Anfänge im Juz Saarlouis
Manfred Spoo hat für uns in seinem „Revolutionsmuseum“ gekramt und einiges aus den Anfängen des Jugendzentrums Saarlouis zu Tage befördert. Hier seine Geschichte:
Katholische Jugend
Ich stamme aus einem erzkatholischen Elternhaus. Vater Vermessungstechniker, Mutter Hausfrau. Schrebergarten, wo das Gemüse im Sommer gezogen wurde, damit man Geld spart. Und ansonsten ein Vater, der autoritär war, noch geprügelt hat. „Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst“…, man kennt das. Du hattest zu Hause nix zu sagen. Du hattest zu gehorchen und zu marschieren. Ich war zuerst bei der Katholischen Jugend. Das war ein erster Schritt, sich von zu Hause abzulösen. Ich hatte dann später auch etwas, das damals noch relativ provokant war. Eine gemischte Gruppe. Die waren 14 bis 16 und ich war der Gruppenleiter. Da war ich 19 damals. Und dann kam der Bischof aus Trier zu Besuch. Er hat gefragt, was wir aktuell machen. Ich sagte, in der Gruppe sind die Fragen aufgetaucht wie es ist mit Liebe, Verhütung, ungewollter Schwangerschaft, Drogen und Widerstand gegen Autoritäten. Da hat der Bischof heftig den Kopf geschüttelt und gesagt, er wünscht sich, dass regelmäßig über das Leben der Heiligen als Vorbilder für die Jugend gesprochen wird. Dann wären alle anderen Themen damit erledigt. Zwei Wochen später habe ich in der Zeitung gelesen, dass ein Jugendzentrumsverein gegründet werden sollte. Weg war ich!
Jugendzentrumsverein
Und dann wurde der Jugendzentrumsverein gegründet und das waren am Anfang hauptsächlich Jusos. Da haben wir uns bei Klaus Adam getroffen, der später auch Vorsitzender wurde. Wir haben Fragebogen entworfen, wie soll das Jugendzentrum aussehen, an was haben wir Interesse, was soll angeboten werden. Dann Flugblattaktionen „Wohin mit der Jugend?“ Das war Ende 72. Da wurde beschlossen, das ziehen wir jetzt durch. Dann wurde eine Satzung entworfen, Thesen zur Rolle der aktiven Mitarbeiter, Programmgestaltung für die Anfangsphase, politische Jugendarbeit, Aufgabenverteilung im Vorstand. Der Vorstand natürlich nicht stablinienförmig organisiert, sondern alles mit kollektiver Verantwortung. Alles selbstverwaltet.
Theater am Ring
Dann hat man uns nach sehr schwierigen Verhandlungen das Theater am Ring, das Bühnenhaus, angeboten. Das sind wir dann rein im März 1973. Wir haben die Wände bemalt und dann warst du jeden Mittag im Jugendzentrum, das war das Wohnzimmer. Nach Feierabend nichts wie hin, da hast du deine Leute getroffen, hast dazugehört, warst halt ein Teil von dem Ganzen. Das war ja die Phase Emanzipation vom Elternhaus und in einer Gemeinschaft von vielen Gleich- und Ähnlichdenkenden aufgenommen zu sein. Im Jugendzentrum warst du innerhalb einer Gemeinschaft, du warst anerkannt, du warst etwas wert. Ja, und der Mensch ist ein Sozialwesen und du suchst immer irgendwie eine Gemeinschaft, in der du aufgenommen bist.
Jeden Tag ist da oben die Musik gelaufen, die auf den Schallplattenspieler abgespielt wurde. Die Leute haben Skat gespielt, haben Schach, haben Backgammon gespielt. Und es gab diverse Veranstaltungen: Tanzabende, Konzerte, politische Diskussionsveranstaltungen undsoweiter und AGs zu dies und jenem, KDV-Beratung zum Beispiel und unser Chile-Komitee. Einiges ist dann nach der Anfangseuphorie wieder eingeschlafen. Und dann hat man natürlich auch immer zusammengesessen bei den Vollversammlungen und Mitgliederversammlungen, wo das alles organisiert wurde.
Szenen im Juz Saarlouis 1973
Drogen
Das Problem in dem Bühnenhaus war, es ging über vier Etagen. Wir hatten den großen Raum mit Theke, wo die Musik gelaufen ist, mit Sitzgruppen, die hatten wir oben unter dem Dach. Ein Stockwerk darunter waren die Toiletten. Und da sind auch innerhalb relativ kurzer Zeit die Probleme aufgetaucht, weil die Leute oben zusammen waren, und dann ist irgendjemand von der Toilette gekommen und hat gesagt: „da unten liegt eine Spritze.“ Da kam die Drogenproblematik. Und dann haben wir überlegt, wie können wir das kontrollieren, dass da unten auf den Toiletten nichts passiert. Da ist alle Viertelstunde jemand runtergelaufen, hat geguckt, ob noch alles lebt. Das war pure Verzweiflung, Hilflosigkeit. Dann haben wir einen Beirat gegründet, haben Mediziner gesucht, haben Psychologen gesucht, die in dem Beirat mitarbeiten sollen, um das in den Griff zu kriegen. Haben Aufklärungsarbeit betrieben. Das hat dann einigermaßen hingehauen. Dann hat sich irgendwann diese Drogenszene auch wieder aus dem Jugendzentrum rausgezogen und ist dorthin, wo es keine Kontaktkontrolle gab. Aber diese Drogengeschichten gab es damals überall.
