Totgesagte leben länger
von Anne Ulrich
Der Anfang der ganzen Geschichte liegt schon ziemlich lange zurück. Ich selbst war damals gerade 8 Jahre alt, als 1972 der „Verein zur Betreuung drogengefährdeter Jugendlicher e.V.“ gegründet wurde. Dieser Verein wiederum hatte seine Wurzel in der relativ großen Drogenscene die es damals schon seltsamerweise oder vielleicht auch gerade deshalb in der so verschlafenen Kleinstadt gegeben haben muß.
Die „Junkies“ versauten das schöne Stadtbild, daß das Problem irgendwie weg mußte war klar. Der ordentliche Verein bekam was ihm zustand, nämlich ein eigenes Gebäude schön außerhalb in einer reinen noch von „Hitler“ gegründeten Wohnsiedlung , eine dieser Siedlungen wie wir sie in fast allen deutschen Städten noch heute leicht erkennen können. Mit den typischen kleinen sauberen Einfamilienhäusern mit dem kleinen Garten und den typischen sauberen kleinbürgerlichen Bewohnern.
Durch die Lage des Hauses, übrigens ein 200qm kleines Gebetshaus, mitten in dieser Wohnsiedlung waren die späteren Probleme bereits vorprogramiert.
Dazu aber später mehr.
Das Haus bekam den Namen „Open House“ und war von nun an Treffpunkt drogengefährdeter aber auch in zunehmendem Maße „normaler“ Jugendlicher. Da sich der Laden mehr und mehr zu einem freien Jugendzentrum hin wandelte und nicht mehr eine reine Auffangstation für Abhängige war, wurde konsequenterweise der Name abgeändert. Wahrscheinlich auch weil der alte Name etwas zu einschränkend war nannte man sich fortan „Verein freie Jugendarbeit e.V.“. Man schrieb das Jahr 1974 und ich kann mich aus verständlichen Gründen nicht mehr so genau an die näheren Umstände
erinnern.
Zurück aber zu Homburg, es ging ganz gut ab, es gab politische Veranstaltungen, Filme, Arbeitsgruppen und eine eigene Jugendzentrumszeitschrift namens „Guckloch“ die selbst gedruckt wurde und über ein Jahr regelmäßig erschien. ln diesem Jahr wurde auch zum ersten Mal der Antrag zur Verlegung des Jugendzentrums in ein größeres Gebäude in der Stadtmitte gestellt.
Dem Ruf und den Bemühungen nach einem anderen Gebäude wurde mittels Unterschriftensammlungen und Podiumsdiskussionen Nachdruck verliehen. Ende 1975 dann ein schwerer Rückschlag, durch einen Brandanschlag und die daraufhin folgenden Renovierungsarbeiten wurde der „Betrieb“ 1 Jahr lang lahmgelegt. Doch die Wiedereröffnungsfeier wurde ein voller Erfolg und bewies, daß das Interesse an einem selbstverwalteten Jugendzentrum nicht verloren gegangen war ganz im Gegenteil , die Forderung nach einem größeren, zentraleren Gebäude wurden immer lauter und bohrender. In den folgenden Jahren kam es zu einem ständigen hin und her zwischen Verwaltung und Verein. Auf Forderungen folgten Versprechungen, Absagen, Vertröstungen und wieder Forderungen. Es herrschte eine ständige Diskussion und ein permanentes Drängen auf ein neues Haus. Der Jugendzentrumsalltag verlief nebenher ganz normal.
Hammer des Jahres 1979 war in diese Verhandlungsphase hineinschlagend der Beschluß des Stadtrates über die Köpfe der Jugendlichen hinweg natürlich, in der Stadtmitte ein kommunales Jugendzentrum unter der Trägerschaft der Diözöse Speyer und der Stadt mit zwei kirchlichen Sozialarbeitern zu bauen. Hinter diesem Plan steckte ganz klar die Hoffnung der „Stadt“ daß sich das selbstverwaltete Jugendzentrum „Open House“ total ungünstig am Arsch der Welt sprich Stadtrand gelegen von ganz alleine wegen fehlender Besucher totlaufen würde.
Dies entpuppte sich allerdings als Fehlkalkulation.
