50 Jahre juz-united - 50 Jahre Selbstverwaltung im Saarland
von Tobias Drumm und Theo Koch
2024 wird der Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung (VSJS), heute bekannt als juz-united, fünfzig Jahre alt. Anlass genug, den Blick über die Jahrzehnte schweifen zu lassen und nach lessons learned aus einem halben Jahrhundert Verbandsarbeit zu schauen. Im Rahmen eines Jubiläumsprojektes wird aktuell die Geschichte des Verbandes und der Jugendzentrumsszene im Saarland rekonstruiert. In einem digitalen Archiv werden Dokumente und Zeitzeugenberichte zusammengetragen und zugänglich gemacht (www.vsjs50.de), das Verbandsarchiv gesichtet und zahlreiche Ehemalige kontaktiert. Dabei kommt ein Fundus zum Vorschein, der neben dem nostalgischen Erinnern auch zur Reflexion und Selbstvergewisserung aktueller Verbandspolitik einlädt. Es werden auch verschüttete Schätze zu Tage gefördert, die Anregungen und Inspiration für ein Weiterdenken jenseits des Tellerrands aktueller Jugendarbeit ermöglichen. Neben Positionspapieren und anderen Dokumenten bieten insbesondere die Verbandszeitschriften die Chance, relevante Debatten und Entwicklungen sowohl der einzelnen Zentren als auch der OJA im Saarland über viele Jahre hinweg nachvollziehen zu können.
Der vorliegende Text soll einige Schlaglichter auf fachliche Aspekte werfen, die bei der Beschäftigung mit der Historie des Verbandes ins Auge fallen und die über das Saarland hinaus ungebrochen relevant für unser Arbeitsfeld sind. Zunächst wird die Entwicklung der Selbstverwaltung im Saarland kurz umrissen, um anschließend die konflikthafte Beziehung zwischen Hauptamtlichen und Selbstverwaltung und die Rolle von Vernetzungsstrukturen vor diesem Hintergrund zu reflektieren.
Ein weiterer Fokus wird auf das Thema Demokratiebildung gelegt, da bei der Dokumentensichtung erstaunliche Parallelen zwischen den theoretischen Begründungszusammenhängen der 70er Jahre und aktuellen Debatten zur Demokratiebildung hervorstechen. Abschließend werden Schlussfolgerungen für die heutige Situation gezogen.
Hintergrund
Der VSJS wird 1974 zur Hochphase der Jugendzentrumsbewegung gegründet – ähnlich wie viele weitere regionale Zusammenschlüsse im Bundesgebiet. Während die meisten davon allerdings nach wenigen Jahren wieder verschwanden, führte der Weg des saarländischen Dachverbands in die Institutionalisierung und (über einige Umwege) in die Professionalisierung. Heute beschäftigt juzunited 13 hauptamtliche Fachkräfte, die ca. 130 selbstverwalteten Jugendclubs und Jugendzentren im Saarland unterstützen und begleiten. Der Dachverband ist ein eingetragener Verein, dessen Vorstand aus Vertreter*innen der Jugendzentren besteht.
Gründungszeiten – Jugendzentrumsbewegung im Saarland
Im Rahmen des Jubiläumsprojektes wurde durch die Rekonstruktion der Entstehungs- (und Scheiterns-) Geschichte von Jugendzentren und Treffs deutlich, wie sich die Offene Jugendarbeit in ihrer quantitativen und qualitativen Dimension über die Jahrzehnte entwickelt hat. Jenseits der regionalen Besonderheiten gibt es sicherlich eine gewisse Schnittmenge mit der allgemeinen bundesdeutschen Entwicklung.
Es ist heute kaum mehr vorstellbar, mit welcher Wucht die Jugendzentrumsbewegung Anfang der 1970er Jahre die Politik in den Städten und Gemeinden aufmischte. Innerhalb kurzer Zeit entstanden immer neue Initiativen, die selbstverwaltete Jugendzentren forderten. Mit Demonstrationen und Happenings wurden diese Forderungen in die Öffentlichkeit getragen und die (meist konservative) kommunale Politik frech und lautstark herausgefordert. Erste Erfolge in Form von Räumen spornten immer neue Initiativen an, so dass Ende der 70er Jahre im Saarland über fünfzig Einrichtungen und Initiativen existierten. Diese Freiräume für jugendliche Selbstbestimmung prägten nicht nur Generationen von Aktiven, sondern waren schon in der Anfangsphase zentrale Orte einer jugendkulturellen Belebung des Landes. Selbstorganisierte Konzerte, Kinoprogramme, Juz-Zeitungen und politischer Aktivismus waren Ausdruck eines jugendpolitischen Aufbruchs, der das Land nachhaltig veränderte.
Neben den sich erfolgreich etablierenden Jugendzentren, die mit dem Ausscheiden der oft hoch politisierten und engagierten ersten Jugendgeneration auch die Hürden der ersten Generationswechsel bewältigten, gab es vor allem im Ballungsraum um die Landeshauptstadt Ende der 70er Jahre auch erste Rückschläge zu verarbeiten. Die Ehrenamtsstruktur der hier entstandenen selbstverwalteten Juze war mit den Problemen durch das Aufkommen sozial benachteiligter Jugendszenen schnell überfordert. Die interne Selbstverwaltungsstruktur wurde ergänzt durch junge Sozialarbeiter*innen, angestellt beim Jugendamt der Stadt, die sich den sogenannten „Problemgruppen“ sozialarbeiterisch widmen sollten. Es gab in der Folge heftige Auseinandersetzungen um die Mitentscheidungsmöglichkeiten über die Anstellung bei gleichzeitiger Infragestellung der Selbstverwaltung durch die Kommune. Erste Jugendzentren wurden in die kommunale Trägerschaft überführt, denen nach und nach weitere folgten. Diese Entwicklung rund um den Ballungsraum Saarbrücken mit seinen konzentrierten sozialen Problemlagen führte einerseits zu einer Schwächung der jungen Jugendzentrumsbewegung, andererseits zu einem enormen Ausbau kommunaler Offener Jugendarbeit.