Tanzabend im Jugendzentrum Saarlouis im Oktober 1973
Konzerte
Wir haben natürlich viele Veranstaltungen organisiert, Konzerte und auch Jazzabende. Ich war da auch mit zuständig, aber das war eigentlich Alltagsgeschäft, das wurde kollektiv organisiert. Wir haben immer zusammengesessen und es gab Listen mit den Bands von den Konzertveranstaltern, und da hat man dann ausgewählt, rumtelefoniert.
Häns´che Weiss Qintett
Ich kann mich noch gut erinnern, wir hatten das Häns´che Weiss Quintett hier. „Musik deutscher Zigeuner“ hieß die Platte damals. Wir haben dann im großen Saal im Theater am Ring Gypsy-Jazz auf die Bühne gebracht. Und das Theater war voll. Nach dem Konzert sind wir zum Hotel, wo wir die Zimmer reserviert hatten für die Musiker und dann haben die sich hingestellt und gesagt: „Die Zigeiner komme uns hier nit rin“. Da haben wir uns für Saarlouis geschämt. So standen wir draußen nachts um eins, haben beschlossen die Gruppe aufzuteilen und jeder nimmt einen Gast mit nach Hause. Meine Eltern hatten einen Partykeller mit Sofa und da hab ich einen Musiker untergebracht und bin in mein Zimmer. Und am anderen Morgen höre ich einen lauten Schrei meine Mutter: „Mir hann die Zigeiner im Haus“. Sie war im Keller und da hat ein fremder Mann gelegen mit etwas dunklerer Haut und meine Mutter hat fast der Schlag getroffen. Aber dann hat sie uns ein Frühstück gemacht.
Das Häns´che Weiss Quintett im Theater am Ring
Kino und „Die Blechschmiede“
Es gab im Jugendzentrum auch schnell eine Kinoreihe, so richtig mit Plakaten und regelmäßig wurden Filme gezeigt. Ich hatte beim Landratsamt einen „Filmvorführschein“ gemacht. Eine Schulung, wo ich einen „Vorführausweis“ bekommen habe, und mit dem durfte man den Projektor und Filme ausleihen. „Alexis Sorbas“, „12 Uhr mittags“, „Die Brücke“, „Angst essen Seele auf“ von Fassbinder. Das waren so Sachen, die wir dann im Jugendzentrum vorgeführt und darüber diskutiert haben.
Das Jugendzentrum hat dann auch eine eigene Zeitung herausgegeben. „Die Blechschmiede“ hieß das, die kam monatlich raus. Das war Mitte 74. Da wurde das Programm des Juz beworben, aber auch über die Probleme berichtet. Auch allgemein über Politik in der Stadt.
Zum Kabarett
Insgesamt wurde damals im Jugendzentrum wild rumexperimentiert. Wir hatten eine kleine Theatergruppe, da kam auch die Initiative her, selber etwas zu schreiben.
Wir hatten auf den Song von Eric Clapton, „I Shot the Sheriff“ einen Super 8 Film gedreht. Die Kamera steht in der Mitte auf der Müllhalde in Saarlouis, Lisdorfer Berg. Reinhold B. kommt von rechts, ich komme von links, wehende Rockschöße, hin und her geschnitten. Wir kommen immer näher zusammen und dann werden die Colts gezogen. Schnitt. Reinhold liegt am Boden, Loch in der Stirn und Ketchup läuft raus … Ich spring weg und in Zeitlupe flattern die Rockschöße hin und her, und die Musik spielt „I Shot the Sheriff“. Das Schönste an diesem Film war, Reinhold hat da gelegen und das Ketchup ist nach oben gelaufen.
Die Bee Gees hatten irgendwann mal ein Lied, „Lonely People“, einsame Leute, und da hatten wir im Jugendzentrum auch einen Film dazu gedreht. Wir hatten etliche Tische. Und an jedem Tisch hat einer gesessen und stumpfsinnig vor sich hingeguckt. Und das haben wir mit der Kamera groß abgefilmt und die Auflösung war nach dem Motto: Leute, setzt euch doch zusammen, es beißt euch doch keiner. Also dieser Wunsch nach Communitas, nach Gemeinschaft, nach Gemeinsamkeit, der hat sich darin ausgedrückt.
