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Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung e.V.

Als Zivildienstleistender im AJZ Homburg

von Viktor Fleisch

Ein Rundumschlag, in dem nicht alles gesagt werden kann: Im Autonomen  Jugendzentrum Homburg brachte ich 2004/05 zehn Monate zu. Nämlich als Zivildienstleistender über den „Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung“ (VSJS). Dazu gekommen bin ich durch ne relativ formlose Bewerbung und ein lockeres Vorstellungsgespräch beim Büro jenes Verbandes in Saarbrücken. Für die uneingeweiden Uneingeweiten, also jene, denen AJZ Homburg jetzt gar nix sagt: Das AJZ existiert insgesamt schon seit 1972. In der Geschichte war das Juz oft Angriffsfläche, sowohl für Nazis als auch für Vertreter der Stadt und der Polizei. Das war mehr oder weniger in meiner Zivi-Zeit genauso. Die ständigen Auseinandersetzungen, Verhandlungen, Entkräftungen von Vorwürfen etc. haben wirklich am letzten Nerv gezehrt.

Von Beginn an, erkämpft in einer Zeit, wo viele autonome Zentren entstanden, war das AJZ ein Treffpunkt für Linke und Punker. Jedenfalls liest sich die (echt endlose) Liste der Bands, die schon in Homburg gespielt haben, fast genauso gut wie die eines CBGB’s oder SO 36.

Die Hochzeiten waren wohl die 80er oder frühen 90er mit (weit von einer exhaustiven Liste entfernt) Gorilla Biscuits, Bad Religion, Fugazi, Spermbirds (die dort ihre ersten Schritte machten), Slime, Nirvana oder später Oi Poloi, Boxhamsters, Turbostaat (was wohl eher mies war). Darunter waren dann leider auch immer wieder Fehltritte, häufig im Oi-Bereich, wie Pöbel & Gesocks, Emscherkurve 77 etc., die nicht nur das Haus leiden ließen. Nach einem legendären Pöbel & Gesocks-Konzert ´98 (?), bei dem es eine heftige Schlägerei zwischen Boneheads und solchen, die was gegen jene haben, gab, wurde das AJZ innen mit dem dazugehörigen Zeitungsartikel und dem Logo der Good Night White Pride-Aktion zuplakatiert. Vorı der politischen Vergangenheit zeugen neben den Plakaten an den Wänden des Juz auch die alten Verbandszeitschriften des VSJS oder der Haufen alter Flugblätter und Zeitschriften, den wir zusammen mit einem Anti-Nazi-Transpi auf dem Speicher gefunden hatten. Nicht zu vergessen ist auf jeden Fall das gute, alte ZAP-Fanzine, das schließlich im AJZ sein Hauptquartier hatte und einige Fanzinemacher beeinflußt haben dürfte. Die ZAP- und APPD-Veteranen Moses Arndt, Heili und andere AJZ-„Urgesteine“ habe ich in der Zeit auch kennengelernt. Jedenfalls habe auch ich vor dem Zivi-Job coole Partys (mit legendären Möbel-Lagerfeuern vor der Tür) und einzelne Konzis dort erlebt.

Eine Anekdote, z.B., war das Konzert als irgendwie verpeilt wurde, dass zwei Konzerte auf den selben Tag, gelegt wurden. Da ergab sich dann die geniale Mischung von Deutschpunk von No Exit und Zaunpfahl mit Schreicore von Remains of the day und Unkind. Herrlich anzusehen war der Publikummswechsel nach dem Deutschpunkblock, bloß ein Iro-Punker (Mo) [ich ja auch, stimmt] blieb einfach vor der Bühne sitzen und gab sich das geile Geboller der beiden letzten Bands.

Ebenfalls typisch für’s AJZ war der späte Beginn das Konzerts, was dann im Endeffekt dazu führte, dass ich nach Warten, vier Bands plus Umbau, Heimfahrt etc. um 4 Uhr morgens zu Hause war und um 6 wieder aufstehen durfte zur Schule. Da ich aber nicht in Homburg, gewohnt hab, war es als ständige Institution für mich weniger praktisch, sprich ich kannte auch nicht wirklich die Leute aus dem Juz. Sollte sich aber rausstellen, dass das kein Hindernis war, denn die waren nicht nur Punkrock, sondern auch noch nett.