Schon in dieser Phase Ende der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre waren die inneren Widersprüchlichkeiten Offener Jugendarbeit zwischen der eigensinnigen Selbstorganisation jugendlicher Interessen einerseits und der Bearbeitung sozialer Problemlagen andererseits, zwischen Selbstverwaltung und Jugendsozialarbeit, präsent. Die Bewegung institutionalisierte sich 1974 mit der Gründung des Dachverbandes. Ihre Erfolge lagen neben der Etablierung einer neuen Infrastruktur für Jugendliche Freizeit- und Vergesellschaftungsinteressen auch in der veränderten Wahrnehmung von Jugend als gesellschaftsverändernde Kraft. Jugend wurde durch ihre Selbstermächtigung zum Subjekt kommunalen Demokratiegeschehens.
Erklären lässt sich die dargestellte Dynamik als Folge der gesellschaftlichen Impulse, die von 1968 ausgingen, der politisch-ökonomischen Folgen einer sich ausweitenden Bildungsoffensive und der Aufbruchsstimmung Anfang der 1970er Jahre.
Entwicklung bis heute
Rein quantitativ gab es seitdem Hochs und Tiefs, was die Anzahl der selbstverwalteten Juze im Saarland betrifft. Auffällig ist die starke Ausbreitung der selbstverwalteten Treffs ab Beginn der 90er Jahre vor allem im ländlichen Raum, aber auch einigen Kleinstädten des Saarlandes. Zum Teil wirkten dabei die Jugendzentren und Jugendclubs, die bereits seit Anfang der 70er Jahre erfolgreiche Jugendarbeit in der Region gestalteten, als Role Model. Im Zuge der Jugenddebatte der damaligen Zeit gab es aber auch in etlichen Gemeinden einen Ausbau der kommunalen Jugendpflege, die die Neugründungen und Raumforderungen unterstützten. Zur Erinnerung: Ab Anfang der 1990er Jahre gab es einen Ausbruch von rassistischen Anschlägen und Übergriffen, die in einer breiten gesellschaftlichen Debatte als „Jugendgewalt“ gelabelt wurde. Jugend war wieder gefährliche, aber auch gefährdete Jugend, und als Antwort wurden von der Jugendarbeit Lösungen eingefordert. Diese bestanden auch im Ausbau der kommunalen Jugendpflege, und da die Idee der selbstverwalteten Treffs seit Beginn der Jugendzentrumsbewegung in der Welt war, wurde den Raumforderungen von Jugendlichen im Saarland wieder öfter nachgegeben.
Eine weitere Entwicklungsetappe wurde markiert durch die Gründung von zwei großen Jugendkulturzentren in den Kreisstädten Saarlouis und Neunkirchen, beide im Jahre 2004. Ihrer Eröffnung gingen jahrelange Auseinandersetzungen zwischen Jugendinitiativen und Kommunalpolitik voraus, die mit ihren Demonstrationen und kreativen politischen Interventionen an die Jugendbewegung der 70er Jahre erinnerten und stark in die Region ausstrahlten.
Auch die Überführung von drei Jugendzentren im Regionalverband Saarbrücken, die Ende der 70er Jahre kommunalisiert wurden und nun, ebenfalls 2004, wieder in Selbstverwaltung organisiert werden sollten, war ein Meilenstein. Hintergrund waren Sparmaßnahmen im Jugendamt. Durch die Selbstverwaltung konnte eine endgültige Schließung der Einrichtungen verhindert werden, verbunden mit dem Ausbau der fachlichen Begleitung der Jugendzentren durch den Verband.
Inzwischen stagniert die Zahl der Treffs und Zentren seit Beginn der 2010er Jahre auf dem konstant hohen Niveau von rund 130, wenngleich viele aktuell wieder unter Druck stehen. Verpasste Generationenübergänge während den Corona-Lockdowns, eine hohe Zahl von Besucher*innen mit psychischen Problemen und eine steigende Armutsbelastung stellen die Selbstverwaltung von innen vor große Herausforderungen. Gleichzeitig klagen die Kommunen über leere Kassen, und Haushaltsnotlagen lassen die Politik den Rotstift bei der OJA ansetzen. Glück im Unglück für die Selbstverwaltung, dass in den meisten Fällen durch das Fehlen von Personalkosten das Sparpotenzial nicht sehr hoch ist. Leider werden allerdings dringend anstehende Sanierungsmaßnahmen vielerorts Jahr um Jahr verschoben. Insgesamt stellen sich die 2020er bislang (nicht nur für die Juze) als Krisenjahrzehnt dar, in dem Selbstverwaltungsstrukturen dringend begleitendes und unterstützendes Hauptamt nötig haben. Im Folgenden soll daher auf Lehren aus der Verbandsgeschichte bzgl. der Möglichkeiten der fachlichen Flankierung von Selbstverwaltung eingegangen werden.
