VSJS Logo

Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung e.V.

Das Ringen um Freiräume

Theo Koch

Der Artikel bietet einen Rückblick auf Entwicklungen im Feld der selbstverwalteten
Jugendzentren und Jugendtreffs des Saarlandes aus der Perspektive des Verbandes
saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung e.V.
Was war nochmal los vor zehn Jahren in der Szene der selbstverwalteten Jugendzentren
und Jugendtreffs im Saarland? Ein Blick in das Archiv des Dachverbandes der
Jugendzentren, juz-united, gibt einige Hinweise zur damaligen Situation: „Es gibt Jugendclubs, die boomen nach einer Phase der Stagnation mit einer solchen Wucht, dass
die Wände bröckeln und es gibt die Clubs mit einer langen, hochaktiven Geschichte, die in
tiefe Agonie versunken sind. Da gibt es Regionen, in denen die Jugendtreffs zentrale und
lebendige Orte der Jugend sind, mit Leuten, die engagiert sind bis zur Hyperaktivität und
die ganze Gegend rocken und es gibt Ecken im Saarland, da scheint Jugend eine ausgestorbene Spezies zu sein“.
So uneindeutig stellt sich die Situation der selbstverwalteten Jugendzentren und
Jugendtreffs des Saarlandes in der Verbandszeitung aus dem Jahr 2011 dar. Aus
der Statistik des Dachverbandes lässt sich zum damaligen Zeitpunkt ablesen, dass
nach Jahren unermüdlichen Wachstums in der Jugendtreffszene Anfang der 2010er
ein „Flatten the curve“ angesagt war. Einige Einrichtungen kamen neu hinzu, andere
wurden geschlossen (meist aufgrund neuer Verordnungen zum Brandschutz) aber die
Zahl von ca. 130 Einrichtungen sollte für das kommende Jahrzehnt Bestand haben.
Vorbei schien zu diesem Zeitpunkt aber auch eine Geschichte selbstverwalteter Jugendzentren als Orte subkultureller Gegenmilieus gegen herrschende Ordnungsvorstellungen.
Mit dem Abriss des legendären AJZ Homburg, einem Geburtsort der Punk- und
Hardcoreszene im südwestdeutschen Raum, wurde auch ein Symbol jugendlicher Autonomieansprüche beerdigt.

Diese Schlaglichter illustrieren die Ausgangsposition zu dem zu beschreibenden
Jahrzehnt der selbstorganisierten offenen Jugendarbeit im Saarland. In dem doch
recht überschaubaren kleinen Bundesland können unterschiedliche Entwicklungen in
sowohl ländlichen Gebieten wie in kleinstädtischen Strukturen aber auch durch
den Strukturwandel sich negativ entwickelnden Sozialräume beschrieben werden.
Diese Entwicklungen geben auch Auskunft darüber, wie sich die Rahmenbedingungen
des Aufwachsens für Jugendliche verändern und welche Antworten die Offene Jugendarbeit darauf gibt. Letztere ist dabei im Spannungsverhältnis zwischen der Unterstützung von eigensinnigen Aneignungspraxen von Jugendlichen und dem Bemühen
von Jugendpolitik, Jugendarbeit zur reibungslosen Integration von Jugend zu
instrumentalisieren, reflexiv immer wieder neu zu beschreiben. Dieses Spannungsfeld
kennzeichnet auch die Projektarbeit des Verbandes. Mangels ausreichender institutioneller Förderung wird über Modellprojekte der größte Teil der Verbandsangebote bewältigt. Hierbei werden Themen aktueller Jugendarbeitsdiskurse für die Unterstützungspraxis im Feld selbstorganisierter Jugendtreffs nutzbar gemacht. Projektkonzep.te sind dabei aber auch den Projektlogiken der Fördergeber verpflichtet.

In den letzten zehn Jahren wurden dabei zwei Themenstränge zentral bearbeitet. Erstens
wurde, gefördert über das XENOS-Programm des Bundes, das Thema Diversität in
selbstverwalteten Jugendtreffs in den Blick genommen und zweitens wurde das Thema
Demokratiebildung über das Förderprogramm „Demokratie leben!“ in einem fünfjährigen
Modellprojekt bearbeitet. Mit der Auswertung der Projektergebnisse beider
Projekte lassen sich allgemeine Aussagen zu Veränderungen in den Lebenswelten von Jugendlichen, den Umgang dieser Veränderungen durch die Jugendlichen selbst sowie die Hilfestellung, die Jugendarbeit dabei leisten kann, diskutieren.

