer man geht in Vereine, es gab auch noch ein, zwei Kneipen. Aber wir wollten uns auch politisch engagieren, die  Jugendzentrumsbewegung wie ich sie sehe, war ja Teil einer Aufbruchbewegung, auch als Fortführung der 68er Generation.
Man wollte auch aus Familienzwängen raus, auch aus den Zwängen in der Schule. Eine neue Jugendkultur zu schaffen und das in einem selbstbestimmten Raum, in einem eigenen Haus. Um dort zu machen was man gerne tut. Und dass das jetzt unbedingt total politisch sein musste, war erstmal gar nicht mal so wichtig. Wichtiger war der Freiraum, als Jugendlicher dieses selbst zu bestimmen. Wir wollten uns ungezwungen treffen, Spiele machen, diskutieren. Und das war halt dieser zu erkämpfende Freiraum in der Freizeit. Das war ein ganz wesentlicher Punkt für mich.
Das politische Bewußtsein kam aus der allgemeine Zeitstimmung damals, das hat uns alle
sozialisiert. Eine große Rolle spielte für mich die Aufbruchstimmung hervorgerufen durch die Brandt-Regierung, diese sozialdemokratische Politik mit den Ostverträgen, diese Politisierung durch das „mehr Politik wagen“. Das hat mich als Jugendlichen fasziniert. Und da wollte ich mich politisch engagieren.

Thommy (zweiter von links) in Salecina

Die Jugendinitiative

Es kam dann zur Gründung der Juz-Initiative. Berthold Thielen und Angelika Kraus waren dort sehr engagiert. Einmal die Woche war das offizielle Meeting, eine Art Vollversammlung. Und dort haben wir die Ideen entwickelt, wo gibt es Räume, wo gibt es ein Haus für uns. Wir haben auch geschaut wie machen das andere, auch bundesweit
Zum Beispiel Wertheim, im Fränkischen, da kam es zu einer Hausbesetzung für ein JZ. Das war bei uns dann auch eine ganz starke Diskussion. Denn wir hatten ja den ganz großen Konflikt mit der Kommunalpolitik. Uns ging alles viel zu langsam. Die CDU Alleinregierung in der Gemeinde hatte für uns nichts übrig. Die haben gesagt, ihr kriegt nix, es gibt ja die Vereine, die Kirchen, das reicht.

Aber es gab leerstehendes Schulgebäude und da hatten wir dann die revolutionäre Idee, das zu besetzen. Das wurde intensiv besprochen und das ist im Dorf natürlich durchgesickert und das Gebäude wurde von der Gemeinde abgesichert. Wir hatten da  aber auch intern heftige Diskussionen. Damals, das muss man auch sehen, waren ja auch Ältere dabei, Studium abgeschlossen, die wollten z.B. Lehrer werden. Berufsverbote im öffentlichen Dienst waren damals ein großes politisches Thema. Die Leute fürchteten um ihre berufliche Karriere. Und deshalb gab das im Vorfeld viele Diskussionen. Ich war weit weg vom Berufsleben, mir war das egal, wir haben gesagt, wir müssen das Ding besetzen, das muss jetzt passieren, sonst kriegen wir nichts. 

Also, das Gebäude wurde dann verriegelt und es kam nicht zur Besetzung. Ich glaube, wir hätten‘s auch letztendlich nicht gestemmt bekommen, v.a. wegen den inneren Widersprüchen in der Gruppe. Man kann so eine Aktion dann auch nicht machen, wenn nicht alle dafür sind.

Jugendkultur selbstgemacht

Es gab in Illingen eine vielfältige Musikszene. Die übrigens bis in die heutige Zeit nachwirkt! Damals gab es in Illingen und auch an anderen Orten einige vielversprechende Bands. Wir haben Sommerfeste veranstaltet; auch mal ein Open Air, in bescheidenem, kleinen Rahmen. War aber wichtig. Denn dadurch kamen dann auch andere Jugendliche zu uns, die eher unpolitisch waren, aber auch an der Freizeitsituation was verändern wollten. Die haben zwar nicht zum inneren Kern gehört, aber die wollten auch ein Jugendzentrum. Filmabende gehörten auch zu unserem Kulturangebot. Jeden Samstag wurden Filme gezeigt; 16mm Filmformate.
Wir haben Freizeiten organisiert, einmal im Jahr ging’s zusammen zum Zelten. Tolle Zeiten!