Zur Rolle der Hauptamtlichen im Rahmen selbstverwalteter OJA
Im Zuge der retrospektiven Betrachtung der Verbandshistorie wird deutlich, dass kaum ein Spannungsfeld so kontrovers und so anhaltend diskutiert wurde, wie das der Beziehung zwischen Selbstverwaltung und Hauptamtlichkeit.
Wie viel Hauptamt braucht die Selbstverwaltung, um (gerade in krisenhaften Phasen) gut funktionieren zu können? Wie viel Hauptamt hält die Selbstverwaltung aus, ohne dass sich die Aktiven darauf ausruhen und eine schleichende Unterwanderung der Autonomie der Jugendlichen geschieht? Und folglich: Welche Rolle übernehmen Hauptamtliche im Selbstverwaltungsmodell, um als sinnvolle Unterstützung wirken zu können, aber die Selbstverwaltung nicht zu untergraben?
Gerade letztere Frage scheint auch über die Grenzen des Saarlandes hinweg von Interesse zu sein. Immer wieder erreichen uns Anfragen von Kolleg*innen aus der ganzen Bundesrepublik, die in ihrer Stellenbeschreibung auch die Zuständigkeit für einen oder mehrere selbstverwaltete Jugendclubs stehen haben, aber nicht sicher sind, wie damit professionell umzugehen ist. Hier existiert scheinbar eine fachliche Lücke, die sich durch die jahrzehntelange Unterrepräsentanz der Selbstverwaltung als Organisationsmodell im Fachdiskurs erklären ließe. Was tun, wenn man vom Träger oder der Politik einen ordnungspolitischen Auftrag erhält, aber im Jugendclub gar keine Sanktionsmacht besitzt, wenn man die Jugendlichen tatsächlich ernst nehmen will? Welches professionelle Selbstverständnis nimmt man dabei ein und kann man auch gegenüber Auftraggeber*innen vertreten? Wie passt man in die Organisationsstruktur von Jugendlichen, die im Sinne der Jugendzentrumsbewegung „Freizeit ohne Kontrolle“ wollen?
Im Folgenden wird kurz skizziert, welche Entwicklung die Debatte um dieses Thema im Saarland genommen hat und welche Antworten gefunden wurden. Über die Jahrzehnte hinweg wurden innerhalb der Juz-Szene im Saarland, und in Konsequenz auch innerhalb des VSJS, hinsichtlich der Frage, ob Sozialpädagog*innen überhaupt einen Platz im Jugendzentrum haben sollten, immer wieder unterschiedliche Argumentationslinien vertreten, die jeweils einen bestimmten Zeitgeist abbilden.
In den Anfangsjahren des Verbands Mitte der 70er, als die Jugendzentrumsbewegung noch in vollem Gange war, forderte die überwiegende Mehrheit der Aktiven von der öffentlichen Hand, Gelder zur Verfügung zu stellen, um hauptamtliche Sozialpädagog*innen anstellen zu können (vgl. VSJS 1983: 9). Das deckt sich mit der bundesweiten Position. In der ersten Juz Generation wollten über achtzig Prozent der Initiativen eine*n Hauptamtliche*n (Templin 2015: 162). Man erhoffte sich auch im Saarland, so die sozialen Probleme bewältigen zu können, die in den Räumen auftraten. Man teilte dem/der Sozialpädagog*in die Rolle zu, Gewalt, Drogenkonsum und anderes deviantes Verhalten zu befrieden und damit die Ehrenamtlichen zu entlasten. „Die erste Absicht war jedoch noch die, daß Sozialarbeiter den Jugendlichen befähigen sollten, sich selbstzuverwalten – eine verhängnisvolle Annahme, wie sich später zeigen sollte“ (vgl. VSJS 1983: 10).
Bedenken, dass die Präsenz von Sozialpädagog*innen irgendwie im Konflikt mit der Selbstverwaltung stehen könnte, findet man in dieser Phase nicht. Vermutlich auch vor dem Hintergrund, dass sich die Aktivist*innen der Jugendzentrumsbewegung bei der Forderung nach Hauptamtlichkeit die Anstellung von Personen aus ihrer eigenen Mitte vorstellten und zunächst auch weitestgehend durchsetzen konnten.

Erste kritische Auseinandersetzungen finden sich vermehrt Anfang der 80er Jahre, als den
Jugendzentren in Saarbrücken „Betreuer einfach vorgesetzt“ wurden (ebd.: 15). Im größten
Saarbrücker Juz, der Försterstraße, einigten sich die Aktiven bereits 1978 mit der Stadt, die
ursprüngliche Selbstverwaltung abzuschaffen und dafür eine „kommunale SV“ mit städtischen Sozialpädagogen einzurichten (vgl. VSJS 1978a). Als Entgegenkommen wurden den Aktiven versprochen, Sozialarbeiter einzustellen, die selbst aus der Juz-Bewegung kamen. „Die meisten Aktiven zogen sich dennoch enttäuscht zurück, sodaß die widersprüchliche Situation entstand, daß die Sozialarbeiter zu ‚Ideenträgern‘ der Selbstverwaltung wurden, die sie den Jugendlichen beibringen wollten – ein Unding“ (VSJS 1983: 16). Der VSJS lehnte dieses Konzept immer ab: „Das Juz wird zur Spielwiese, weil die Stadt das Hausrecht hat, jederzeit schließen kann, Ausgaben des Jugendzentrums im Einzelnen genehmigt werden müssen und eine für den Jugendlichen in keiner Weise mehr durchschaubare Bürokratie entsteht“ (ebd.). Das ist nicht der einzige Fall, in dem Politik und Verwaltung die Forderung der Jugendlichen nach hauptamtlichem Personal für eine schleichende Kommunalisierung ausnutzten (vgl. VSJS 1978b; VSJS 1979). Ähnliche Fälle gibt es bundesweit vermehrt in der zweiten Phase der Jugendzentrumsbewegung (vgl. Templin 2015: 353).