Selbstverwaltung in belasteten Sozialräumen

Ausgangspunkt der Projektentwicklung im Bereich diversitätsorientierter Jugendarbeit
im XENOS-Projekt «Offen für Vielfalt» waren Entwicklungen in der Jugendtreffszene, die
sich auf veränderte Belastungen von Sozialräumen zurückführen lassen. Infolge waren
die Fachkräfte des Verbandes zunehmend damit beschäftigt, Jugendtreffs vor Schließungen aufgrund zunehmender Konflikte bei abnehmender Engagementbereitschaft der Nutzer:innengruppen zu bewahren. Vor diesem
Hintergrund wurde ein Projekt durchgeführt, das es ermöglichte, durch Sozialraumanalysen und der darauf aufbauenden Anpassung von Unterstützungspraktiken auf eine Stabilisierung der Treffangebote hinzuwirken
und methodische Ansätze für eine diversitätsbewusste Praxis zu entwickeln.
Gerahmt wurde die Projektarbeit durch die generelle Annahme einer zunehmenden
gesellschaftlichen Heterogenität mit sozialräumlichen Segregationsphänomenen. Dabei
wurde bei der Zielgruppenbeschreibung eine Sicht bevorzugt, die eine Etikettierung und
damit verbundene (Selbst-) Stigmatisierung unterläuft und materielle Verhältnisse als
Diskriminierungsursachen in den Vordergrund rückt.

Bei den Sozialraumanalysen und den Befragungen der Nutzer:innengruppen wurde
in den Sozialräumen, in denen die Selbstverwaltung der Treffs bereits prekär war,
kenntlich, wie negativ sich diese Sozialräume veränderten und welchen Einfluss dies
auf die Nutzer:innengruppen der Einrichtungen hat. Diese ließen sich mehrheitlich
sozialökonomisch benachteiligten Milieus zuordnen. Darauf aufbauend wurde eine
Unterstützungspraxis entwickelt, die gezielter auch jene Jugendlichen empowert,
die mit sozialem Engagement bisher nicht in Berührung kamen. Das Potential des Ansatzes
zeigte sich einerseits in der aktivierenden Begleitung von Jugendgruppen, die sich mit ihren Aktivitäten im Gemeinwesen präsentierten. Dies ging mit Anerkennungs- und
Stärkeerfahrungen einher. Andererseits konnten in den pädagogisch initiierten Settings,
die für Jugendliche in prekären Lebenslagen Verantwortungsübernahme bei
den Organisationsaufgaben in den Treffs vorsahen, enorme soziale Lernerfahrungen
beobachtet werden.

Die Einrichtungen pendelten im Projektverlauf zwischen Phasen intensiver Aktivierung
und Phasen eigenverantwortlicher Öffnung. Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit
durch gelingende Schritte der aktiven Beteiligung ermöglichte die Zunahme von Selbstvertrauen und eine deutliche Stärkung von Kompetenzen wie Dialogfähigkeit, Gemeinsinnorientierung, Konfliktlösungsfähigkeit, Teamfähigkeit gerade bei Jugendlichen, die in anderen Bildungsfeldern eher demütigende Erfahrungen des Scheiterns machen. Die selbstorganisierte Offene Jugendarbeit erwies sich für die beteiligten Jugendlichen als ein Feld, in dem enorme Aktivitätspotentiale geweckt werden können und zeigte, dass
dies ein wichtiger gesellschaftlicher Bereich zur Erfahrung von Selbstwirksamkeit, Anerkennung und sozialem Lernen im Gruppenkontext für Jugendliche ist, die ansonsten
eher negativ im öffentlichen Raum wahrgenommen werden.