Juz-Kino

Beim Kino ging es uns darum eine andere Öffentlichkeit herzustellen, das war Teil unserer
Bildungsidee. Zugute kam uns damals auch, dass das bundesdeutsche Kino, aber auch das europäische, sich neu formierte. Plötzlich waren da Regisseure wie Fassbinder, Werner Herzog, Alexander Kluge, die ganz spezielle Filme gemacht haben, die ja auf große Ablehnung in der Gesellschaft gestoßen sind. Und wir Jugendzentren, die wir ja sowieso auch gegen diese Gesellschaft in Opposition waren, also nicht um sie zu zerstören, sondern um sie zu verbessern, sahen uns als natürliche Partner dieser neuen Filmströmung. Diese Filme mussten eine Öffentlichkeit finden.
Dazu mussten wir uns ein System überlegen, wie wir diese Filme zeigen konnten. Auch weil die traditionellen Kinobetreiber nicht mit uns zusammenarbeiten wollten. Die haben versucht, die Vorführlizenzen exklusiv zu behalten. Denn ohne Lizenz keine öffentliche Vorstellung. Eigentlich gab es nur einen Filmverleih, den ATLAS-Fimverleih, die hatten sich spezialisiert auf solche nichtkommerziellen Filme. Deren Filme durfte man auch zeigen, wenn man einen sogenannten Filmclub gründete. Die Jugendzentren haben dann Filmclubs gegründet; man ist für den einen Tag Mitglied in diesem Club geworden und dann konnten wir diese Filme zeigen.
Unser Filmprogramm bestand zumeist aus sozialkritischen Filmen, die so ein breites, meist
jugendliches Publikum fanden. Programmkinos oder Arthouse gab es damals nicht.
Ein weiterer großer Verdienst dieser JuZ-Kinos war auch, dass wir internationale Filme zeigten, Regisseure aus Frankreich, Italien, die in Deutschland nicht zu sehen waren, oftmals mit Untertitelung.
Über dieses JuZ Kino haben sich unglaublich viele Leute engagiert. Fast in jedem Jugendzentrum im Saarland gab es diese Kinoenthusiasten, die das alles zwischen den
Jugendzentren organisiert haben. Die Filmrollen wurden ja noch mit der Bahn verschickt damals. Freitags kamen die an, samstags Vorführung, sonntags wieder zurück oder zum nächsten JuZ. Das war ein irrer logistischer Aufwand, hat aber gut funktioniert.
Und das Kino hat auch sehr viele Leute angesprochen. Bei uns waren öfter 100 Leute im Film, und das im Nebensaal einer Kneipe. Cinema Paradiso! Alles in allem war das ein sehr kollektives Erlebnis, das hat auch später viele dazu gebracht, andernorts mit Kino weiter zu machen.

Das Jugendzentrum

Also wir haben vielfältigste Aktivitäten gestartet und nach zwei oder drei Jahren hat uns dann die Gemeinde einen Raum zur Verfügung gestellt. Das war ein Gemeindehaus, da hat oben noch eine Familie drin gewohnt, in einer Sozialwohnung. Das war total schräg, wir da unten Krach gemacht und oben die Familie. Alles war ziemlich beengt, man konnte dort nicht viel machen. Sich abends treffen und diskutieren, nachmittags haben wir versucht Schülerhilfe anzubieten, aber es war dann letztlich doch eher ein Treffpunkt für Jugendliche.