Das für mehrere Millionen gebaute und mit zigtausend DM an Unterhaltskosten geführte kommunale Juz wird von der Mehrzahl der Jugendlichen boykottiert es dient lediglich den Prolls als Betätigungsfeld um ihre Hobbys wie sich gegenseitig auf die Fresse hauen, Feuerlöscher zu entleeren oder Tischtennisplatten zu zertrümmern, auszuüben genutzt. Eine Pleite auf der ganzen Linie also ; der Laden mit zwei Sozialarbeitern besteht übrigens immer noch und erfährt von Zeit zu Zeit unter Verwendung hoher Geldsummen Belebungsversuche, die allerdings alle kläglich scheitern, zum Scheitern geradezu verurteilt sind.
Zurück aber wieder zum „Open House“. Der normale Betrieb lief also weiter während die Anstrengungen für ein neues Gebäude absolut überhaupt nichts brachten außer Verarschung von Seiten der Verwaltung.
Innerhalb des Hauses vollzog sich aber ein langsamer folgenschwerer Wandel. Ende 81, Anfang 82 sickerten die ersten Punks in das idyllische Haus in der Birkensiedlung. Lungerte man vorher hauptsächlich auf öffentlichen Plätzen oder bei Kumpels zu Hause rum wurde nun erkannt daß das Jugendzentrum ein Ort war wo man außer bierkonsumierend auch anders aktiv sein konnte.
Anfangs gab es zwar häufige Reibereien mit den „Alteingesessenen“ da 82 für Homburg immer noch die Parole galt „Never trust a hippie“ (HÄHÄ). Diese Schwierigkeiten waren aber bald überwunden. Die Mitarbeit der Punks steigerte sich, hatte man sich zunächst abweisend in den Kellerraum zurückgezogen wurde immer häufiger der Thekendienst und andere Aufgaben übernommen. Warum ich die Punks hier herausstelle? Ich bin der Meinung daß das „Einziehen“ dieser Gruppe der weiteren Entwicklung einen entscheidenden Schub versetzt hat. Auf der einen Seite fühlten sich die Anwohner schon durch den bloßen Anblick der seltsamen Vögel angegriffen und reagierten aggressiv, auf der anderen Seite waren auch die Bedürfnisse der Punks etwas anders gelagert als die der bisherigen Jugendzentrumsbesucher.
Wurde vorher viel wert auf Diskussionen und politische Arbeit gelegt so trat nun Musik, sei es nun selbst machen, Konzerte organisieren oder einfach nur laut hören in den Vordergrund. Damit verbunden wiederum gab es dann Ärger wegen Ruhestörung.
Letztendlich gab die Gruppe auch dem Drängen auf ein neues Haus neue Kraft, da sie zum einen eine rein zahlenmäßige Verstärkung bedeutete zum anderen erkannt hatte, daß die eigenen Interessen (Konzerte, Proben usw.) in diesem Rahmen nicht durchführbar waren.
Es wurden erneut Unterschriftensammlungen gestartet und Konzerte organisiert um der Verwaltung zu beweisen, daß ein Publikum für solche Veranstaltungen vorhanden war, daß für diese Veranstaltungen in dem Gebäude allerdings auf Dauer kein Platz sein würde. Die logische Konsequenz müßte eigentlich ein neues Gebäude sein, das unseren Ansprüchen gerecht sein würde.
Aber es kam alles ganz anders.
Anfang vom Ende waren wohl die vielen Anzeigen wegen „Ruhestörung“ mit denen wir eingedeckt wurden. Für einen kleinen Skandal sorgte dann aber das legendäre „Neurotic Arseholes“ Konzert am 14. Mai 1983. Konzert kann man diese Veranstaltung gar nicht nennen, denn zum Auftritt der Gruppe kam es erst gar nicht. Vor Beginn wurde das „Open House“ nämlich von ca. 30 Polizisten zum Teil mit Maschinenpistolen bewaffnet gestürmt. Grund für das Eingreifen war eine von Nachbarn angezeigte Massenschlägerei, die allerdings nie statt gefunden hatte. So wurde das Konzert kurzerhand mit der Begründung, „man wolle keine Berliner Verhältnisse“ verboten. Es gab eine Anfrage beim Innenminister und ’nen riesigen Pressewirbel, der das „Open House“ ins Interesse der Bürger setzte und es zu einem „Politikum“ machte, was für uns eigentlich nur von Vorteil sein konnte, aber wie gesagt : „So stellt klein Hänschen sich die Welt vor. Anstatt auf unsere Forderungen einzugehen wurde systematisch die Schließung des „Open House“ vorbereitet.