Hier lässt sich ein erstes Konfliktfeld ausmachen, das bis heute Bestand hat: Hauptamtlichkeit bedeutet immer auch die Gefahr der Einflussnahme der Politik. Schlimmstenfalls hinsichtlich der Abschaffung der Selbstverwaltung, bestenfalls aber, indem ein mächtiger Akteur innerhalb der Organisationstruktur des Jugendzentrums etabliert wird, der sich in ständigem Interessenskonflikt zwischen fachlichem Auftrag und den Anrufungen der die Stelle finanzierenden Institutionen befindet. Eine Situation, die weder für die Jugendlichen, noch für die Fachkraft wünschenswert ist.
Ein zweites Konfliktfeld ist das der übermäßigen Verantwortungsübernahme durch die den Sozialarbeiter*in. Das Vorhandensein von Hauptamtlichen kann dazu führen, dass sich die Besucher*innen darauf ausruhen, dass das Nötige ja schon erledigt werden wird. Gerade weil angestelltes Personal immer auch unter dem Druck steht, dass in der eigenen Einrichtung alles läuft, tendieren Fachkräfte gerne dazu, sich proaktiv um Dinge zu kümmern. Oft weit bevor es die Jugendlichen tun würden. So führt der Legitimationsdruck, der auf Hauptamtlichen lastet, dazu, dass Lerngelegenheiten und Identifikationsmomente durch selbstständiges Kümmern der Jugendlichen verhindert werden. Nicht zuletzt führten diese frühen Erkenntnisse beim VSJS zu einem Umdenken, as darin gipfelte, dass der Verband 1979 die auf einer Fachtagung bei Wuppertal proklamierten „Burgholzer Thesen“ unterstützte, die forderten: „Sozialarbeiter raus aus Jugendzentren!“ (VSJS 1983: 20).
Das dritte Konfliktfeld, das identifiziert werden kann, trat ebenfalls wiederholt in der
Verbandsgeschichte auf und kann auch aktuell im Arbeitsalltag des Verbands beobachtet werden: Dort, wo Sozialpädagog*innen in den Jugendzentren zugegen sind, kümmern sie sich (auch) um Besucher*innen mit besonderen Problemlagen. Es werden Unterstützungsleistungen organisiert, individuelle Angebote gemacht, klassische Jugendsozialarbeit geleistet. In der Folge besuchen genau diese Jugendlichen verstärkt die Einrichtung. Die Besucher*innenstruktur wandelt sich hin zu mehr Jugendlichen, die akute schulische und/oder familiäre Probleme mitbringen und die generell aus belasteten Milieus stammen. Nicht selten führt das zu Verdrängungsprozessen.
Ein entsprechender Fall mit besonderen Auswirkungen auf den Verband ist der des Jugendzentrums Merzig Anfang der 80er (vgl. VSJS 1984: 2; Katzenmaier/Böttcher 2023: 323). Dort suchten nach der Einstellung eines Sozialarbeiters weniger politisierte, aber sozial stärker marginalisierte Jugendliche die Einrichtung auf. Die Fachkraft fand ihre Aufgabe darin, mehr Angebote für „Randgruppen-Jugendliche“ zu organisieren. Infolgedessen wurde das Juz noch stärker von dieser Zielgruppe nachgefragt. Es kam vermehrt zu Diebstählen, Einbrüchen und Ruhestörung (vgl. VSJS 1984: 2). Die ursprünglich Aktiven blieben dem Juz fern. Es entstand ein sich verhärtender Konflikt zwischen den Selbstverwalter*innen und dem Hauptamtlichen. Der Vorstand sah sich gezwungen, den Sozialpädagogen zu entlassen (ebd.).
Dieser Fall war Anstoß dazu, dass innerhalb des VSJS die Idee Auftrieb erhielt, Hauptamtliche sollten keine gestaltende Funktion innerhalb der Jugendzentren ausüben. Ihre Rolle sollte nicht über die einer beratenden Funktion hinausgehen. In den „VSJS Nachrichten“ wird 1983 das sog. „Beratermodell“ beschrieben und als mögliche Lösung präsentiert:

„Wenn ein Sozialarbeiter in einem einzigen Juz zu viel Einfluß erhält und den Juz-Aktiven
Verantwortung abnimmt, und wenn wir vom VSJS das notwendige Beratungsangebot für
Jugendzentren nicht nur ehrenamtlich bewältigen können, so könnte dies doch ein Jugendberater – angestellt für mehrere Jugendzentren. Statt in Jugendzentren zu arbeiten, könnte ein solcher Jugendberater für Jugendzentren arbeiten, nur kommen, wenn er gebraucht wird, jedoch keine Verantwortung im Juz übernehmen“ (ebd.: 24). Im Grunde ist dieses Konzept bis heute im Saarland ein Erfolgsmodell, nach dem die Fachkräfte des Verbands arbeiten und das die Grundlage für die eigene Rolle im Kontakt mit den Jugendlichen ist. Die Hauptamtlichen „beraten, unterstützen und begleiten“ i.d.R. auf Zuruf. Sie sind bei den Aktiven der Jugendzentren bekannt und halten losen Kontakt. Beim Besuch der Einrichtung sind sie jedoch Gäste ohne jegliche Sanktionsmacht. Sie sind beim Dachverband angestellt, was die Grundlage für eine möglichst große Parteilichkeit gegenüber den Adressat*innen darstellt und möglichen Rollenkonflikten bzgl. den Interessen von Kommunen vorbeugt.