Mühen der Ebenen

Und dann gingen die Mühen der Ebene los. Wir hatten ja nicht so das Interesse, Jugendarbeit zu machen im herkömmlichen Sinn, uns ging es ja eher um die Politisierung. Es ging um das politisch werden. Man hat gedacht, man verändert die Gesellschaft, die Revolution steht kurz bevor, wir kämpfen hier für die bessere Sache.
Aber den Alltag zu organisieren in dem JuZ war schwieriger als gedacht. Du musst Getränke kaufen, es muss gesäubert werden, und diese ganze kleinteilige Arbeit, solche Räume zu unterhalten. Und es waren immer die Gleichen, die das machen. Da sind wir unserem Anspruch nicht gerecht geworden. Der da hieß: hier machen alle alles.
Jede/r der/die reingeht, hat auch eine Verantwortung für das Haus. Sprich, man geht auch pfleglich damit um, wäscht auch mal das Geschirr, putzt den Boden etc. Das hat nicht immer funktioniert und führt dann zwangsläufig zu Spannungen. Wie ist dem entgegenzuwirken? Nicht autoritär, sondern solidarisch. Denn: was dem Jugendzentrum inhärent ist, ist ja, dass alle mitentscheiden. Also das Prinzip der Vollversammlung. Das war ja oberstes Gebot. Da hat auch niemand dran gerüttelt. Was aber zu endlosen Debatten geführt hat, natürlich. Genau an solchen Kleinigkeiten in der Praxis.
Und dann das Kiffen. Das war ein Problem. Zuzulassen dass weiche Drogen konsumiert wurden, es aber nicht zu dürfen, weil es ja illegal ist. Stichwort: Cannabisverbot.
Da hat sich auch eine Entfremdung eingestellt zwischen den Leuten aus der  Gründerinitiative und der BesucherInnenbasis, beziehungsweise, den KifferInnen.
Und da gab‘s dann die Konflikte in der Vollversammlung, weil wir nicht wollten, dass das JuZ zur reinen Kifferbude wird. Also auf der einen Seite wollten wir‘s repressionsfrei, auf der anderen Seite wollten wir auch nicht die „Bullen“ rufen und die Leute rauswerfen. Also das waren so Konflikte wo wir aufeinandergestoßen sind, aber letztlich auch nicht lösen konnten. Außer, dass wir dann doch mit einem gewissen „Repressionsregime“ darauf geantwortet haben. Mit „wir“ mein‘ ich die Leute, die das JuZ mit initiiert hatten und den politischen Aspekt im Fokus hatten. Das heißt, wir haben dann eine Schlüsselkontrolle eingeführt. Wir hatten vorher eine Art „Open House“, jede/r konnte rein, der Schlüssel lag irgendwo an der Tür. Aber irgendwann kamen dann auch noch härtere Drogen in‘s Haus, danach haben wir dann mit kontrollierter Schlüsselvergabe gearbeitet.
Keine einfache Zeit!

Zum VSJS

Parallel zu unserer Illinger Geschichte hat sich ja der VSJS gegründet. Zudem hatten wir Illinger gute Kontakte mit den JuZ‘en Dirmingen, Eppelborn, Neunkirchen. Also Kontakte in der näheren Umgebung. Das war es vorerst.
Berthold Thielen war damals Vorsitzender des Verbandes. Und der hat mich dann gefragt, ob ich nicht auch Interesse hätte mich dort zu engagieren, als Vertreter des Illinger JuZ. Das hat mir zugesagt. Ich war dann ab 1976 auch der zweite Zivildienstleistende beim Verband. Das lief noch über den Paritätischen Wohlfahrtsverband. Das muss hier auch mal gesagt werden: Dem Paritätischen hat der Jugendzentrumsverband viel zu verdanken, v.a. in diesen Aufbaujahren!