Aus diesen Projekterfahrungen resultierten einerseits eine Erweiterung des Methodensets zur Förderung von Selbstorganisationspotentialen bei benachteiligten Jugendszenen und andererseits eine Ausdifferenzierung der Einrichtungsformen insgesamt. Wurde bisher unterschieden zwischen den gut integrierten Jugendtreffs in relativ homogenen ländlichen Gemeinden und den selbstverwalteten Jugend(kultur)zentren in den Kleinstädten mit heterogener Besucherstruktur, kam nun eine neue Kategorie hinzu: Jugendtreffs in belasteten Sozialräumen, die dauerhaft einer intensiveren pädagogischen Begleitung bedürfen, wozu entsprechende Ressourcen von der öffentlichen Hand eingefordert und letztlich auch bewilligt wurden. Etabliert wurde damit auch ein Arbeitsfeld auf Verbandsebene, das deutliche Nähe zu eher «betreuenden» Arbeitsweisen im Feld der OJA zeigt, von denen man sich bisher abgrenzte. Die formale Organisationsstruktur dieser Einrichtungen ist zwar immer noch der eingetragene Verein,
die Organisationsaufgaben werden aber durch Verbandsfachkräfte gewährleistet.
Diese Ausweitung des Aufgabespektrums des Verbandes bis hin zu Tätigkeiten,
die man der Jugendsozialarbeit zuordnet, korrespondiert mit grundsätzlichen Verschiebungen innerhalb der OJA insgesamt. Vor dem Hintergrund fortschreitender sozialer Spaltungstendenzen und dem steigenden Risiko, von Armut bzw. sozialer
Exklusion betroffen zu sein, kommt der Jugendarbeit seit Jahrzehnten eine zunehmende
Aufgabenzuschreibung zur Absicherung notwendiger Lebensbewältigungsstrategien
der Jugendlichen zu. Das Dilemma, zwischen diesen Zuschreibungen und der Kernidee der Selbstorganisation von Jugendinteressen umgehen zu müssen, wurde mit dem Projekt
spannungsgeladener und die Herausforderung, dies reflexiv zu bearbeiten, deutlich
anspruchsvoller.

Das Projekt brachte aber auch noch weitere Verschiebungen innerhalb der Jugendtreffszene zum Vorschein. Die Auswertung der Entwicklungen der einzelnen Jugendzentren und Jugendtreffs bezüglich der Selbstorganisationspotentiale ließ zudem
darauf schließen, dass die veränderten Bedingungen des Aufwachsens (verdichtete
Freizeit, gesellschaftliche Polarisierung, Mediatisierung, Demografie) eine Herausforderung für die Weiterentwicklung einer auf dem sozialen Engagement von Jugendlichen basierenden Infrastruktur offener Jugendarbeit insgesamt darstellen. Die genannten Veränderungen beeinflussen das soziale Engagement Jugendlicher zunächst
negativ und sind Hintergrund der gestiegenen Unterstützungsanforderungen der
Treffs. Bestätigt wurde diese Wahrnehmung mit dem Erscheinen des 15. Kinder- und Jugendberichts, der genau diese Phänomene als markanteste Veränderung der Jugendphase herausarbeitet. Mit dem Titel «Jugend ermöglichen» wird in den Vordergrund gerückt, dass Jugendliche zunehmend unter Druck geraten angesichts verdichteter Phasen in Bildungsinstitutionen und dem kontinuierlichen Zwang zur Selbstoptimierung. Gefordert werden verstärkt Freiräume gegen den Optimierungs- und Verwertungsdruck, Freiräume, wie sie die selbstverwalteten Treffs in prototypischer Form darstellen.

Als deren Interessenvertretung konnte der Dachverband zeigen, dass gesellschaftliche
Veränderungen, die das soziale Engagement von Jugendlichen negativ beeinflussen,
durch eine sich weiterentwickelnde Fachpraxis aufgefangen werden können. Durch
die Projektarbeit konnte in dieser Phase die Jugendtreffszene stabilisiert werden.
In anderen Regionen, in denen eine solche parteiische Unterstützungsstruktur fehlt,
erscheint es wahrscheinlich, dass viele Einrichtungen einfach aus der Landkarte
selbstorganisierter offener Jugendarbeit verschwinden.