Diese offenbar erfolgreiche Lösung für das Dilemma zwischen Hauptamt und Selbstverwaltung hat ein großes Problem: die fehlende Übertragbarkeit. Damit das Konzept funktioniert, dürfen die beratenden Fachkräfte weder bei der Kommune noch beim Trägerverein der Jugendlichen angestellt sein. Ja, selbst eine Anstellung bei einem freien Träger, der in direkter finanzieller Abhängigkeit der Kommune steht, ist kritisch zu betrachten. Ideal wären regionale Vernetzungsstrukturen der Jugendzentren, die länderfinanziert Fachkräfte zur Unterstützung der Selbstverwaltung anstellen. Dafür fehlt vermutlich bundesweit wiederum als zentrale Voraussetzung das Bewusstsein der Juz- Aktiven, Teil einer Bewegung, einer Szene zu sein und der Wille und die Ressourcen, solche übergeordneten Strukturen aufzubauen (vgl. Katzenmaier/Böttcher 2023: 324).
Hauptamt als Kontinuitätsgarant
Aus den Diskussionen zu den Gesetzmäßigkeiten sozialer Bewegungen lässt sich schließen, dass es im Saarland gerade die Institutionalisierung der Bewegung im VSJS war, die den heutigen Stand der Infrastruktur selbstverwalteter OJA ermöglichte. Beim Blick ins Verbandsarchiv wird deutlich, dass es eine zentrale Funktion des VSJS war und ist, zu gewährleisten, was dem klassischen selbstverwalteten Jugendzentrum oft abgeht: Kontinuität. Selbstverwaltete Offene Jugendarbeit – wie auch die OKJA als Ganzes – ist in der Regel von Kurzlebigkeit und Spontaneität geprägt. Die Verweildauer der Aktiven innerhalb der Selbstverwaltungsstrukturen dauert in vielen Fällen wenige Jahre. Sie durchlaufen typische Verlaufsphasen des Ehrenamts in der Selbstverwaltung – vom Erstbesuch über ein steigendes Engagement, Verantwortungsübernahme und Identifikation, hin zu einer stabilen Hochphase, gefolgt von Abnablung.
Kritisch ist dabei stets der Übergang zur Folgegeneration. Viel zu oft wird die Nachwuchsarbeit von den Ehrenamtlichen vernachlässigt, wird sich gegen äußere Einflüsse abgeschottet, machen „die Jungen alles falsch“. Nicht ohne Grund sind viele Häuser, die in den ersten Tagen der Jugendzentrumsbewegung erkämpft wurden, schon früh wieder gescheitert, als der erste Generationenübergang misslang. Oft verbunden mit dem Konflikt, dass die zweite Generation den Alt-Aktiven nicht politisch genug waren (vgl. Katzenmaier/Böttcher 2021: 387). An dieser Stelle ist es von großem Wert für die Selbstverwaltung, wenn es eine parteiische flankierende Hauptamtlichkeit gibt, die bereits früh auf die Notwendigkeit eines Generationenübergangs hinweist, und die Jugendlichen, wenn gewünscht, dabei unterstützt diesen zu organisieren.
Darüber hinaus gibt es unzählige dokumentierte Beispiele aus den letzten Jahrzehnten, in denen kein Nachwuchs gefunden wurde, das jeweilige Jugendzentrum zeitweise leer stand und die Ehemaligen den Verband mit einer Wiederbelebung beauftragten. Die Fachkräfte des Verbands erhalten in solchen Fällen i.d.R. die Schlüsselgewalt, organisieren mit Honorarkräften regelmäßige Öffnungszeiten und bewerben die Einrichtung im Sozialraum mit Flyern und Aktionen. Dabei muss zu jeder Zeit klar sein, dass das Ziel die erneute autonome Selbstverwaltung ist und sich die Fachkräfte so bald wie möglich aus der Verantwortung zurückziehen. Ohne diese Funktion des Dachverbands als Kontinuitätsgarant in schwachen Zeiten, wäre die Dichte der selbstverwalteten Jugendzentren im Saarland vermutlich deutlich geringer als sie heute ist. Es kann nur gemutmaßt werden, wie viele Räume in Phasen fehlender Aktivität unter die Räder geraten und von Ortsräten umfunktioniert worden wären, hätte es die Ebene des Dachverbands nicht gegeben.
Nimmt man OJA als soziales Lern- und Experimentierfeld ernst, so muss man gerade im Feld der Selbstorganisation Jugendlicher ein gewisses Chaos und eine Schnelllebigkeit akzeptieren. Strukturell scheint dabei eine übergeordnete, aber parteiische Fachorganisation eine stabilisierende Wirkung auf die selbstverwaltete Jugendarbeit im Saarland ausgeübt zu haben. Welches Potential eine fachlich abgesicherte Infrastruktur selbstverwalteter Offener Jugendarbeit für die Ausbildung demokratischer Orientierungen bei den involvierten Jugendlichen hat, soll im Folgenden dargestellt werden.