Mein Aufgabenschwerpunkt war die Organisationsarbeit.
Einmal im Monat war Vollversammlung; in jeweils einem anderen Jugendzentrum. Dort kamen dann die Mitglieder aus den JuZ‘en zusammen. Also es war natürlich offen, aber meistens sind ja die Leute gekommen, die in ihren Zentren aktiv waren.
Damals ging es immer mehr in Richtung „Interessenvertretung“. Die zentrale Frage war, wie kann so ein Landesverband mehr Reputation erlangen. Gegenüber den staatlichen  und kommunalen Stellen. Dabei gab‘s natürlich auch verschiedene Ansätze. Mitglieder des Vorstandes wie Rolf Weishaupt oder Willi Kräuter waren eher sozialdemokratisch und versuchten, die institutionelle und finanzielle Anerkennung zu erlangen. Vornehmlich von der saarländischen Landesregierung.
Das war jetzt für mich persönlich nicht so sehr der Antrieb. Für mich war klar, Interessenvertretung ja, aber nicht so auf eine Institutionalisierung hinzuarbeiten. Das war aber jetzt auch kein großer Widerspruch, schließlich kamen wir von der gleichen  Grundüberzeugung. Mir ging es um die öffentliche Anerkennung der JuZ Arbeit als neuer selbstbestimmter Weg einer Jugendbewegung. Ohne Einmischung des etablierten Establishments.
Also, wie können wir als Interessenvertretung von damals etwa 25 Jugendzentren das so manifestieren, das das Sozialministerium und die Landesregierung sehen, ja da ist was. Die wussten zwar, dass es auf der kommunalen Ebene die Jugendzentren gibt, aber auf der Landesebene wurde man einfach ignoriert.

Konflikthema „Kommunalisierung“

Es gab ja hier in Saarbrücken die meisten Jugendzentren und das Jugendzentrum  Försterstraße war der Melting Pot für politische Jugendarbeit. Da ist dann aber auch die SPD sehr stark reingegangen. Die ja damals auch in einer Aufbruchstimmung war. Da erfolgte ein Generationswechsel bei denen und es gab viele, die sich auch fortschrittlicher gegeben haben. Eine löbliche Entwicklung, aber mit Konfliktpotential. Gerade in der Jugendbewegung. Die SPD zeigte sich überzeugt den richtigen Weg zu kennen und die Jugendzentren unter kommunale Direktive zu stellen. Die „Kommunalisierungsdebatte“ war in der Welt.
Die muss man der SPD auch ankreiden, denn überall wo die sie mit ihrer Jugendorganisation dabei war, ging der Weg zur Kommune und weg von der Selbstverwaltung. Und das war nicht das, was ich und andere beim Verband wollten. In Saarbrücken war das eine Riesendebatte. Die SPD wollte die Jugendzentren unter Kuratel stellen.
Die „Försterstraße“ war ja ein selbstverwaltetes Haus, das war ein wichtiger Ort. Wo man auch einen politischen Freiraum tatsächlich hatte, der zugelassen hat, in einem selbstverwalteten Haus zu leben. Und das dann einzugemeinden bei der Stadt, das war schon ein harter Schlag. Das lief auch über das Thema der „pädagogischen Betreuung“. Sicher, in einer Großstadt wie Saarbrücken ist die soziale Lage ausdifferenzierter als in der Kleinstadt. Aber ob die Problemlage der Jugend in kommunaler Trägerschaft besser aufgehoben waren als in eigenen Häusern war – damals zumindest – ein strittiger Punkt.
Der Dieter Schwan war damals SPD Fraktionsvorsitzender im Stadtrat und ist später Sozialdezernent geworden. Der hat Willi und mich mehrmals eingeladen und wollte uns Jungen mal die Leviten lesen. Der war in Amt und Würden und hat das hohe Lied der  kommunalen Trägerschaft gesungen und insbesondere der Willi hatte da schon einiges auszuhalten als SPD‘ler. Ich war ja nicht in der Partei, mir konnte der nichts. Aber ich weiß noch, dass wir da harte Auseinandersetzungen hatten, also richtig aufeinander eingeprügelt – verbal natürlich – so nach dem Motto: das ist jetzt der große Abschied der Sozialdemokratie von der Jugendzentrumsbewegung usw.
Aber die haben es letztendlich doch hingekriegt mit der Kommunalisierung und ich  glaube auch deswegen, weil einige aus dem Verein Jugendzentrum Försterstraße es auch wollten. Die haben damit ganz banal gesagt auch ihre Stellen geschaffen. Und hatten dann ihre Jobs; kann ich verstehen.
Mein Ansatz war aber ein anderer. Diese städtischen Probleme haben mich nicht so sehr interessiert, für mich war der politische Überbau, der Erhalt der Selbstverwaltung, das wesentlichere.