Demokratie lernen durch Selbstorganisation

Eine weitere Dynamisierung der Verbandsaktivitäten erfolgte durch das Bundesprogramm «Demokratie leben!», das uns in einem Modellprojekt erlaubte, die
selbstverwalteten Treffs als ideale Orte der Demokratiebildung herauszustellen. Der
Ausgangspunkt der Projektidee lag in der Annahme, dass die selbstorganisierte offene
Jugendarbeit als idealtypischer Ort der Demokratiebildung ausgewiesen werden
kann, da hier zentrale Prinzipien demokratischer Organisation praktiziert werden. In
selbstverwalteten Jugendzentren und Jugendtreffs können junge Menschen in der
zentralen Phase ihrer Identitätsentwicklung Erfahrungen von Wirkmächtigkeit in einem
demokratisch verfassten, gemeinschaftlich organisierten Erfahrungsraum machen, der
zudem im kommunalpolitischen Feld als Jugend-Interessenvertretung mit Politik
interagiert. Damit werden Muster kommunaler demokratischer Verfasstheit mit den
Alltagsbezügen Jugendlicher verknüpft und damit ein Transfer zwischen Engagementerfahrungen und Politikfeldlogik ermöglicht.

Aufbauend auf dieser Identifizierung von selbstorganisierten Jugendeinrichtungen
als Lernorte demokratischer Orientierungen wurden die konkreten Projektzielsetzungen
und Projektmaßnahmen entwickelt. Erstens wurden die Einrichtungen systematisch hinsichtlich ihrer demokratiebildenden Potenziale erforscht und dabei die Gelingensfaktoren ebenso wie die hemmenden Faktoren für das demokratische Engagement Jugendlicher herausgearbeitet. Zweitens wurden die Zugänge und Zugangsbarrieren zu den Bildungsressourcen der Treffs untersucht
und mit der Erarbeitung von Bildungsmodulen, die auf die Stärkung demokratischer
Binnenstrukturen abzielen, die demokratischen Bildungspotentiale gestärkt. Und drittens
wurde auch darauf hingearbeitet, dass die Einrichtungsform Selbstverwalteter Jugendtreff als zentraler Ort der Aktivierung demokratischen Engagements im (fach-)
öffentlichen Raum stärker anerkannt und unterstützt wird und eine stärkere Verbreitung
findet.

Zu Beginn der Projektlaufzeit 2015 kam spontan ein weiterer Projektbaustein hinzu.
Mit dem Zuzug junger Geflüchteter auch in die ländlichen Regionen des Landes wurde
das Konzept der «Internationalen Treffs» entwickelt. Im Projektverlauf waren insgesamt
13 selbstverwaltete Jugendclubs und -zentren in diesem Feld aktiv, die entweder
punktuell oder kontinuierlich in Kooperation mit dem Verband Angebote für junge
Geflüchtete organisierten. Dabei zeigte sich, dass die konzeptionellen Grundlagen selbstverwalteter Treffs – Offenheit, Freiwilligkeit, Selbstorganisation, Empowerment – ideale Strukturvoraussetzungen für ein inklusives Miteinander gewähren.
Die Projektarbeit im Bereich der Internationalen Treffs wurde in dieser Zeitschrift
(2/2016) und die Arbeit im Bereich der Demokratiebildung im Heft 1/2018 bereits
ausführlich vorgestellt und soll hier nicht weiter ausgeführt werden. Nur so viel: Die
Projektauswertung im Bereich der Demokratiebildung konnte insbesondere durch die
Auswertung von Interviews mit (ehemals) Aktiven die ganze Bandbreite des demokratischen Erfahrungsraums Jugendtreff zum Vorschein bringen und in der retrospektiven Sicht zeigte sich auch die Biografie-Relevanz des Engagements.
In der Projektauswertung zeigten sich auch die Besonderheiten des Bildungsortes.
Die Strukturlogik eines selbstverwalteten Jugendtreffs erzwingt: Organisiere dich
selbst in gleichberechtigter Gemeinschaft mit Anderen! Diese Herausforderungen der
Struktur bewirken durch ihren offenen Charakter ohne (Erwachsenen-) Vorgaben eine
Dynamik der Selbstermächtigung in der Interaktion mit Anderen. Vom ersten Schritt
des Engagements, zum Beispiel der Beteiligung am Putzdienst, bis zu der Organisation
eines Konzertes wird Selbstwirksamkeit in einem sich steigernden Erfahrungssetting erlebt.
Solidarische Vernetzung in der Gruppe und gleichberechtigte Interessensaushandlung
sind dabei die Voraussetzung. In diesen Prozessen werden Verhaltensmuster erlernt,
die als demokratische Kompetenzen gedeutet werden können, insbesondere, wenn der
Jugendtreff als Interessenvertretung mit der kommunalen Politik interagiert. Erfahrungen der Selbstwirksamkeit, erfolgreicher Interessenaushandlung und politischer
Handlungsmacht sind folglich in der Phase des Engagements im Jugendclub
besonders nachhaltig und prägend für das Selbstbild als politische Bürger:innen im Erwachsenenalter: «Wenn es um Politik geht, ist ein Jugendzentrum auch ein Ort, wo einen
aufwecken kann, für ganz viele Dinge, die es da noch so gibt. Das JUZ war wesentlicher
Bestandteil meiner Politisierung. Dieses Wachrütteln und einfach das Interesse wecken
für politische Belange und gesellschaftliche Entwicklungen. Wir machen ja nun
auch Politik als Jugendzentrum, wir stehen ja im Ort ein für junge Menschen. Und den
Blick dann darüber hinaus zu richten, der Schritt ist nicht weit. Für mich war das ein
ganz wesentlicher Faktor, der dazu geführt hat, mich auch politisch zu bilden und meine
politische Einstellung herauskristallisieren konnte, was so meine Ansichten sind, wie
sich Gesellschaft entwickeln kann und sollte », so Paul (22) über sein Engagement im
Jugendzentrum.