Selbstverwaltung = Demokratie in Praxis
Die Beschäftigung mit der regionalen Geschichte der Jugendzentrumsbewegung brachte auch zum Vorschein, wie stark diese sich im Kontext einer demokratischen Erneuerung der Bundesrepublik in Folge von Willi Brands „Mehr Demokratie wagen“ verortete. Bereits das erste Forderungspapier des neu gegründeten Verbandes zur Kommunalwahl 1974 stand unter dem Motto „Demokratisierung der kommunalen Jugendpolitik“. Es wurde gefordert: „Demokratie muss zum Bestandteil der offiziellen Jugendpolitik werden“ und daraus die Forderung nach „Selbstverwaltung in allen Jugendeinrichtungen“ abgeleitet.
Sich als Teil demokratischer Erneuerung zu sehen, die die herrschende Ordnung – wenn auch nur in der (klein-) städtischen Provinz – in Frage stellte, war Teil der Selbstbewusstwerdung einer Jugendbewegung, die tatsächlich Geschichte schrieb. Immerhin wurde etwas Neues geboren. Jugendliche forderten IHREN Raum im Gemeinwesen gegenüber einer meist konservativen Kommunalpolitik ein und über diesen Raum wollten nur SIE SELBST frei bestimmen. Die Zeitdokumente bringen zum Vorschein, wie selbstbewusst, provokativ und konfrontativ die Jugendinitiativen ihre Forderungen in die kommunalpolitische Arena einbrachten und damit eingefahrene Politikroutinen in Frage stellten. Die Forderung nach dem eigenen Platz im Gemeinwesen führte nicht nur zur Politisierung auf Seiten der Jugendlichen, sondern sorgte auch für frischen Wind in Verwaltungen, Politik und der kommunalen Öffentlichkeit. Zumal die Forderung nach Freiräumen für Jugendinteressen selbstbewusst mit demokratischen Rechten begründet wurde.
Es kursierten in den Anfangsjahren eine Unmenge an Konzeptpapieren der einzelnen Jugendzentren, in denen der Demokratiebezug im Vordergrund stand (neben dem Anprangern von Fremdbestimmung in allen Lebensbereichen, Konsumzwängen, Repression und weiteren Zwängen, die der Kapitalismus so mit sich bringt). Stellvertretend kann ein Papier des Jugendzentrums Saarbrücken/Eschberg 1973 stehen, in dem auf die Idee einer partizipativen Demokratie Bezug genommen wird:
„Demokratie kann nur heißen: Aktives Mitgestalten – Mitverantwortung – Aktive Mitbestimmung. Voraussetzung dafür ist die Befähigung, die gesellschaftlichen Verhältnisse und die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und wenn notwendig, die gesellschaftlichen Verhältnisse nach den eigenen Bedürfnissen zu verändern. … Mündiger Staatsbürger sein heißt, immer für Demokratisierung aktiv eintreten, bedeutet Kritikvermögen und Mut zu neuen Wegen. Ein demokratischer Staat hat die Aufgabe durch sein Erziehungsangebot diese Mündigkeit zu erzeugen. Jugendzentren in SELBSTVERWALTUNG sind ein Schritt auf dieses Ziel hin.“
Selbstverwaltete Jugendzentren als Bildungsangebot zur Erzeugung von Mündigkeit – diesen Faden hat der Verband in den letzten Jahren wieder aufgenommen mit einem Projekt, das die Demokratiebildung als besondere Leistung der selbstverwalteten Einrichtungen herausstellt (ausführlich vorgestellt in der OJA 01/2018). Mit dem Rückenwind durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und den verstärkt geführten Fachdebatten zur Demokratiebildung, konnten in Selbstverwaltungsstrukturen die Kernelemente demokratischer Prozesse und das Agieren in diesen Strukturen als Demokratiebildung identifiziert werden. Im Gegensatz zu anderen Sozialisationsbereichen, in denen Ein- und Unterordnung unter durch Erwachsene vorgegebene Regeln gefordert sind, geben sich die Jugendlichen in den selbstverwalteten Einrichtungen die Regeln selbst. Verbunden mit der Notwendigkeit, diesen selbstverantworteten Raum durch eine beteiligungsoffene Organisationsstruktur für Jugendliche attraktiv auszugestalten.
Die Ergebnisse des genannten Handlungsforschungsprojektes können hier nur kurz vorgestellt werden: In der Praxis der selbstverwalteten Jugendzentren und Jugendtreffs zeigen sich unterschiedliche Lösungen bei der selbstbestimmten Gestaltung von Organisationsprinzipien und internen Strukturen. Die Jugendlichen entwickeln eigensinnig Verfahren, wie sie Entscheidungen treffen, welche Orte oder Gremien der Meinungsbildung und Interessenaushandlung sie etablieren und welchen kollektiven
Regeln sie sich freiwillig unterwerfen wollen. Das geschieht in der Regel nicht aus explizitem politischem Interesse, sondern aus dem simplen Sachzwang, dass das Jugendzentrum nur funktioniert, wenn man die Dinge selbst in die Hand nimmt. Insofern impliziert der Freiraum als solcher bereits einen Appell an seine Nutzer*innen, sich über ihre Interessen auszutauschen und gemeinsam Strukturen zu schaffen, die einen Betrieb der Einrichtung in ihrem Sinne erlaubt.