Vernetzung bundesweit

Während meiner Zivildienstzeit habe ich auch Kontakte aufgebaut zu anderen Jugendzentrumszusammenschlüssen. Es gab ja damals schon bundesweit mehrere Regionalzusammenschlüsse. Das war mein Ding.
Da gab es coole Leute wie Tiedeke Heilmann in Ülzen, den Albert Herrenknecht oder Stefan Kospal aus Baden-Württemberg oder Wolfgang Hätscher aus Frankfurt. Zu den Hessen hatten wir einen guten Draht. Auch über den BDP, den Bund Deutscher Pfadfinder, die waren damals sehr aktiv in Hessen, auch in Rheinland-Pfalz.
Die bundesweite Vernetzung war ja wichtig, da gab es neue Informationen, politische Debatten und Anregungen für die tägliche JuZ Arbeit. Im TV lief damals eine Sendung von und über Jugendzentren, ich glaube präsentiert von dem späteren Rockpalastmoderator Theo Metzger, die Sendung hat auch viel für das bundesweite Infotainment getan.
Und es gab damals den ID, den „Informationsdienst zur Verbreitung unterdrückter Nachrichten“, so wie das damals hieß; da waren auch die Jugendzentren stark vertreten. Den ID hatte ich für den VSJS abonniert; dort standen dann die Infos zu den Hausbesetzungen etc. Diese Informationen gingen dann weiter an die saarländischen JuZen. Wichtiges Medium.
Mich hat diese bundesweite Zusammenarbeit sehr interessiert.
Das war ja dann schon was Radikales, Hausbesetzung und so. Wertheim ist ja jetzt auch keine Großstadt. Und mich hat interessiert, wie machen die das? Das waren alles so Anarcho-Leute.
Die Bundestreffen wurden über die AG SPAK* organisiert. Die AG SPAK hat über den Tiedeke sehr viel für die Bundesebene geleistet. Diese Bundestreffen waren ja immer auch Highlights, ich habe sehr positive Erinnerung daran.
Der VSJS war da stark engagiert. So wie der VSJS organisiert war, das gab‘s ja sonst nirgends in der Bundesrepublik. Wir waren ein Verband, das andere waren mehr so lockere Zusammenschlüsse, die aber keinen übergeordneten Landesverband hatten. Wir hatten über den DPWV ja auch schnell eine Geschäftsstelle, das hatten die anderen nicht.

Jugendhilfetage

Es gab damals auch alle 4/5 Jahre diese Jugendhilfetage. Und da waren wir als Jugendzentrumsbewegung meiner Erinnerung nach bei zweien dabei. Den in Köln 1978 habe ich auch maßgeblich mit vorbereitet. Da hatten wir ein Basislager, richtig Hardcore. Hunderte Jugendliche aus allen maßgeblichen Städten der Republik. Ein bunter Haufen! Der Jugendhilfetag war bis dahin ja eine eher beschauliche Veranstaltung. Dann kamen die JZ‘ler, mein Gott, da war was los.
Wir als Jugendzentrumsbewegung waren nun auch da, auch mit den Theoretikern wie Diethelm Damm, Manfred Liebel u.a. Die Diskussionsforen gingen richtig ab. Wir wollten uns ja von den VeranstalterInnen nichts vorschreiben lassen. Da war mächtig Dampf im Kessel. Da war sehr viel Happening. Das haben wir richtig aufgemischt.

