VSJS Logo

Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung e.V.

Entwicklung offen

Mit einen wirklich sehr kontrastreichen Einstieg begann die aktuelle Phase der Verbandshistorie im Jahr 2020. Die bundesweite Würdigung als Sieger des Jugendhilfepreises und die Schließung der Jugendtreffs durch die Coronapandemie bildeten Extreme, die wir bisher so nicht kannten. Dazu kamen mehrere neue Projekte, die pandemiebedingt mit angezogener Handbremse anliefen. 

Dazu eine kleine Vorbemerkung: Die Geschichte von neuen Projekten ist die immer gleiche. In den letzten zwanzig Jahren ist es dem Verband gelungen, größere Fördersummen aus Töpfen der EU und der Bundesebene für Einzelprojekte zu akquirieren. Zur Projektdurchführung werden neue MitarbeiterInnen eingestellt und mit Nahen des Projektendes gibt es seitens der Geschäftsführung immer hektische Bemühungen, neue Fördermittel an Land zu ziehen, um die gut eingearbeiteten neuen Fachkräfte nicht in die Arbeitslosigkeit entlassen zu müssen. Die „Humankapitalressource“ gilt es nachhaltig abzusichern. Also werden Konzepte geschrieben, Gespräche mit GeldgeberInnen geführt und Anträge gestellt. Und so kam es auch, dass im Jahr 2020 – nach Auslaufen des umfangreichen, durch Bundesmittel finanzierten Projektes „OFFENsive!“ – ein neues Juz-Büro Saarpfalz, das Projekt „Connect“ im Landkreis Saarlouis, das Projekt „Treffs aktiv für Integration“, gefördert durch das Land und das Projekt „Offen für Teilhabe“, finanziert durch die AKTION MENSCH, ihre Arbeit aufnahmen. Dies alles aber unter sehr skurrilen Bedingungen. Denn da hatte sich ein kleines Virus auf den Weg gemacht.

Corona trifft Jugend

Das Coronavirus sollte alles verändern. Auf einen Schlag mussten im Frühjahr 2020 alle Juze schließen. Darauf folgte – je nach Pandemieverlauf – ein Auf und Ab von längeren Schließungsphasen und einer Teilöffnung unter mal strengeren, mal leichteren Einschränkungen. Hygienekonzepte, Maskenpflicht, Coronatest, Besucherbegrenzung und Durchlüftungsregelungen –  und dann beim nächsten Lockdown wieder die komplette Schließung – das war die Situation in den Jugendzentren und Jugendtreffs bis Mitte 2021. Die Aktiven in den Treffs verzweifelten. Wie sollte man umgehen mit der Ungewissheit, ob und wann und wie lange und unter welchen Bedingungen man mal wieder den Jugendtreff öffnen und sich im Freundeskreis treffen darf. Und ob es überhaupt eine Zukunft gibt für Jugendeinrichtungen, die von dem Bedürfnis nach Gemeinschaft unter Gleichaltrigen leben. Und dies auch in Zeiten, in denen „soziales Distanzieren“ als Zentralmaxime gilt.

Der Verband sah in dieser Phase seine wichtigste Aufgabe darin, die Aktiven in den Treffs zum Durchhalten zu ermutigen, konkrete Hilfestellung bei den sich ständig ändernden Hygieneverordnungen zu geben und sich –  als Lobby für die Treffs – um angemessene Regelungen in den Entscheidungsgremien auf Landesebene einzusetzen. 

Parallel wurde plötzlich (fast) alles digital. Die Teamsitzungen fanden in digitalen Konferenzräumen statt, die Kommunikation mit den Jugendtreffs erfolgte über Messenger-Dienste und soziale Medien und auch die Jugendbildungsarbeit wurde auf digital umgestellt. Man lernte dazu und wunderte sich irgendwann 2021, dass der Spuk tatsächlich ein Ende haben könnte und man sich wieder live den Verheerungen der Pandemie widmen konnte.

Wie die Jugendlichen diese Phase erlebt haben,  brachte eine Online-Befragung Anfang März 2021 zum Vorschein, die auch uns konkret vor Augen führte, wie Jugendliche unter den pandemiebedingten Einschränkungen leiden mussten. Innerhalb einer Woche beteiligten sich 170 Jugendliche an der Umfrage, die ein erschreckendes Bild der Lebenssituation Jugendlicher zeichnet. Zitate aus der Befragung: „Ich bin dank den Corona Maßnahmen von meinen Freunden als auch von meiner Familie isoliert. Mein einziger sozialer Kontakt ist mein Hund“. “Ich fühle mich sozial isoliert und einsam, da mir der Kontakt mit mehreren Freunden verboten ist.“ „Jeder Tag fühlt sich ähnlich bis gleich an“. „Mir geht es schlecht. Ich fühle mich leer und absolut nicht mehr glücklich. Hab schon lange nicht mehr gelacht.“ Die Befragung unterstreicht damit in erschütternder Weise, was wissenschaftliche Studien über die prekäre Lebenssituation von Jugendlichen herausfanden, nach der ein Drittel der Jugendlichen mittlerweile psychische Auffälligkeiten zeigt. Zukunftsängste und Depressionen nehmen aufgrund der Restriktionen ein beängstigendes Ausmaß an. Wie die Jugendlichen diese Erfahrung des Stillstands und der sozialen Isolation verarbeiten, scheint ziemlich offen. Aus den Vorstandsteams kamen sowohl Signale, dass alle in den Startlöchern für den Aufbruch stehen, in manchen Einrichtungen herrschte aber einfach auch Funkstille. Es scheint entscheidend, in welcher Phase der für die Selbstverwaltung typischen Verlaufszyklen zwischen den Generationenübergängen das Jugendzentrum oder der Jugendtreff von der Pandemie getroffen wurde. Bereits eingespielte Teams auf der Höhe ihres Engagements werden die Krise deutlich besser verkraften, als solche Standorte, an denen eine ganz frische Clique in ihren Aneignungs- und Rollenfindungsprozessen gestört wurde oder eine ältere Gruppe in den letzten eineinhalb Jahren ihre Nachfolge hätte klären müssen.