Drei Tage die Woche war ich also im Juz am Güterbahnhof zugange, zwei Tage im Juz in Limbach, nem kleinen Nachbarort von Homburg, das nicht zuletzt wegen des Händs up-Festivals (im September 05) erwähnt werden sollte. Das Juz dort war früher wohl auch eher linke und Punker-Juz, wovon noch einige Flyer auf dem Speicher oder ne Quittung von der Entwicklung von „Nazi-Bildern“ (da war wohl Recherche angesagt) zeugten. Ich hatte von vornherein etwas, was mit Jugendarbeit zu tun hat, gesucht als Zivi und bin auch froh, dass ich mich nicht für die zweite Option, ein Dorfjuz, entschieden hab, wo ich für die Proll- und dumpf rechte Jugend, hätte kehren müssen und dumm rumhängen. Alles in allem bin ich sau froh, dass ich nach Homburg gegangen bin, denn trotz des vielen Streß, den ich hatte, war diese Zeit unheimlich wertvoll, was Erfahrungen und Fähigkeiten betrifft. Nicht nur, dass ich überhaupt erlernt hab, Konzerte zu organisieren, sondern ich hab auch ’n bisschen Plan von der Technik, also Musikanlage etc. und dem ganze Bandkram bekommen. Ich hab in dieser Zeit ein Stück weit mit meinen Hobbys Geld verdienen können:
Das war für mich, dessen Sozialisation und Persönlichkeitsbildung stark mit dem Punk/HC-Kram zusammenhängt optimal.

Partys, Konzerte (supernette Bands kennenlernen), mit den Leuten abhängen, Kicker Billard spielen, oft nicht nüchtern etc. Das alles natürlich in der Regel ab 16 Uhr (nachdem ich also genüsslich ausschlafen konnte), denn vorher macht ja wenig Sinn, denn vor Ort waren die Juz-Besucher und ich die einzigen „Chefs“. Auf den Zugfahrten, die ich dank meines Zivi-Ausweises fast im ganzen Saarland kostenlos verrichten konnte, hatte ich dann auch immer die Gelegenheit ne Menge zu lesen, was sich bei mir stapelte.

Abgesehen von Kino und mehreren politischen Veranstaltungen bildeten und bilden Konzerte das Fundament des AJZ. Ich selbst konnte in dieser Zeit großartige Shows von bekannteren (Hammerhead an meinem ersten wirklichen Arbeitstag, The Briefs) und unbekannteren, aber deshalb kein Stück schlechteren, Bands (Miss June, Hellmark The Jetpacks, B-Abuse) sehen. Zu den Konzerten, die ich gemacht hab, hab ich so tolle Sachen wie Bubonix (Remember erste Ausgabe) eingeladen.

Viktor (links) als Moderator in einem Juz-Film 2005

Mit einem genüßlichen Lachen erinnere ich mich auch zurück an einen „Auftritt“ der Ramonez 77, einer viert- oder fünftklassigen Ramones-Coverband, zumindest was ihre Coolness angeht. Diese alten Herren maßten sich tatsächlich an, von vorn bis hinten an allem rumzumäkeln (Bier macht Kopfweh, Wasser mit Kohlansäure, Schlafraum zu „siffig“, Bühne zu klein, Handtücher etc.) bis sie sich dann entschlossen den Gig platzen zu lassen. „Wegen zionistisch-kapitalistischer Weltverschwörung“ wurde das Konzert dann abgesagt, so die Erklärung am Eintritt. Aber der Hammer war, als die Ramonez erklärten Knabberzeug, und Süßes seien normal bei deren Begrüßung. Da war hinterher dann doch jeder ganz froh, dass sie gefahren sind und quittiert wurde dieses Verhalten fortan mit dem Leitspruch „Willkommen im Ritz“.

Trotz allem wurde es zu einem eher unterhaltsamen Abend mit der Roten Suzuki, die sich somit von der Vorband zum Headliner gemausert hatten und die einmalige Gelegenheit nutzten, um ihre Bandfotos im AJZ zu machen. Bloß zwei Ramonez-Fans aus Koblenz, die sich sogar extra Karten hinterlegen lassen wollten bzw. im Vorverkauf wollten (eher untypisch für’s AJZ) mussten wir enttäuschen.

Ein weiterer Teil meines Zividaseins war ein Graffiti-Projekt an dar Außenfassade des Juz und die Lesung mit Martin Büsser.