Außerparlamentarischer Widerstand

Und dann ging das los mit der Anti-AKW-Bewegung. Das war Grohnde 76, da sind wir hingefahren. Dann kam Kalkar 77, das war eine Riesendemo. Und dann ging das so über in andere politische Zusammenhänge, bis hin zur Parteigründung der Grünen 1980.
Es war dann schon eine kontinuierliche Politisierung und Fortentwicklung von der Jugendzentrumsbewegung in diese außerparlamentarischen Widerstandsbewegungen, so nenne ich das jetzt mal. Da war sehr stark Wyhl in Baden und Fessenheim im Elsass, beides als Standorte für Atomkraftwerke vorgesehen. Das hat mich auch mitgerissen.
Auch was die Kultur betrifft, was die Liedermacher damals produziert haben. Der Walter Mossmann, den ich sehr geschätzt habe, als jemand der vor Ort auch im Widerstand ist. Das hat Dinge in mir ausgelöst. Ich hatte zudem eine sehr große Nähe zum politischen Anarchismus, mir hat dieses politische Modell sehr gut gefallen. Mir war damit diese außerparlamentarische Anti-AKW-Bewegung näher als die mögliche sozialdemokratische Alternative.
Dann der Kampf gegen Rechts. Ab Mitte der 70er. Rock gegen Rechts, diese ganzen Geschichten. Wir sind damals nach Frankfurt gefahren zu der großen Demo, ich glaub das war 1975/76. Die NPD  hat da jeweils am 17. Juni auf dem Römerberg eine sog. Deutschlandkundgebung abgehalten. Und wir sind dann dahin und haben das Gelände besetzt, den Römer, das eskalierte damals in die blutigste Auseinandersetzung mit den „Bullen“, wie man damals sagte. Weil die den Platz räumen mussten um das Demonstrationsrecht der NPD durchzusetzen. Da haben wir richtig Prügel bezogen. Wir sind da in Frankfurt rumgerannt, ohne uns richtig auszukennen; wir wurden geschlagen und geprügelt. Aber wir haben das durchgezogen und haben auch die Nazi Versammlung verhindert, die NPD musste abziehen. Das war ein Erfolg. Die haben auch später ihre Versammlungen nie wieder dort abgehalten.
Und dann kamen die großen Rockfestivals, Rock gegen Rechts in Frankfurt mit Udo Lindenberg und Ton Steine Scherben und so. Großes Kino. Grohnde war ein großes Ding in Niedersachsen, Kalkar am Niederrhein und dann hier bei uns in Grenznähe Remerschen in Luxembourg. Cattenom in Lothringen darf man auch nicht vergessen. Das hat natürlich nicht so die Ausmaße angenommen wie in Brokdorf bei Hamburg. Die Standorte der AKW’s waren beständig im Fokus von Aktionen.
Aber auch regional waren diese Aktionen ein wichtiger Teil meines politischen Engagements.

Studium und Tagungshaus

In 1979 bin ich dann zum Studium weg; nach Fulda. Sozialpädagogik, natürlich. Das hat sich ja aus meiner Geschichte ergeben, dass ich dann in Richtung Jugendbildung gehen wollte.
Bildungsarbeit erschien mir als eine wichtige Notwendigkeit um diese Jugendzentrumsbewegung vielleicht nochmal ein Stück weiter nach vorne zu bringen. Und da habe ich Sozialpädagogik mit dem Schwerpunkt Jugendbildung studiert.
In der Republik gab es damals bereits eine Vielzahl von selbstverwalteten Bildungs-und Tagungshäusern. Das wäre doch eine ideale Aufgabe für uns im Saarland. Dort gab es bisher kein Tagungshaus in SV.
Nach dem Studium bin ich dann zurück ins Saarland und wir haben das Bildungs- und Freizeithaus Eichwald in Nunkirchen aufgebaut. Das war ein Kollektivbetrieb und das Haus wurde in Selbstverwaltung geführt. Ohne Muttergesellschaft im Rücken und weitestgehend ohne staatliche Zuschüsse für den Betrieb.
Parallel kam auch die Selbstverwaltungsbewegung mit den selbstverwalteten Betrieben Nauwieser 19, Blattlaus et al, auf. Alles ab Mitte der 80er Jahre.
Der Nukleus lag in der Jugendzentrumsbewegung, das muss man schon sehen. Das war insgesamt schon eine Fortentwicklung aus der Jugendzentrumsbewegung heraus mit der Selbstverwaltungsidee.
Die JuZ-Bewegung war für meine Vita ganz entscheidend.