Im Rückblick könnte man konstatieren, dass man mit einem blauen Auge davongekommen ist. Die Jugendzentren und Treffs haben sich wieder berappelt und nach und nach kehrt wieder altes (und neues) Leben in die Einrichtungen zurück. Dies auch dank der Coronahilfen, die vom Bund für Jugendeinrichtungen zur Verfügung gestellt werden und die der Verband für die Treffs vor Ort organisiert.

Doch etwas bleibt und wird in aktuellen Jugendstudien auch immer kenntlicher: Die kollektiven Verwüstungen in der Psyche von jungen Menschen, die gerade dabei sind, die Welt für sich zu entdecken und dabei feststellen müssen, dass die vielleicht doch kein so sicherer Ort für sie ist. Könnte bei der Bewältigung solcher Krisenerfahrungen nicht gerade eine Jugendarbeit helfen, die auf Selbstwirksamkeitserfahrungen in einer sozialen Gemeinschaft beruht?

Ein "Oscar" für die Selbstverwaltung

Dem durch das Pandemiegeschehen leicht lädierten Verband kam dann Ende 2020 eine Ehre zuteil, auf die wir besonders stolz sind. Mit der Verleihung des Deutschen Kinder- und Jugendhilfepreises bekamen wir den endgültigen Ritterschlag. Dieser „Oscar“ der Kinder- und Jugendhilfe ist wohl die „am meisten anerkannte offizielle Auszeichnung für innovative, herausragende und wegweisende Arbeiten zu den Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen im Horizont der Infrastruktur der Kinder- und Jugendhilfe“ – so die Selbstbeschreibung der Arbeitsgemeinschaft der Kinder- und Jugendhilfe (AGJ), die den Preis vergibt.

In der Laudatio wurden die Motive für die Preisvergabe hervorgehoben: „Von besonderer Bedeutung ist die ausgesprochen positive Darstellung der selbstverwalteten Jugendarbeit. Der Verband präsentiert sich dabei in überzeugender Weise als selbstverwaltete Unterstützungsstruktur für junge Menschen. Gerade die Art und Weise der Darstellung, kombiniert mit der Struktur der Selbstverwaltung, ist in überzeugender Weise geeignet, Jugendarbeit als unverzichtbaren und das Leben junger Menschen bereichernde Freizeitgestaltung darzustellen. Sie ist adressatengerecht, spricht die Sprache junger Menschen, ohne anbiedernd oder plump zu wirken. In dieser Art und Weise kann Jugendarbeit im ländlichen Raum sinnvoll und für die jungen Menschen gewinnbringend umgesetzt werden. … Dem Gesamtkonstrukt juz-united kann eine sehr gute integrative, demokratie- und sozialraumentwickelnde Funktion bei gleichzeitig nachhaltigen pädagogischen Wirkungen speziell auch für ländliche Bereiche attestiert werden.“ Weiter wurden einzelne Aspekte hervorgehoben, die die Jury überzeugten, z.B.:

  • Hilfe zur Selbsthilfe und ausgeprägte Beteiligung durch Selbstorganisation
  • hoher pädagogischer Output durch Ausprägung von Selbstständigkeit und Verantwortungsübernahme
  • Erneuerung und Modernisierung der Grundidee der Selbstverwaltung…
 
Vor allem der letzte Punkt ist uns besonders wichtig. Ausgestattet mit einem gewissen Sendungsbewusstsein versuchen wir, die Idee Selbstverwaltung in der Offenen Jugendarbeit seit einigen Jahren wieder offensiv in die bundesweite Fachöffentlichkeit zu tragen. Mit der Verleihung des Jugendhilfepreises ist uns dabei ein schöner Coup gelungen. 
Dass die Preisverleihung nicht wie geplant mit einem großen Event in Berlin gefeiert
werden konnte sondern im Rahmen einer digitalen ZOOM-Konferenz versetzte unserer
Freude dabei doch einen kleinen Dämpfer. Die Corona-Pandemie hatte auch hier zugeschlagen und verunmöglichte nicht nur die offizielle Übergabe in Berlin, sondern auch eine angemessene Würdigung im Saarland. Trotzdem: Der Stolz über diese Auszeichnung bleibt. Und sie wird auch in den bundesweiten Fachnetzwerken wahrgenommen und damit dem Konzept der Selbtverwaltung von Jugendzentren neuer Aufschwung verliehen.

Das Saarland macht Jugendpolitik