Von nun an wurde es ernst , die Schikanen setzten sich fort und die Anzeigen liefen weiter. Eingeleitet wurde die letzte Runde durch die Verabschiedung einer Hausordnung , über die Köpfe der Jugendlichen natürlich hinweg , durch den Stadtrat. Die Hausordnung sah folgendermaßen aus.
HAUSORDNUNG
1 ) Das Open Haus ist geöffnet: Montag bis Donnerstag und Sonntag von 17.00 bis 23.00 Uhr, Freitag und Samstag von 17.00 bis 24.00 Uhr.
2) Die Benutzungszeiten gelten auch für die Außenanlagen.
3) Die Öffnung und Schließung des Hauses erfolgt durch Hausmeister. Den Anforderungen der Hausmeister ist Folge zu leisten.
4) Die Nachbarschaft darf während der Öffnungszeiten nicht durch Lärm belästigt werden.
5) Außerhalb der Öffnungszeiten ist der Aufenthalt im Open Haus und in den Außenanlagen nicht zulässig. Zuwiderhandlungen werden strafrechtlich verfolgt.
Überwacht wurde das alles durch zwei Hausmeister, die jeden Abend bewaffnet mit Schäferhund und Taschenlampe auftauchten. Dieser Zustand war natürlich untragbar und die Reibereien mit den Hausmeistern waren unausweichlich.
Die endgültige Schließung wurde mit schlechten hygienischen Bedingungen begründet , die durch einige lächerliche Dias, die öffentlich in der Stadtratssitzung gezeigt wurden, dokumentiert wurden. Gezeigt wurden unter anderem Tische mit leeren Flaschen oder Sprüche die mit Filzstift an die Klowand geschrieben worden waren, Sprüche wie „Schneidet die Assis in zehn Zentimeter lange Streifen“, wahrlich revolutionär. Die Aufnahmen waren natürlich heimlich während unserer Abwesenheit geschossen worden. Es gab noch ’ne spektakuläre Abschiedsfete mit viel Feuerwehr und wir saßen endgültig im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße.
Straße ist aber nicht gleich Straße, denn wir waren kein loser zusammengewürfelter Häufen von Jugendlichen wie sie überall auf der Straße rumhängen sondern immer noch ein eingetragener Verein mit Vollversammlungen, Kassenwart usw. und natürlich einem ersten Vorsitzenden und somit auch einem Ansprechpartner für die Stadt. Als gemeinnütziger Verein hat man gewisse Pflichten aber auch Rechte und bessere Möglichkeiten als Einzelpersonen.
Wir trafen uns zwar weiterhin und blieben mit der Verwaltung in Kontakt aber Erfolge stellten sich trotz unserer Existenz als Verein nicht ein. Ganz ohne Nutzen blieb der Verein aber nicht , denn auf Grund der Tatsache, daß er weiterhin bestehen blieb gründete sich ein anderer Verein oder zumindest soetwas ähnliches: Der „Elternförderkreis“, eine Vereinigung von“prominenten“ und „einflußreichen“ Homburger Bürgern, deren Kinder zwar meist nichts mit dem Jugendzentrum zu tun hatten, die aber aus den verschiedensten Gründen für ein selbstverwaltetes Jugendzentrum eintraten.
Da Homburg nun mal ’ne Kleinstadt ist und jeder jeden kennt war es klar daß Verwaltung und Elternförderkreis teilweise verwandt, bekannt, verschwägert oder was weiß ich noch alles waren. Jedenfalls gab es scheinbar jede Menge persönliche Gespräche, so daß es irgendwann mal soweit war daß wir überraschend erfuhren daß die Stadt nun doch gewillt war uns ein besseres Gebäude zu geben.