Demo Juz Püttlingen 1979
Die gemeinschaftliche Bewältigung der Alltagsaufgaben im Jugendtreff beinhaltet die Möglichkeit, sich als selbstbestimmter Akteur in einer sozialen Gemeinschaft zu erfahren und dabei individuelle Potentiale produktiv einzubringen und weiterzuentwickeln. Anerkennungserfahrungen, die sich im Zuge gelungener Gemeinschaftsaktivitäten (von der ersten größeren Party bis zum Open-Air) einstellen, sind ein stark motivierender Faktor für die nächsten größeren gemeinschaftlichen Aktivitäten, bei denen die Jugendlichen wiederum ihr Erfahrungsspektrum erweitern. Selbstwirksamkeit wird damit in sich steigernden Erfahrungssettings erlebt. Solidarische Vernetzung in der Gruppe und gleichberechtigte Interessensaushandlung sind dabei ihre Voraussetzung.
Zusammenfassend kann festgestellt werden: In selbstverwalteten Jugendzentren und Jugendtreffs können junge Menschen in der zentralen Phase ihrer Identitätsentwicklung Erfahrungen von Wirkmächtigkeit in einem demokratisch verfassten, gemeinschaftlich organisierten Erfahrungsraum machen. Da die Einrichtungen als soziale Infrastruktur im Gemeinwesen immer auch in Auseinandersetzung mit Politik, Verwaltung, Öffentlichkeit stehen, werden bei der Vertretung eigener Interessen Verfahren und Logiken kommunaler Politik erfahrbar. Insoweit scheinen die normativen Vorstellungen der Jugendzentrumsbewegung in der heutigen Praxis Widerhall zu finden.
Die Qualität des einzigartigen Erfahrungsraums Selbstverwaltetes Jugendzentrum wird sowohl in den Interviews, die im Rahmen des Projektes durchgeführt wurden, als auch durch Zeitzeugenberichte, die aktuell beim Jubiläumsprojekt gesammelt werden, deutlich. Die nachhaltige biografische Relevanz des Engagements tritt in allen Schilderungen markant hervor. Beschrieben werden Selbstbildungsprozesse in der Gemeinschaft Gleichaltriger, die sich als intensive Erfahrungen in die Persönlichkeit einschreiben. Mündigkeit kommt so sehr persönlich und konkret zum Vorschein und politische Subjekte, die gelernt haben, ihre Angelegenheiten unter Gleichen solidarisch zu regeln und sich in
bestehende Ungerechtigkeiten streitbar einzumischen. Ist es nicht gerade das, was bei dem aktuellen Zustand unserer „gefährdeten“ Demokratie dringend gebraucht wird?
Die Frage stellt sich zwar heute etwas anders als zu Beginn der 70er Jahre, bleibt aber äußerst relevant: Wo können Jugendliche Bildungserfahrungen sammeln, die sie zu mündigen Subjekten gesellschaftlicher Zukunftsgestaltung machen? Der Blick in die Konzepte der Jugendzentrumsbewegung kann sich hier durchaus lohnen.
Quo vadis Selbstverwaltung?
In den letzten Jahren nahm – so zumindest unser Gefühl – die Erwähnung der Selbstverwaltung im bundesdeutschen Fachdiskurs wieder etwas zu, wenn auch nur punktuell und teilweise zu Unrecht als Relikt vergangener Tage eingeordnet. Das ist ein Lichtblick, der hoffen lässt, dass Selbstverwaltung wieder öfter gewagt und ermöglicht werden könnte.
Auf der anderen Seite beobachten wir im Saarland wie bereits beschrieben, dass mehr Jugendliche aus problembelasteten Familien die Einrichtungen besuchen. Eine Entwicklung, die die Selbstverwaltung teilweise ernsthaft unter Druck setzt, da diese deutlich seltener und nur mit aufwendiger fachlicher Begleitung die Wege in die eigenverantwortliche Organisation der Räume finden. Hier besteht jedoch die Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten, wenn Stimmen aus ganz unterschiedlichen Richtungen laut werden, die die Selbstverwaltung am jeweiligen Standort als gescheitert ansehen, weil es aktuell „nicht läuft“. Hier hilft der Blick in die Vergangenheit, bei dem sehr schnell deutlich wird, dass es sich nicht um eine historisch einmalige Entwicklung handelt. Das Saarland befindet sich seit Jahrzehnten in einem Strukturwandel, der immer wieder die sozialräumlichen Rahmenbedingungen einzelner Einrichtungen negativ beeinflusst. Auch Einrichtungen, die über lange Jahre von immer wieder nachwachsenden Jugendgenerationen als lebendige Aktivposten der Jugendarbeit im Gemeinwesen organisiert wurden, können durch das Aufkommen von Jugendszenen aus benachteiligten Milieus phasenweise überfordert werden. Hier sind dann Fachkräfte gefordert, unterstützend zur Seite zu stehen und die Offenheit der Einrichtungen zu gewährleisten. Die Veröffentlichungen des Verbands berichten auch übergreifend immer wieder von ähnlichen Momenten – meist im Rahmen größerer gesamtgesellschaftlicher Krisen. Und die Geschichte zeigt: Solche Phasen können überwunden werden, wie die vielen traditionsreichen selbstverwalteten Jugendzentren im Saarland eindrucksvoll beweisen. Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden, vielmehr sollten ausdifferenzierte Angebote eingefordert werden.