Diese Beschreibung zieht sich durch fast alle Interviews. Es zeigt sich: Aus dem Engagement im Jugendtreff kommt man nicht unbeschadet heraus. Heraus kommen politische Subjekte, die sich selbstbewusst in das politische Geschehen einbringen. Damit
sind die selbstverwalteten Treffs Orte der Demokratiebildung, die für sich eine gewisse
Exklusivität beanspruchen können. Diese Projektergebnisse finden Eingang in
eine ohnehin intensivere Debatte über die Offene Jugendarbeit und ihren Beitrag zur
Demokratiebildung. Für die Fachkräfte ist dieser Beitrag evident, in der Jugendpolitik
scheint er dagegen noch nicht richtig angekommen. Dabei ist angesichts der politischen
Verwerfungen naheliegend, dass eine demokratische Gesellschaft die Bildungsorte
konkret ausweist und vorhält, in denen Demokratielernen stattfinden kann. Und da
Schule aufgrund struktureller Machthierarchien und Familie aufgrund des intergenerationalen Machtgefälles Demokratiebildung eher nicht ermöglichen, stellt dies ein Alleinstellungsmerkmal der Jugendarbeit dar. Deren Strukturcharakteristika sind einfach zwingende Voraussetzung für politisches Lernen.

Diese Projekterkenntnisse galt es nun in die (Fach-)Öffentlichkeit zu kommunizieren.
Mit einer Präsentation im Koffer reisten wir durch die Republik, präsentierten unsere Ergebnisse auf Fachveranstaltungen und Runden Tischen. Insbesondere unsere Mitarbeit
in den bundesweiten Netzwerkstrukturen wie der Bundesarbeitsgemeinschaft offene
Kinder- und Jugendarbeit (BAG OKJE) und dem Kooperationsverbund ermöglichte, uns
in den Fachdiskursen zunächst überhaupt einmal sichtbar zu machen. Bisher ist das
Thema der Selbstverwaltung in der Offenen Jugendarbeit kaum präsent. Umso mehr
konnten wir als Projekterfolg verbuchen, dass wir für einen Beitrag im Handbuch Offene
Jugendarbeit angefragt wurden. Dies erforderte auch einen Blick über den Tellerrand
des Saarlandes hinaus und wir konnten feststellen, dass die selbstverwalteten Treffs
zwar nicht im Fachdiskurs, in der Realität aber in etlichen Regionen durchaus zum
Kernbestand der Jugendarbeit zählen. 

Ein weiteres Highlight wurde uns durch die AGJ gewährt. Unsere Einreichung der Projektergebnisse wurde mit dem Jugendhilfepreis bedacht. Insgesamt erwies sich für den Verband die Projektarbeit im Bereich der Demokratiebildung als äußerst fruchtbar und mit dem Rückenwind durch die Bescheinigung, zentrale Orte der Demokratiebildung zu repräsentieren, wurden weitere Verhandlungen mit öffentlichen Stellen zur Verstetigung der Projektarbeit geführt.