Doch diesen angenehmen Dingen standen natürlich auch echte Drecksarbeiten gegenüber, halt alles, was in einem Haus anfällt: Kehren, Wischen, Sperrmüll, ständige Reparaturen (Küche, Elektrik), Aufräumarbeiten, Renovieren, Streichen. Überhaupt gab es viele Höhen und Tiefen in diesen zehn Monaten. Sehr mühsam waren beispielsweise immer wieder die Verhandlungen mit Stadt, Polizei oder anderen offiziellen Stellen, wenn’s um Geld ging, das Juz grundsätzlich oder Straftaten, die, laut Polizei, nachweislich bei jeder Veranstaltung im AJZ begangen werden würden. Das kostete nicht nur viel Zeit, sondern auch Nerven, zumal in dieser Phase keine wirklich funktionierende Organisationsstruktur, sprich Vollversammlung, Vorstand etc. existierte. Ein weiterer Aufreger waren die bis zuletzt drei oder vier Einbrüche, die es gab, bei denen Kohle und Instrumente geklaut wurden, aber auch teilweise einfach alles verwüstet wurde (z.B. mit Feuerlöscher). Gerade für mich persönlich war noch ein anderer Vorfall schmerzhaft, nämlich als ich im März an nem Freitagabend zusammen mit einer Juz-Besucherin von 6 Neonazis überfallen und u.a. mithilfe eines Teleskopschlagstocks verprügelt wurde. Zusätzlicher Stressfaktor der Sache war, dass ich montags drauf zu Stefan nach Valencia fliegen wollte und alle summierten Arzt- und Klinikbesuche erst ein paar Stunden vor Abflug ergaben, dass ich mithilfe von Medikamenten fliegen konnte. Dafür war in Spanien für mich dann ne Woche Straight Edge angesagt. Ich hatte bloß Glück, weil ich keine bleibenden psychischen oder physischen Schäden davon getragen habe. Drüber hinwegzukommen hat mir auf jeden Fall geholfen, dass sich wirklich viele Leute im Anschluß bei mir erkundigten, wie’s mir geht und dass die Woche drauf ne Demo in  Homburg stattfand mit mehr als 300Teilnehmern! Danke an alle, die mitgeholfen haben! Mittlerweile kam es auch zu nem Prozeß gegen die Deppen, mit dessen Verlauf (Richter war echt ok) und Ausgang ich auch recht zufrieden bin: Für die zwei Haupttäter jeweils 10 Monate Jugendarrest, ausgesetzt auf zwei Jahre auf Bewährung, 50 Arbeitsstunden, 300 Euro Schmerzensgeld, Teilnahme an nem Antiaggressionstraining der AWO und die anderen: zwei Wochenendarreste, 130 Arbeitsstunden, Schmerzensgeld etc. Wenn man bedenkt, dass die Kosten meiner ärztlichen Behandlung und noch die Zivilklage, in der es um die eigentlichen Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen geht, dazu kommen, sind die Ärsche erstmal bedient. Zudem haben sie sich, in ihrem Plan eine „Kameradschaft Sturm Homburg“ zu gründen, schön selbst ein Bein gestellt!

Alles in allem hab ich wohl, zusammen mit den andern, ne gute Vorarbeit für den jetzigen Zivi geleistet. Hoffe, dass es bergauf geht.

Und hier sei mir noch ein sehr wichtiges Statement zum Thema Assipunk u.ä. gestattet: Was mich in der ganzen Zeit auch tierisch angepisst hat (was bspw. auch in der Alten Feuerwache in SB so war), waren die Penner, die einfach nicht auf die Rolle kriegen, dass sowas wie das AJZ ´n Freiraum ist, aus dem sie etwas machen können und wo sie selbst was auf die Beine stellen können. DIY heißt nicht: es gibt da Leute, die kümmern sich drum und ich konsumiere das, mache es denen umso schwerer, sondern es ist möglich, wenn alle zusammen anpacken mit wenig Aufwand/Stress/Arbeit ne Menge zu erreichen. Stattdessen wird von hohlen Besoffskis Inventar zerstört, Räume zugemüllt und irrer Stress geschoben, wenn man anzeigt, dass das total daneben ist. Vielleicht kapieren das solche Scheißegal-Kaliber auch mal, bloß ist es meist dann zu spät, und es herrscht keine  Bedrohung mehr des AJZ, sondern es ist dann irgendwann zu!

Viktor Fleisch hat uns diesen Artikel, den er für das Fanzine Hitman Hard 2005 schrieb, in einer leicht veränderten Version zur Verfügung gestellt.