Fazit
Die selbstverwaltete Offene Jugendarbeit in Deutschland ist nicht so tot, wie die Fachdebatte es oft scheinen lässt. Ein Blick in 50 Jahre Selbstverwaltungsgeschichte im Saarland lässt den Schluss zu, dass es den bundesweit existierenden selbstverwalteten Jugendzentren guttun würde, sich wieder als Teil einer Bewegung zu verstehen und sich regional und überregional zu vernetzen. Solche Vernetzungen könnten auch Ausgangspunkt sein, um sowohl die Fachöffentlichkeit dazu zu bewegen, sich der Organisationsform endlich wieder stärker zu widmen und gleichsam die eigene Position gegenüber der Politik zu stärken. Eine neue Jugendzentrumsbewegung könnte zudem die Voraussetzung liefern, um neue Konzepte der unterstützenden Hauptamtlichkeit anzustoßen. Es würde der Jugendarbeit als Disziplin gut zu Gesicht stehen, sich wieder intensiver um Möglichkeiten und Praxiskonzepte der Förderung von Selbstorganisationspraxen Jugendlicher zu bemühen, gerade weil bzgl. deren Potenziale ein Konsens zu herrschen scheint.
Die Beschäftigung mit der Verbandshistorie bringt unterschiedliche Aspekte zum Vorschein, die hier nur zum Teil aufgegriffen werden können. Eine Erkenntnis sticht heraus: Ohne den Aufbruchsimpuls der Jugendzentrumsbewegung wäre die Offene Jugendarbeit als flächendeckende soziale Infrastruktur im Saarland in dieser Ausprägung nicht denkbar. Für die bundesweite Entwicklung hat u.a. David Templin ähnliches festgestellt.
Neben diesen Erfolgen sei hier noch eine Anekdote angehängt, die einen Spot darauf wirft, wie stark man sich auch in die Diskussionen zur bundesweiten Jugendhilfepolitik einbrachte. Zum 6. Jugendhilfetag 1978 fuhren 15 Aktive aus dem Saarland nach Bremen und mischten dort zusammen mit anderen Aktiven aus der Jugendzentrumsbewegung die Tagung auf, machten mit Ständen und Aktionen auf die Forderungen der Bewegung aufmerksam, organisierten spontan einen Vortrag mit 2000 Besucher*innen und zogen danach durch die Stadt. So wurde auch hier Geschichte gemacht und die damals recht repressive Jugendhilfe mit emanzipatorischen Forderungen konfrontiert, die später auch in die Ausformulierung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes einflossen. Ein Grund mehr, sich dieser Erfolgsgeschichten durch die regionale Aufarbeitung wieder zu vergewissern und sie im kollektiven Gedächtnis der Geschichte der Jugendarbeit entsprechend zu würdigen.
Man kann sich von der Energie, die von der damaligen Jugendbewegung ausging, inspirieren lassen. Sich der Geschichte zu vergewissern heißt im Fall der Jugendzentrumsbewegung, sich einer äußerst erfolgreichen Geschichte zu widmen. Im allerbesten Fall kann das Erinnern an diese Zeit des gesellschaftlichen Aufbruchs die heutige recht depressive Normalität radikal in Frage stellen. Im allerbesten Fall kann der utopische Überschuss jener Zeit nochmal aufgenommen werden, um die Ideen einer demokratischeren, gerechteren, friedlicheren Welt mit neuer Energie aufzuladen. Und zum Bewusstsein beitragen, dass alles auch ganz anders sein könnte.
Literatur
Katzenmaier, D. / Böttcher, N. (2021): Das S in Partizipation kommt von Selbstorganisation und Selbstverwaltung. Zu (halb)vergessenen Begriffen aus der Geschichte der Jugendarbeit. In: Soziale Arbeit. 10-11.2021.
Katzenmaier, D. / Böttcher, N. (2023): Selbstverwaltete Jugendzentren im Konflikt. Zum Verhältnis von Politik und Jugendarbeit am Beispiel der Jugendzentrumsbewegung und ihrer Relikte im südwestdeutschen Raum. In: Soziale Arbeit. 09-09.2023.
Koch, T., Gross, A., Drumm, T. Piro, A.: Demokratie leben in selbstverwalteten Jugendtreffs. Erfahrungen bei der Umsetzung eines Modellprojektes zur Förderung von Demokratiekompetenzen in ländlichen Räumen. In: Zeitschrift Offene Jugendarbeit, 01/2018, S. 34-43
Templin, D. (2015): Freizeit ohne Kontrolle. Die Jugendzentrumsbewegung in der Bundesrepublik der 1970er Jahre. Göttingen.
VSJS – Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung e.V. (1978a): Nachrichten VSJS Nr. 6 – 1978.
VSJS – Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung e.V. (1978b): Nachrichten VSJS Nr. 11 – 1978.
VSJS – Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung e.V. (1979): Nachrichten VSJS Nr. 17 – 1979.
VSJS – Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung e.V. (1983): Nachrichten VSJS Nr. 50 – 1983.
VSJS – Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung e.V. (1984): Nachrichten VSJS Nr. 51 – 1984.
Die aktuelle Ausgabe der OJA widmet sich wieder dem Thema Selbstverwaltung


AJZ Homburg: Demo gegen den Abriss