Doch dieser Höhenflug wurde durch die Pandemie abrupt gestoppt. Die Versuche mit digitalen Formaten zeigten nur begrenzte Wirkung. Zwar konnte mehrheitlich der Kontakt
zu den aktiven Vorstandsteams gehalten werden, aber gerade die Einrichtungen, bei
denen ein Generationswechsel anstand, bedürfen in der anstehenden Öffnungsphase
einer intensiveren Begleitung und Reaktivierung. Wie die Jugendlichen diese Phase erleben, brachte eine Online-Befragung Anfang März 2021 zum Vorschein, die auch uns konkret vor Augen führte, wie Jugendliche unter den pandemiebedingten Einschränkungen leiden. Innerhalb einer Woche beteiligten sich 170 Jugendliche an der Umfrage, die ein erschreckendes Bild der Lebenssituation Jugendlicher zeichnet. Zitate aus der Befragung: „Ich bin dank den Corona Maßnahmen von meinen Freunden als auch
von meiner Familie isoliert. Mein einziger sozialer Kontakt ist mein Hund“. “Ich fühle
mich sozial isoliert und einsam, da mir der Kontakt mit mehreren Freunden verboten
ist.“ „Jeder Tag fühlt sich ähnlich bis gleich an“. „Mir geht es schlecht. Ich fühle mich
leer und absolut nicht mehr glücklich. Hab schon lange nicht mehr gelacht.“ Die Befragung
unterstreicht damit in erschütternder Weise, was wissenschaftliche Studien über
die prekäre Lebenssituation von Jugendlichen herausfanden, nach der ein Drittel
der Jugendlichen mittlerweile psychische Auffälligkeiten zeigt. Zukunftsängste und
Depressionen nehmen aufgrund der Restriktionen ein beängstigendes Ausmaß an.
Wie die Jugendlichen diese Phase des Stillstands und der sozialen Isolation weiter
verarbeiten, scheint ziemlich offen. Aus den Vorstandsteams kommen sowohl Signale,
dass alle in den Startlöchern für den Aufbruch stehen, in manchen Einrichtungen
herrscht aber einfach auch Funkstille. Es scheint entscheidend, in welcher Phase der
für die Selbstverwaltung typischen Verlaufszyklen zwischen den Generationenübergängen das Jugendzentrum oder der Jugendtreff
von der Pandemie getroffen wurde. Bereits eingespielte Teams auf der Höhe
ihres Engagements werden die Krise deutlich besser verkraften, als solche Standorte,
an denen eine ganz frische Clique in ihren Aneignungs- und Rollenfindungsprozessen
gestört wurde oder eine ältere Gruppe in den letzten eineinhalb Jahren ihre Nachfolge
hätte klären müssen.

Und wie weiter?

Aktuell ist nach zehn Jahren die Eigenständige Jugendpolitik im Saarland angekommen
und der Landtag des Saarlandes hat zu einer Anhörung eingeladen. Ein Novum in der
Jugendpolitik des Landes! Auch die Milliardenhilfe im sogenannten «Aufholprogramm»
der Bundesfamilienministerin, die die Leiden der Jugendlichen nach über einem Jahr Restriktionen abmildern sollen, signalisieren zumindest die Einsicht in die Bedürfnisse
einer Bevölkerungsgruppe, die in der Krise besonders gelitten hat. Und auch das Umweltministerium des Landes signalisiert verstärkte Investitionen in die Jugendinfrastruktur im ländlichen Raum. Die Zeiten riechen also nach Aufbruch, aber noch sind die nachhaltigen Folgen der Pandemie nicht sicher abzuschätzen – weder auf der individuellen, entwicklungspsychologischen Ebene der Nutzer:innen, noch auf einer szeneübergreifenden infrastrukturellen Ebene. In einer pessimistischen Version bleibt zu
befürchten, dass Potentiale des ehrenamtlichen Engagements in der Selbstverwaltung
verloren gegangen sind und die Zentren wie auch die Jugendkulturszene diese Zäsur
noch lange beschäftigen wird. Eine optimistischere Version hofft auf einen neuen Stellenwert und eine generelle Aufwertung sozialen Miteinanders, kollektiver Betätigung
und eine neue Lust an aktiver gemeinsamer Freizeitgestaltung.