Wie und warum es doch noch dazu kam weiß von uns heute keiner mehr oder besser gesagt wußte noch nie jemand, aber egal, Hauptsache ein neues Gebäude war gefunden. Und was für eins: Die alte Ballettschule direkt am Hauptbahnhof, ’ne geniale Lage. Nach ein paar Umbauarbeiten (Konzertraum usw.) wurde das neue Haus am 20.4.85 mit ’ner Fete eröffnet.
Mit diesem Tag begangen nicht ganz unvorhergesehen Probleme ganz anderer Art. Fußballfans gehüllt in grüne Jacken hatten beschlossen „Adolfs“ Geburtstag, ja genau der den man auch „Hitler“ nennt, zu feiern und zwar genau an dem Ort wo sich das AJZ befand. Es kam zu ersten Schlägereien, die nur der Anfang einer Kette von Gewalt waren. Es gab Verletzte auf beiden Seiten und kein Ende war abzusehen.
Das schlimmste an dieser Situation waren aber nicht die Hauereien mit den Prolls sondern die Uneinigkeit innerhalb des AJZ selbst. Einige wollten die Typen immer wieder rein lassen und mit ihnen reden, andere wollten sie schon im Vorfeld mit kleinen „Geschenken“ eindecken. Schließlich kam man doch zu dem Beschluß einen Türsteherdienst einzurichten, was sich als sehr weise erwiesen hat. Nach einigen schweren Zwischenfällen Ende 85 ist es seit Anfang 86 eigentlich ruhig von kleineren Geplänkeln mal abgesehen. Wie’s in Zukunft aussehen wird weiß kein Schwein.
Neben diesen Scherereien lief allerdings auch ein Programm und verschiedene Arbeitsgruppen entwickelten sich. Im Keller wurden drei Proberäume eingerichtet ansonsten ein Konzertraum, ein Büro, ein Barraum, ein Photolabor und andere Räume fertig gestellt. Der normale Betrieb läuft ganz gut und Konzerte Filme oder politische Veranstaltungen stehen jeden Monat auf dem Programm.
Das größte Problem im „Inneren“ stellt wohl die Tatsache dar, daß sich stets eine handvoll Leute den Arsch aufreißen und sprichwörtlich abarbeiten, andere nur konsumieren. Hat sich eine „Mannschaft“ abgeschuftet und tritt resigniert zurück, kommt die nächste dran. Die Rollen werden eventuell sogar nur unter der Stammbesetzung getauscht.
Wie es genau weitergehen bzw. enden wird steht noch in den Sternen. Momentan haben wir gar keine schlechte Karten, ein Ersatzobjekt ist bereits von unserer Seite gefunden worden, wobei der Besitzer rein zufällig ein Mitglied des Elternförderkreises ist. Außerdem haben wir die feste Zusage der Stadtverwaltung, daß wir ein neues Haus kriegen. Diese Zusage haben wir schriftlich auf Anfragen hin gekriegt sowie in einer öffentlichen Sitzung im Stadtrat zugesagt bekommen. Verhandelt wird momentan noch über die Trägerschaft, zur Zeit ist die Situation die, daß der Elternförderkreis die Ballettschule zu einem symbolischen Preis angemietet hat um sie dann unserem Verein zur Verfügung zu stellen. Das soll in Zukunft nicht mehr so sein, der Förderkreis will sich zurück ziehen, so daß wir direkt mit der Stadt verhandeln müßen und später auch direkt verantwortlich sind.
So bin ich obwohl wir sogar eine sehr gute „Presse“ in den sonst konservativen regionalen
Tageszeitungen haben beim Anblick der Bagger die den gegenüber den AJZ gelegenen Parkplatz bereits umwühlen, mit Blick auf vergangene Versprechen doch sehr skeptisch.
Irgendwas wird ihnen schon noch einfallen um unsere gute Laune zu verderben, wenn ich dann Äußerungen höre, wie die, daß 3000 DM Miete im Monat zuviel für die Stadt sind gleichzeitig aber weiß, daß die Miete für die „Scheißhaus“-Container die im Waldstadion des FC Homburg stehen im Monat ungefähr zweieinhalbtausend DM beträgt stimmt mich das irgendwie nachdenklich.