Und eine Geschichte noch, das war noch im Theater am Ring Bühnenhaus. Da hing an der Wand so eine Trage für Notfälle. Und in Saarlouis war Kirmes. Und wir haben ja ständig so ein bisschen kreativ gesponnen. Und da habe ich mich bis auf die Badehose ausgezogen und dann wurde ein weißes Badetuch drum herumgewickelt. 4 Leute haben die Trage geholt. Ich habe oben drauf gesessen und habe gesungen: „I feel free“. Und die vier Träger: „Barambarambam – Barambarambam“. So sind wir über den großen Markt gezogen. Und da hat es „Batsch“ gemacht. Wir wurden zusammengeschlagen. Unseren „Auftritt“ haben sie nicht ertragen. Das ging gegen die normierte, gleichförmige Gesellschaft. Da kommen welche ausgeflippt und machen da ihren Fehz. Und die Leute fühlten sich verarscht, fühlten sich angegriffen. Ja, so Sachen hat es auch gegeben.
Ich habe damals damit angefangen Nonsenssachen zu schreiben. In der Juzzeit schon. Ich bin dann durch die Kneipen gezogen, hab mich an die Tische gestellt und habe gesagt, soll ich euch mal ein Gedicht vorlesen? Es kostet aber ein Bier. Und dann habe ich mich hingestellt, und das Gedicht vorgetragen „Der Exitus beim Koitus“. Und dann hab ich mein Bier gekriegt und bin an den nächsten Tisch. So Sachen halt.
Das war stark beeinflusst von Insterburg und Co. Auch so ein Thema: Ulrich Roski, Insterburg und Co, kannte man im normalen bürgerlichen Musikalltag nicht. Und durchs Jugendzentrum hast du andere Sachen kennengelernt. Degenhardt, Wader, die ganze Liedermachergarde aber auch Neues aus der Jazz-Rock-Szene. Dort bin ich in Berührung gekommen, mit Kultursträngen, die man vorher nicht kannte, es war für viele von uns eine Horizont-Erweiterung.
Das Jugendzentrum war für mich auch der Ort, um eigene Ausdrucksformen zu suchen. Und das war eben dann Theater spielen, erste kleine Scherzgedichte in Kneipen vortragen, anfangen zu schreiben, Vortragen auf die Bühne gehen. Das Kabarett war eine Möglichkeit, kritisch Dinge von der Bühne herunter zu rufen. Dann hattest du Beifall. Hast du diese kritischen Themen aber im normalen Alltagsgespräch vertreten, bist du als Linker, als weiß der Teufel was, beschimpft worden.
Und irgendwann dann den Schritt von der Bühne wieder zurück, hin an den Schreibtisch und der Kommissar Knauper, diese Romanfigur, hat durchaus kabarettistische Züge. Da hat zum Beispiel der Knauper einen Lieblingssatz drin, „Schwätze muss man mit de Leit, dann klappts auch mit der Kommunikation.“
Politik
Und vor allem hat natürlich die Politik eine große Rolle gespielt. Alleine durch die Situation, dass wir ja eine Forderung an die Stadtverwaltung hatten. Wir wollen einen Raum für Jugendliche. Und mussten uns mit CDU, SPD auseinandersetzen. Dadurch hat sich natürlich auch ein gewisses politisches Bild geformt. Damals war die Welt ja noch relativ einfach. Es hat Schwarz und Rot gegeben und ein bisschen Gelb. Sonst gab es nichts.
Aber es war halt auch eine andere Zeit. Anfang der 70er hat Willy Brandt viele inspiriert. Und es war aber auch wirklich Aufbruch. „Wir schaffen das moderne Deutschland“. Weg mit dem „Muff von tausend Jahren“. Versöhnung mit dem Osten. Willi Brandt war mein Held. Und dass wir mehr Demokratie wagen, das war ja auch eine Aufforderung, sich demokratisch einzumischen. Das war mit ein Grund, warum sich innerhalb der Jugendzentrumsszene doch dann sehr viele den Jusos angeschlossen haben.
Es ging dann auch um solche Ereignisse wie den Putsch in Chile. Ich hab damals mit anderen zusammen ein Solidaritätskomitee Chile gegründet. Und diese ganzen politischen Diskussionen im Jugendzentrum, da hast du das gelernt. Man hat dann ja von Freunden oft Kontra gekriegt: „Du redest dummes Zeug“. Aber das hat man angenommen, hat es verarbeitet und hat dann noch mal ein neues Meinungsbild daraus entwickelt. Und so bin ich dann auch immer stärker in die Politik hineingekommen, Jusos, Gewerkschaftsarbeit usw.
In vielen von uns steckte ein „Gefühl von Aufbruch“. Wir verändern etwas in der Gesellschaft! Das war der Traum, sich weiterzuentwickeln in und mit einer Gemeinschaft und etwas zu bewegen. Die Hoffnung, wir werden die Welt besser hinterlassen, als wir sie vorgefunden haben.
Interview und Bearbeitung: Theo Koch
Mehr über Manfred Spoo unter: manfredspoo.de