Für den Verband war das vergangene Jahrzehnt, auch bedingt durch die dargestellte
Modellprojektarbeit, ein weiteres Jahrzehnt der Professionalisierung. Das Team
ist gerade in diesem Jahrzehnt stark angewachsen und der Verband hat sein Profil als
Fachorganisation deutlich stärken können. Dies geht zulasten der Ehrenamtsstruktur
im Verbandsvorstand, ist eingebettet in die Widersprüchlichkeiten der Professionalisierung
und erfordert eine vertiefte Reflexion, die hier nur angedeutet werden kann. Dem
generellen Spannungsverhältnis, in dem sich Jugendarbeit zwischen dem Auftrag
zur Sozialintegration der Jugend einerseits und der Anwaltschaft für den Eigensinn
von Jugend andererseits bewegt, kann man nicht entgehen. Bereits auf der Mikroebene
der Unterstützungspraxis wird dieses Spannungsfeld offensichtlich. Die Fachkräfte
werden von der kommunalen Politik als Garanten eines «geregelten» Betriebes der
Einrichtungen wahrgenommen und eben dafür finanziell gefördert. In diesem Spielfeld
haben die fachlichen Argumente für das Recht auf eigensinnige, unangepasste
Verhaltensweisen Jugendlicher wenig Gewicht. Die Dominanz ordnungspolitischer
Vorstellungen ist evident, da kann auch die UN-Kinderrechtskonvention (die auf dieser
Ebene kaum jemand kennt) nichts ändern.

Gefordert wird seit längerer Zeit eine Repolitisierung der Jugendarbeit, um in der politischen Gemengelage die fachliche Sicht effektiver zur Geltung bringen zu können. Dem ist nur zuzustimmen. Ein Element sind dabei solidarische Fachnetzwerke, wie sie auf
Bundesebene entstehen und auf lokaler Ebene oft fehlen. Die Stärke zum Durchhalten
kann nur in einem Empowern der eigenen Fachlichkeit gelingen. Dazu braucht es auch
die Anregung, bei der Praxisreflexion den Kopf immer mal wieder über den eigenen
Praxistopf hinaus in das «Reich der Freiheit» zu stecken. Dabei kann auch ein Rückblick in
die Anfänge der Jugendzentrumsbewegung nützlich sein.

Der Verband hat eine fast fünfzigjährige Geschichte des Ringens um Freiräume für
Jugendliche hinter sich. Seither wirkt man dahin, dass verstanden wird, wie zentral die
Bereitstellung von Räumen, die nur den jugendlichen Interessen vorbehalten sind, zur
Bewältigung der Entwicklungsaufgaben des Jugendalters ist. Gefordert wird, die Dialektik
von Freiräumen zu akzeptieren, die darin besteht, dass sie die Wucht, mit der sie als
Experimentier-, Aneignungs- und Entwicklungsräume im Identitätsbildungsprozess
fungieren können, daraus beziehen, dass sie eben nicht von außen reglementiert, verregelt und vordefiniert sind oder von Fachkräften belagert, die wohlwollend das «Phineo» Wirkungsmanagement durchbuchstabieren wollen. Wie ein solcher Freiraum beim ersten Mal wahrgenommen werden kann, hat in der letzten Ausgabe der Hamburger Fachzeitschrift «Forum» die ehemalige Besucherin des zu Beginn erwähnten AJZ Homburg, Kendra Williams, beschrieben: «Es roch nach abgestandenem Bier, kaltem Rauch und Kellermief. Für mich duftete es nach Freiheit … Was ich jedoch noch heute gut nachfühlen kann, war meine Überraschung: Die Tatsache, dass ein komplettes Haus, egal wie marode es auch war, alleine uns Jugendlichen zur Verfügung stehen sollte – und zwar ohne jegliches Einmischen der Erwachsenen. Ich konnte mein Glück kaum fassen! Hier galten die Regeln der normalen Welt nicht. In diesem Haus wohnte die Unkonventionalität, und ich durfte mit einziehen!» So sollten sich die Räume der Jugend (-arbeit) anfühlen.