Ökologisches Bildungswerk und Heinrich-Böll Stiftung

Als wir in Nunkirchen waren kam diese Stiftungsdiskussion bei den Grünen auf. Es gab dann relativ schnell nach dem Einzug der Grünen in den Bundestag die Debatte um eine Bundesstiftung, für die Bildungsarbeit der Partei und deren Umfeld. Und in dieser Stiftungsgründungsphase gab es auch den Bereich der selbstverwalteten Tagungshausinitiativen, die auch an diesem Projekt der grünen Stiftung partizipieren wollten. So weit ging dann die Liebe der grünen Partei aber nicht.
Aber im Saarland wurde dann das Ökologische Bildungswerk (ÖBW) gegründet, mit Seminaren und Tagungen in unserem Bildungshaus.
Und in Folge dieser ganzen Stiftungsdebatten bin ich dann auch in die Partei Die Grünen
eingetreten, 1990. Später wurde das ÖBW in die Heinrich Böll Stiftung Saar überführt. Heute fester Bestandteil der saarländischen politischen Bildungslandschaft.

Die Grünen

Anfänglich waren Die Grünen für mich kein Thema. Ich war zwar auch auf dem zweiten Parteitag in Saarbrücken, aber nur um mir das Ganze mal anzugucken. Aber ich hatte keinerlei Interesse in die Partei einzutreten, dazu war ich zu anarchistisch. Aber es hat mir dann schon imponiert, dass da eine neue Partei aus der außerparlamentarischen Bewegung entsteht und bin dann mehr und mehr reingekommen.

Schwarz-grün in Saarbrücken! 1999/2000.

Zunächst gab‘s in Saarbrücken eine rot-grüne Koalition nach der Kommunalwahl und die Grünen wollten den Baudezernenten haben. Den haben die nicht bekommen, bei einer geheimen Wahl fiel der Kandidat durch. Das war schon gleich das ende der rot-grünen Zusammenarbeit.
Die Grünen, konnten auch mit der CDU, sie waren das Zünglein an der Waage. Das war ein riesen Aufstand in der Partei. Aber es kam es zur schwarz-grünen Koalition. Das hat mich damals wild gemacht, weil ich nicht wollte, dass die Grünen mit der CDU koalieren. Im eher linken Ortsverband Saarbrücken-Mitte habe ich mich politisch eingebracht. Auch mit der Absicht für den Stadtrat zu kandidieren und dort konservative Mehrheiten zu verhindern.
Bei der Listenaufstellung zur Kommunalwahl 2004 gab‘s dann einen Eklat, weil ich für Teile der Partei viel zu links war. Und die Hubert-Ulrich Fraktion innerhalb des grünen Landesverbandes wollte meine Kandidatur verhindern. Hitzige Auseinandersetzungen bis hin zur Wiederholung der Listenaufstellung waren das Ergebnis. Es war ein heftiger Kampf, aus dem ich aber letztendlich als Sieger hervorging.
Als Spitzenkandidat in die Wahl und zwei Legislaturen super Ergebnisse eingefahren. Ich war in der Zeit 9 Jahre lang Fraktionsvorsitzender in einer Doppelspitze der Stadtratsfraktion.
2013 stand die Neuwahl für den Umweltdezernenten an. Mit einer rot-rot-grünen Mehrheit wurde ich Umweltdezernent. In der Zuständigkeit erweitert um das Kultur- und Bildungsdezernat war ich bis September 2021 im Amt..

Resümee

Zusammengefasst war die „Jugendzentrumszeit“ die prägendste.
Wir wollten raus aus dem engen Raum, der Familie, dem Dorf, man suchte sich seinen Platz, man wollte sich austauschen mit anderen. Das war schon ein starkes Bedürfnis. Und  ich habe heute noch Bekannte und FreundInnen von damals, über all die Jahre.
Selbstbestimmt zu leben, Freiräume zu leben, das war unser Ding.
Es ist ja nicht so, dass das über einen gekommen ist, sondern man hat das ja mit entwickelt, selbst entwickelt in der Region, in der Provinz. Das hat ganz schön was verändert.
Wenn ich nochmal zurückdenke an alles im JuZ Illingen. Das ganze Musikgeschehen damals, das hätte es ohne das Jugendzentrum gar nicht gegeben, dass die da zusammenkommen. Klar, hätten die sich vielleicht auch irgendwann gefunden, aber das  Jugendzentrum war der Katalysator, der das befeuert hat. Und die hatten im JuZ ihre Auftrittsmöglichkeiten, konnten auch in anderen Jugendzentren spielen. Und es wurden sehr, sehr viele kulturelle Veränderungen vom JuZ angestoßen. Und auch die individuellen Entwicklungen von Einzelpersonen, die dann alternative Betriebe gegründet haben, oder wie ich in der Politik gelandet sind. Das hatte auch vor Ort Auswirkungen, weil Leute da geblieben sind und die lokalen Strukturen verändert haben.
Die Zivildienstzeit beim VSJS hat mich geprägt. Auch das muss ich sagen, das war für meine persönliche Entwicklung zentral. Ich kam damals ja in eine ganz andere Welt. Ich kam ja als Landei aus der Provinz in die große Stadt und damit mit ganz anderen Leuten in Kontakt.
Auch aus der Bundesvernetzung habe ich ganz viel für mich mitgenommen, prägende Dinge für die politische Vita. Da waren Leute, die hatten ganz andere politische Erfahrungen. Die kamen aus z. B. Frankfurt oder Köln, haben dort an der Uni agitiert. Hatten Kontakte zu anderen linken Projekten.
Das alles hat sehr viele Eindrücke bei mir hinterlassen.
Und dann liest man viel und ist dann zur anarchistischen Grundlagenliteratur gekommen. Landauer, Mühsam, Kropotkin. Das hat dann dazu geführt, diese Gesellschaft ganz anders zu sehen.
Man hat ja damals gedacht, in dem jugendlichen Übereifer, wir heben die Welt aus den Angeln.
Heute denke ich, Gottseidank ist es nicht dazu gekommen, ich weiß nicht ob wir‘s gekonnt hätten. Es war aber so die Idee, dieses System zu ändern. Die Gesellschaft selbstbestimmter zu gestalten, hierarchiefreier. Es waren eben Träume.
Wir haben in unserem repressionsfreien Raum Jugendzentrum versucht, eine bessere Welt zu leben, als uns die bourgeoise bürgerliche Gesellschaft vorgibt. Das war der Punkt der mich sehr beeindruckt hat und den ich sehr genossen habe. In dem Freiraum Jugendzentrum.
Das sind die Entwicklungen, die von der Jugendzentrumsbewegung angestoßen wurden. Ich würde schon sagen, ohne diese Bewegung würde es in unserem Land anders aussehen. Es war eine emanzipatorische Bewegung, die unser Land demokratischer  gemacht hat. Das hat auch dazu beigetragen, dass es ist, wie es heute ist, dass auch ein gutes Stück die Vergangenheit aufgearbeitet wurde. Das hat uns emanzipiert und die Gesellschaft demokratischer gemacht und auch die alten Nazis hinweggefegt.

Interview und Bearbeitung: Theo Koch